Die Zerstörung des World Trade Centers
(12. 9. 2001)
Dass das
Symbol der unerschöpflichen Machbarkeit, das World Trade Center in New York,
von Terroristen gesprengt worden ist, ist ein Schock für die ganze
industrialisierte Welt.
Lebe
ich zu aufwendig, frage ich mich? D.h. ich frage mich, ob ich eventuell auch
dazu beigetragen habe, dass der Hass dieser Gruppe von Menschen solche Ausmaße
annehmen konnte.
Auffällig
bei der ersten Fernsehberichterstattung war, dass kein einziger Reporter die
Frage stellte, was diese Terroristen überhaupt wollen?
Bei
Tausenden Toten und einem Sachschaden von vielen Milliarden ist es schon
erstaunlich, dass anscheinend niemand wirklich wissen will, warum es geschehen
ist. Man gibt sich zufrieden mit der offensichtlich dummen Erklärung, dass
diese Leute eben „Verbrecher“ seien.
Es
ist anzunehmen, dass die Anschläge unter diesen Umständen intensiviert werden
werden, dass das eben erst ein harmloser Anfang war, im Vergleich zu dem, was
noch kommen wird.
Dass
diese Gruppe gleich drei Ziele allerhöchster Bedeutung für die technisierte
Welt mit solcher Präzision getroffen hat, gibt doch zu denken – besonders wenn
wir an die vergleichsweise effektlosen Materialschlachten der NATO im Irak oder
in Jugoslawien denken. Was macht den Unterschied zwischen diesen Leuten und der
bestausgerüsteten Armee der Welt?
Es
ist die Konzentration. Der Anschlag war wie ein Karateschlag: Alle Energie auf
einen Punkt geeint. Höchste Durchschlagskraft.
Ein
Pilotenausbilder der Lufthansa meinte, dass normale Piloten derartige
Meisterflüge niemals hinkriegen würden.
Die
Frage lautet daher: Wie ist solche Konzentration möglich?
„Dummer
Zufall“? Wohl nicht.
Diese
Tat erinnert an manche der unglaublichen biblischen Siege. Auch da war es ja
diese hohe Konzentrationsfähigkeit verzweifelter Menschen, die sie möglich
gemacht hat – etwa die Geschichte, in der Gideon mit dreihundert Mann eine
Armee von 30.000 vernichtend schlägt.
Daher
muss ich noch einmal fragen, was diese Leute wollen. Das haben die doch sicher
schon irgendwo kundgetan.
Mit
meiner ersten Frage, ob ich zu aufwendig lebe, aber meine ich doch schon den
Punkt getroffen zu haben.
Die
Frage ist also nicht so sehr, wie wir sie bekämpfen können, sondern wie wir
ihren Schmerz lindern können, damit sie besänftigt werden.
Der
Zeitpunkt ist jetzt günstig für das Erwachen eines neuen Bewusstseins. Der
Anschlag zwingt uns geradezu, uns zu fragen, ob wir eigentlich weiterhin die
Politik unterstützen wollen, die den armen Ländern diese billigen Preise abtrotzt,
durch die sie nicht hochkommen können.
Oder
auch, ob wir weiterhin die Augen vor einer der Quellen des Hasses verschließen
wollen, nämlich vor Israel und seiner Politik den Palästinensern gegenüber.
Aber
nicht nur ein politisches Bewusstsein kann unter diesen Umständen wachsen,
sondern auch das individuelle.
Wir
müssen uns doch fragen, ob das, was wir bisher für den Sinn unseres Lebens
gehalten haben, wirklich der Sinn ist?
Wenn
wir überlegen, wie die Leute in Afghanistan leben, unter welch einfachen
Verhältnissen, um nicht zu sagen, in welcher Not, dann relativieren sich viele
Dinge, die uns sonst so wichtig sind, dass sie uns schon zu beherrschen
begonnen haben – so sehr, dass uns die Anstrengungen dafür krank machen. Wir
können durch dieses Bewusstsein eine größere Freiheit bekommen, so sehr wir
auch versucht sind, zu glauben, unsere Freiheit würde eingeschränkt.
Was
müsste geschehen, damit unsere Handlungen auch diese Durchschlagskraft haben,
wie die dieser Terroristen? Wir müssten voll hinter dem stehen, was wir tun,
wir müssten uns von allen Zweifeln befreit haben. Der Weg da hin kann aber
darüber führen, dass wir zunächst von den Zweifeln überschwemmt werden bis hin
zur völligen Verzweiflung. Sie kann uns zwingen, zu kapitulieren vor der großen
Kraft, die uns gerade zeigt, dass es nur mit ihr möglich ist, dann schlägt die
Verzweiflung um in Konzentration, eben an dem Punkt der Verzweiflung, an dem
wir erkennen, dass es für uns nichts mehr zu verlieren gibt.
„Freedom is just another word for nothing left
to loose“, heißt es in einem alten Song.
An
diesem Punkt können wir nur sterben oder „bewusst werden“, d.h. uns lösen von
allen Vorstellungen. Unterscheiden können zwischen Vorstellung und Wahrnehmung.
Nicht mehr von irgendwelchen Ideologien gesteuert werden, sondern eben von der
Wahrnehmung – von einer Wahrnehmung einer Tiefe, die sich die
Vorstellungsgesteuerten nicht vorstellen können.
Deshalb
sind Ereignisse, wie dieses gewaltige Attentat so unglaublich, weil die
Menschen nicht bedenken, wozu der Geist fähig ist. Eine Gruppe verzweifelter
Menschen ist das Gefährlichste, was es gibt. Sie sind zu allem fähig.
Wir
können nur den Grund finden für ihre Verzweiflung und ihnen an ihrer wunden
Stelle helfen.
Eine
Eskalation ist sonst ohne weiteres möglich.
Vielleicht
lagert ja schon seit Jahren eine Atombombe in New York oder an einem ähnlich
symbolträchtigen Ort. Vielleicht braucht es nur noch die Eingabe des Codes, um
sie auszulösen.
Wenn
der Grund für ihre Verzweiflung nicht entdeckt und heilend behandelt wird, wird
das jetzige Ereignis harmlos sein im Vergleich zu den Ereignissen, die noch auf
uns zukommen werden.
Selbst
wenn dieser legendäre Bin Laden umgebracht wird, solange sich die Stimmung
nicht verändert, wird er Nachfolger haben. Etwas muss hier heilen, sonst werden
wir alle in Angst und Schrecken leben müssen.
Kapitulation
hier würde bedeuten, diese Realität zu sehen und folglich intensivste
Anstrengungen zu unternehmen, damit eine Heilung erfolgen kann.
Wir
können mitwirken daran, dass diese Heilung möglich wird, indem wir nämlich
anfangen zu verstehen, dass diese Welt eins ist und dass das für uns etwas
bedeutet. Nicht unbedingt, dass wir als Entwicklungshelfer in die dritte Welt
gehen, aber dass wir uns beteiligen an der Linderung von Leid in allem, was wir
tun. Wir können beispielsweise bei uns selbst anfangen, bei unserem eigenen
Leid. Wir können anfangen mit unserer eigenen Kapitulation, damit, dass wir uns
dem Einen anvertrauen, dem sich diese Verzweifelten auch anvertraut haben. Aus
dem Einen kam diese Kraft für sie, es kann uns auch die Kraft geben, die wir
brauchen, in unserem Fall dann hoffentlich Heilkraft. Denn verletzen tun schon
genug.
Die
neue Sicht heißt: die Sicht der einen Welt. Das gilt auch rein persönlich.
Meine Kraft ist keine andere, als die der Terroristen. Es gibt nur diese eine
Kraft. Der Auszug der Israeliten aus Ägypten war ja auch von einer Reihe von
großen Katastrophen für die Ägypter begleitet. Als es an ihre Existenz ging,
haben sie schließlich nachgegeben und die Israeliten ziehen lassen. Es hat eine
Bewusstseinsveränderung eingesetzt. So wurden die Israeliten frei. Vielleicht
werden die Palästinenser und die ganze islamische Welt auch auf diese Weise
frei – und andere mit ihnen.
Die
Befreiungsbewegung, die jetzt im Gang ist, hat auch eine Ähnlichkeit mit der
der Arbeiterklasse in den industrialisierten Ländern vor hundert Jahren. Das
hat auch viel Blut gekostet – und dann stellte sich zur Überraschung aller
heraus, dass die neue Politik auch noch gut war fürs Geschäft. Das war ja doch
die Erkenntnis aus der Weltwirtschaftkrise der Zwanzigerjahre. Vielleicht wird
es ja mit der dritten Welt ähnlich sein, sobald sie ihre Rechte durchgesetzt
hat, d.h. sobald für ihre Produkte ein gerechter Preis gezahlt wird, z.B. für
das Öl. Die Amerikaner hüten nicht umsonst ihre Ölreserven. Sie wissen, dass es
viel mehr wert ist, als sie zu zahlen bereit sind.
Ein
Bewusstsein dieser Art muss wachsen, damit die Gefahr gebannt werden kann. Alle
Menschen müssen respektiert werden, sonst entsteht unausweichlich irgendwo
wieder diese tödliche Konzentration von Energie, von der wir eben eine
Kostprobe erlebt haben.
Die
eine Welt verlangt nach einer Bewusstheit ihrer Einheit. Das sollte niemand
wundern. Der Anschlag war nur ein Zeichen dafür, ein Hinweis, eine Warnung.
Nun,
wo wir jedes Land dieser Welt im Nu erreichen können, ist natürlich jedes Land
dieser Welt schon unser Nachbar, der uns nicht unbekümmert lassen darf – in unserem
eigenen Interesse.
Und
wenn es bloßer Neid wäre, was diese Leute bewegt! Es liegt an uns, ob wir
diesen Neid schüren durch Demonstrationen unserer Macht oder ob wir auch
gelegentlich nachfragen, wie es den weniger Erfolgreichen geht und wo wir vielleicht
behilflich sein könnten. Und es wird sich zeigen, ob wir wirklich behilflich
sind oder nicht.
Diese
Leute müssen die eine Kraft in dieser grauenhaften Weise benützen, weil wir sie
nicht zum Heilen benützen, obwohl wir die Mittel dazu hätten! Würden wir sie
auch benützen, dann wären wir der Gefahr schon lange vorher begegnet, dann
hätten wir den Schmerz dieser Leute schon längst bemerkt und wir hätten die
Tragödie längst abgewendet – durch Heilung.
Es
wird Zeit für eine weltweite Solidarität – und dafür unser Leben anzuschauen:
unsere Schmerzen und die Schmerzen unserer Umgebung, unsere Sehnsucht und ihre
Sehnsucht.