Was bei der Auferstehung Jesu vielleicht
geschehen ist und wie wir uns unsere eigene Auferstehung vorstellen können
Gottfried Hutter, 9.3.2011
Nach
überwiegender Meinung der Exegeten hat das, was der folgende Bericht schildert,
wahrscheinlich nie stattgefunden. Dennoch
eignet sich die Geschichte hervorragend, um etwas sehr Mysteriöses zu
verstehen: die Auferstehung Jesu. Es geht um die Erzählung des Evangelisten
Lukas von den beiden Jüngern, die sich nach dem Tod Jesu auf den Weg machen
zurück in ihr Heimatdorf Emmaus (Lk 24,13-35).
Meiner
Erfahrung nach können mit Hilfe dieser Geschichte auch aufgeklärte Menschen
verstehen, was mit „Auferstehung“ gemeint ist und worum es im Christentum geht.
Auch Nichtgläubige kann diese Geschichte menschlich berühren, und zwar auf theologisch
tadellose Weise.
Natürlich
kann ich nicht wissen, was damals genau geschehen ist. Aber ich kann versuchen,
von unseren heutigen Denkvoraussetzungen her nachzuvollziehen, was sich im
Inneren dieser Apostel in etwa abgespielt haben muss und zu verstehen, dass das
in den bekannten späteren Darstellungen – weil es sich so real angefühlt hat –
die Gestalt körperlicher Erscheinungen des Auferstandenen angenommen hat und auch
in der Geschichte vom leeren Grab einen symbolischen Ausdruck gefunden hat:
Da sind
zwei Apostel, die die Welt nicht mehr verstehen und da ist ein Fremder, der
zwar keine Ahnung hat, der aber sehr viel versteht – ein Glücksfall.
Da der Fremde
von Jesus nicht einmal gehört hat, müssen ihm die Jünger alles erklären,
einschließlich der Dinge, die sie selbst nicht verstehen – und das sind vor
allem zwei Dinge: Wie waren die Heilungen möglich und warum musste Jesus
sterben?
Als sie
über die Heilungen sprachen, sagten sie dem Fremden auch, dass Jesus behauptet
hätte, sie könnten sogar noch größere Dinge tun, als er sie getan hat. Das
hatten sie nie verstanden, denn Wunder konnte doch nur ein Gottgesandter
wirken, aber niemals ein normaler Mensch.
Da der Fremde
von nichts wusste, bat er sie, detailliert zu erzählen, was Jesus bei diesen
Heilungen getan hat. Als erstes hat er zu den Kranken gesagt: Hab keine Angst! Und
dann: Gott hat Dir Deine Sünden längst vergeben, Du bist jetzt ganz frei und
rein! Dann hat er sie berührt. Dann hat er ihnen gesagt, dass sie jetzt ganz gesund
werden würden und währenddessen hat er sie weiter berührt. Und da ist es geschehen.
Die Kranken spürten, wie sie gesund wurden, und schließlich fühlten sie sich
gesund und sie waren es auch. Das alles musste der Fremde mühsam aus ihnen
hervorholen, denn zunächst sahen die Jünger keine Zusammenhänge. Sie sahen nur
Jesus, den Kranken und ein unerklärliches Wunder.
Als
nächstes sprach der Fremde, der eben viel verstehen konnte, mit ihnen darüber,
wie ein Mensch krank wird. Er fragte sie, ob sie schon bemerkt hätten, dass
eine Kränkung tatsächlich krank machen kann. Nein, das war ihnen noch nicht
aufgefallen, aber wie der Fremde es erklärte, erschien es ihnen plausibel und
sie begannen, etwas über Jesu Heilkraft zu erahnen.
Diese
Ahnung ist wichtig, um zu verstehen, was dann in Emmaus beim Abendessen geschehen
ist: Als Gast erhielt der Fremde den Ehrenplatz. Auch Jesus hatte diesen Platz bei
früheren Besuchen schon eingenommen. Jetzt saß der Fremde da und er tat, was
der Inhaber dieses Platzes zu tun hat: Er sprach den Segen, er teilte das Brot
und er gab jedem ein Stück.
In dem
Moment geschah meines Erachtens etwas, das wir alle von uns selbst kennen: ein
Bild aus der Erinnerung schob sich über das Bild des Fremden. Sie sahen Jesus
da sitzen – „aber nur für einen Moment“, heißt es. Da nicht anzunehmen ist,
dass sich der Mann nun plötzlich in Luft aufgelöst hat, sahen sie dann wohl wieder
den Fremden. Aber in diesem Moment entstand etwas, das man heute ein
„spirituelles Erlebnis“ nennen würde.
Da sind
den Jüngern nämlich wohl diese drei entscheidenden Dinge klar geworden:
1.
Zuerst wurde ihnen klar: Jesus ist tot und er
wird niemals wieder lebendig werden. Tote kehren nicht körperlich zurück in
diese Welt, niemals!
2.
Während sie nun erneut von Trauer übermannt
wurden, kehrte eine Erinnerung zurück an ihre Gespräche unterwegs und zwar besonders
an Jesu Satz: Ihr
könnt sogar noch größere Dinge tun! Wie aus weiter Ferne rückte
dieser Satz näher und nach und nach begannen sie, zu verstehen.
3.
Diese Einsicht, die ihnen ganz neu war, begann
anzuschwellen, sich aufzufüllen mit den vielen Erlebnissen, die sie mit Jesus
gehabt hatten und dieses Anschwellen hörte nicht auf, bis es absolute
Gewissheit war: Jesus hatte tatsächlich sie gemeint! Sie würden sein Werk
fortsetzen; sie würden seine authentischen Nachfolger werden. Und damit war Jesus
jetzt voll und ganz gegenwärtig. Er, der tot war, lebte wieder, aber nicht für
sich selbst, sondern in ihnen. Und da würde er bleiben, für immer!
Das war in meinen Augen das Erlebnis der
Jünger. So oder so ähnlich muss es auch für Petrus und die anderen Apostel
gewesen sein. Und wir können uns ausrechnen, was die Apostel zwischen Ostern
und Pfingsten getan haben.
Wenn
wir das Ostererlebnis dieser Jünger vergleichen mit dem, was Jesus selbst über
die Auferstehung gesagt hat, wird klar, dass das nicht nur eine psychologische
Interpretation ist, sondern dass diese Sicht kongruent ist mit dem Verständnis
von Auferstehung, das Jesus selbst hatte.
Als
Antwort auf die Leugnung der Auferstehung durch die Sadduzäer hatte Jesus ja gesagt:
Die Auferstandenen „werden wie Engel sein“ (Mk
12,25-27). Doch wie sind Engel? Sind sie wie die niedlichen barocken Putten
oder sind sie so, wie die Zeugen Jehovas sich das Leben nach dem Tod
vorstellen? Ich fürchte, dass die christliche Religion vielen fremd geworden
ist, weil allzu viele Theologen ihr Verstehen nicht ausreichend
weiterentwickelt haben.
Meines
Erachtens erklärt die jüdische Theologie am besten, was Jesus meint, denn in ihr
war Jesus zweifellos ein Meister. Und die jüdische Theologie – und Kabbala – sagt,
dass Engel vornehmlich Gedankenstrukturen sind.
Diese
Aussage ist so einfach wie logisch: für jeden Leser der Bibel sind Abraham,
Isaak und Jakob jetzt Gedankenstrukturen. Daran kann es nicht den geringsten Zweifel geben. Doch gerade als
Gedankenstrukturen sind sie (zumindest für diejenigen, die deren Intention
verstehen) quicklebendig, so wie auch Jesus – auch nach seinem Tod – für die,
die seine Intention verstehen, nicht tot, sondern quicklebendig ist.
Diejenigen,
die seine Intention verstehen, werden durch ihn bewegt. Und was diese Menschen
bewegt, ist nicht Mitleid mit einem Leidenden. Das wäre kein Verstehen.
Verstehen bedeutet vielmehr zu sehen, was Jesus gesehen hat, nämlich, dass
Glaube tatsächlich Berge versetzen kann.
Durch
diese Art Glauben haben die Israeliten ihr Gelobtes Land gefunden.
Durch
diese Art Glauben werden Kranke gesund.
Durch
diese Art Glauben hat Jesus posthum seine Jünger zu seinen fähigen Nachfolgern
gemacht.
Durch
diese Art Glauben kann ein Verzweifelter ein neues Leben beginnen, in dem sogar
kühnste Träume wahr werden.
Mit
diesem Verständnis der Auferstehung haben säkular eingestellte Menschen kein
Problem. Es wird vielmehr bei allen auf offene Ohren treffen, die mit dem Mythos
vom leeren Grab rein gar nichts anfangen können – denn auch sie könnten Sehnsucht
verspüren nach einem radikal neuen Leben.
Nun können
völlig säkular eingestellte Menschen sogar den Mythos vom leeren Grab verstehen,
nämlich als archetypisches Bild für die Tatsache, dass Jesus paradoxerweise
gerade durch seinen Tod den Tod für immer überwunden hat.
Diejenigen
dagegen, die darauf beharren, dass die Geschichte vom leeren Grab eine
materielle Realität beschreibt, werden bei den Säkularen kaum Gehör finden, denn
diese „Realität“ wird in unserer wissenschaftlichen Zeit nur noch als
„Aberglaube“ betrachtet und der interessiert heute niemand mehr.
Diejenigen,
die die Intention Jesu verstehen aber, können auch in unseren säkularen Zeiten
zu Zeugen seiner Auferstehung und sogar zu seinen authentischen Nachfolgern werden,
denn das verlangt ja gerade, so zu werden wie Jesus war, nämlich absolut
vertrauend, zuversichtlich, glaubend, aber nicht abergläubisch.
So viel
zur Auferstehung Jesu, aber wie steht es mit unserer Auferstehung?
Das
Beispiel der Auferstehung Jesu zeigt, dass Leben nach dem Tod, ja sogar
Unsterblichkeit nicht notwendigerweise bedeutet, dass das subjektive
Bewusstsein weiterlebt. Obwohl es die Intention des Verstorbenen war, die diese
Gedankenstrukturen in den nach ihm Lebenden erzeugt und möglich macht, sind es letztlich
die Gedankenstrukturen der Lebenden, die den Verstorbenen am Leben erhalten. Ist
das persönliche Leben nach dem Tod also nur eine Wunschvorstellung?
Eine
bei (fast) allen Menschen verbreitete Sehnsucht deutet in eine andere Richtung:
Menschen wollen immer besser werden und sie wollen alles immer besser machen. Leider
reicht ein Leben oft nicht aus, um wirklich so gut zu werden, wie man möchte.
Vielleicht ist dieser Wunsch der Vater des Gedankens oder vielleicht ist es
eine reale Möglichkeit – denken wir auch an die Wirkkraft des Glaubens, der
unmöglich Erscheinendes Wirklichkeit werden lassen kann. Einiges scheint darauf
hinzudeuten, dass es möglich sein könnte. Und so überrascht es nicht, dass die
jüdische Theologie ein Konzept kennt, das uns eher vom Buddhismus her bekannt
ist, nämlich das der Reinkarnation. Auch in den Aussagen Jesu gibt es Anklänge
daran, aber im Christentum ist dieser Aspekt in den Hintergrund getreten,
obwohl die dogmatischen Formulierungen nicht wirklich ausschließen, dass die
Reinigung, derer ein Mensch bedarf, damit er zur „Anschauung Gottes“ gelangen kann,
durch weitere Leben erreicht werden kann.
Im Buch
Exodus sagt Gott zu Moses: „Kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben“
(Ex 33,20). Es ist daher anzunehmen, dass es eine intensive spirituelle Entwicklung
braucht, um zur Anschauung Gottes gelangen zu können. In die Sprache unserer
Zeit übersetzt, könnten wir vielleicht sagen: Die Bewusstheit muss schon sehr
umfassend werden, damit ein Mensch eine echte Ansicht des All-Einen gewinnen
kann, damit er von der gewaltigen schöpferischen Kraft nicht einfach
verschlungen wird. Aber Menschen streben von Natur aus zu immer tieferer
Einsicht. Es könnte also durchaus sein, dass ein Mensch in der Klarsicht seines
nahenden Endes erkennt, dass er weitere Bewährung braucht, dass er diese von
dem All-Einen, also vom Ganzen des Seins, erbittet und gewährt bekommt. Im
Laufe dieser Entwicklung könnte sich das Bewusstsein so sehr weiten, dass es
alles einschließt und auf diese Weise könnte ein Individuum bereit werden, sich
mit dem Einen wieder zu vereinen.
Nach
Aussagen des Evangelisten Johannes lebte Jesus nicht nur in der „Anschauung
Gottes“, er war eins mit dem All-Einen. Wie weit die Bewusstheit Jesu war, lässt
sich erahnen in der gewaltigen Bewegung, die er ausgelöst hat – und in der
Tatsache, dass er selbst sie minutiös vorbereitet hat. Er hat gesehen, was
seine Schüler brauchen, um seine Nachfolge antreten zu können. Er hat gesehen,
dass sie den Einsatz seines Lebens brauchen, um bereit zu werden, ihr eigenes
Leben einzusetzen. Und was könnte die Bewusstheit mehr weiten als der Einsatz
des Lebens? Darin liegt meines Erachtens die Weisheit Jesu und seiner
Nachfolger, der Christen.
Eine
Bewusstheit wie diese vergeht nicht einfach am Ende des Lebens – und sie geht
auch nicht einfach nur auf in den Gedankenstrukturen anderer. Eine Bewusstheit
dieser Tiefe findet einen Weg, sich fortzusetzen. Und zuletzt, nachdem sie sich
gereinigt hat von allem Trennenden, kehrt sie zurück zum All-Einen, nicht um sich
darin aufzulösen, sondern um von dort in eine ganz neue Welt zu gelangen, die
wir uns von dieser Welt aus gar nicht vorstellen können. Solange diese
Bewusstheit aber Trennendes enthält, sucht sie, dieses Trennende zu überwinden.
Das ist die Lebensaufgabe.
Wir
müssen aber auch die Möglichkeit des Scheiterns an dieser Aufgabe in Betracht
ziehen. Gemäß jüdischer Theologie führt dieses Scheitern zur Auflösung. Ein
Mensch, der sich weigert, seiner Lebensaufgabe nachzukommen, könnte seine
Sehnsucht nach Vollkommenheit verlieren, und damit sich verlieren und nicht
wiedergeboren werden, weil er den Schöpfungsprozess umkehrt. Auch im Neuen
Testament gibt es Aussagen, die darauf hindeuten, wie etwa das Bild von der
Auslöschung in einer Art Feuersee (Offb 21,8).
Auffällig
ist auch, dass sowohl im Judentum wie auch im Christentum viele Aussagen über
das Leben nach dem Tod sehr vage bleiben und viel Raum für Spekulation lassen.
Es gibt eben keinen unter den Lebenden, der die Erfahrung des Todes gemacht
hätte und daher auch keine Vor-Stellung darüber.
Auch was
es mit der allgemeinen Auferstehung der Toten zum Jüngsten Gericht auf sich
hat, bleibt äußerst vage. Klar ist nur, es gibt eine Bewertung des Lebens und
es gibt ein neues Leben in einer neuen Welt, die aber mit Sicherheit nicht
einfach eine Fortsetzung dieser Welt sein wird. Wäre sie nur eine perfektionierte
Form dieser Welt, dann wäre das Leben dort wohl so tödlich langweilig, wie
Ludwig Thoma es vor genau 100 Jahren in seiner Geschichte vom Bayern im Himmel
beschrieben hat.
Jüdische
Theologie sagt daher, dass diejenigen, die sich kreativ vervollkommnet haben, sich
mit dem Einen vereinen, um mit ihren erworbenen Fähigkeiten in diese neu
geschaffene Welt zu gehen.
Das
Gericht, von dem die Bibel spricht, kann nur die Summe der Antwort des Ganzen
auf das Individuum sein. Jeder sterbende Mensch wird diese Antwort erfahren,
die ihm zeigt, wie weit er noch von der Einheit entfernt ist. Von hier aus gibt
es zwei Möglichkeiten, abhängig von der Qualität der Beziehung zwischen dem
Individuum und dem Ganzen. Entweder die Energie oder das „Feuer“ der Seele ist
bereit, sich mit dem „Feuer“ des Unendlichen zu vereinen oder sie ist dazu nicht
bereit. Wenn die beiden getrennt
bleiben, so sieht es die jüdische Theologie, erlischt das „Feuer“ des
Individuums. Wenn sie sich vereinigen, wird das Individuum das „Feuer“ seiner
Kreativität nun in einer ganz neuen Welt einsetzen können.
Bleibt
noch zu fragen, was der Weg in die Einheit ist. Es wird nicht ein Weg zur
Vernichtung des Individuums sein, sondern ein Weg der optimalen Verwirklichung
dessen, was im Sinn des Ganzen ist. – Und dieser Weg könnte tatsächlich endlos
sein.