Konstellationen und ihre Wirkungen
Ein Erklärungsmodell für die Wirksamkeit von
Familienaufstellungen
03_12_06
Bei Familien– oder anderen
therapeutischen „Aufstellungen“ erhebt sich immer die Frage, wie die
Repräsentanten oft ohne jede sachliche Information sehr genau gewisse typische
Befindlichkeiten der von ihnen repräsentierten Personen beschreiben können, und
auch wie die Wirkungen möglich sind, die nach solchen Aufstellungen zu
beobachten sind. Es geht also um die Wirkung von Aufstellungen auf die
Aufgestellten, auf die Aufsteller, auf den Leiter der Aufstellung wie auch auf
die repräsentierten [aber abwesenden] Mitglieder des Systems.
Für
mich ist klar, dass es die Konstellationen an sich sind, die wirken.
Vor
Jahrtausenden bereits wurde die Wirkung von Konstellationen beschrieben in den
mythischen Deutungen der Sternenkonstellationen.
Sternenkonstellationen
werden seither als Bilder für bestimmte persönliche Befindlichkeiten
präsentiert. Und dass der Moment, an dem ein Mensch zum ersten Mal das Licht
der Welt erblickt, eine besondere Bedeutung hat, ja sogar eine Art Prägung
bewirken kann, sollte uns nicht wundern.
In
Familienaufstellungen werden sowohl Konstellationen der Ahnen dargestellt als
auch Konstellationen der gegenwärtigen Beziehungen. Die horoskopischen
Konstellationen schwingen gewöhnlich nur im fernen Hintergrund mit als
Grundgeprägtheiten der einzelnen Personen.
Jedes
Individuum steht damit von Anfang an in einem Netz von Beziehungen und die
Beziehungen selbst sind schon immer Beziehungen zu Konstellationen der
verschiedensten Arten, also zu sozialen (persönlichen, kulturellen, politischen
etc.) Konstellationen, zu umweltbezogenen (landschaftlichen, klimatischen,
interstellaren etc.) Konstellationen, wie zu den intrapersönlichen
Konstellationen, die ja als innere Repräsentanzen der auf uns wirkenden Kräfte
betrachtet werden können.
Alle
diese Konstellationen wirken durch das Bild, das sie darstellen, auf das
Individuum wie eine Art „Geist“, denn die äußere Situation äußert sich im
Innern als eine Stimmung; die Konstellationen, denen wir ausgesetzt sind,
„bilden“ also einen unter Umständen dominierenden Geisteinfluss auf den
geformten Punkt, der wir sind. Dieser Geist [die Stimmung] lässt sich in Worten
beschreiben – und genau das geschieht in den verschiedenen Arten von
Aufstellungen von Systemen. Geist ist also nach außen hin eine Konstellation,
er stellt ein Beziehungsgeflecht dar.
Weil
jede Konstellation ein Beziehungsgeflecht repräsentiert, entsteht für den
Betrachter ein komplexes Bild von Befindlichkeiten, die in Geschichten
gekleidet werden können, in archetypische Geschichten über diese
Konstellationen, in Geschichten von der Traumebene. Im Fall abstrakter
Konstellationen – wie in einer Aufstellung oder im Sternenhimmel – sind dies
zunächst Anthropomorphisierungen und damit
Dramatisierungen der Dynamik der Konstellationen.
Gegenwärtige
Konstellationen, etwa einer Aufstellung [„Konstellation“ könnte damit den
früher gebräuchlichen Begriff „Gestalt“ ablösen, weil „Konstellation“ rein
mathematisch abstrakt sein kann und damit umfassender ist], rufen aus dem
biologischen Gedächtnis Erinnerungen der Evolution [von solchen
Konstellationen] ab, weil analog ähnliche Konstellationen ja während des ganzen
Evolutionsprozesses immer wieder durchlebt worden sind, sodass sie sich sogar
schon in den Genen niedergeschlagen haben. Dazu enthält auch die Gegenwart
selbst die sich wieder immer in einer begrenzten Zahl typischer, analog
ähnlicher Konstellationen darbietende Totalität allen Seins – auf den Punkt
gebracht etwa in den Linien und in den 64 Hexagrammen des I Ching
– typische Bilder, die jeder kennt aus der Erfahrung mit sich selbst, mit
Bekannten, Fremden, alles Gelesenen, Gehörten, Gesehenen. Darüber hinaus sind
in den gegenwärtigen Konstellationen auch die Erfahrung der [und Prägungen
durch die] Ahnen eingeschlossen, jeweils wieder als eine Abfolge archetypischer
Konstellationen, korrelierend mit den Erinnerungen der Evolution und wie sie,
in Formen vergleichbar mit den Hexagrammen des I Ching
oder mythischen Bildern, in uns gespeichert.
Das
Mediale beim Nachempfinden von Konstellationen – wie das in systemischen
Aufstellungen geschieht, aber auch beim Betrachten von Sternenkonstellationen –
ist die Fähigkeit, solche Geschichten zu „sehen“, bzw. durch die vordergründige
Konstellation veranlasst zu werden, eine Verbindung zu dem Fundus der
Archetypen in uns selbst herzustellen und aus ihm eine Interpretation dieser
Konstellation zu schöpfen.
Diese
Fähigkeit wird während des Prozesses der persönlichen Reifung geschult durch
Auseinandersetzungen mit den archetypischen Konstellationen, die wir kennen aus
unserer persönlichen Erfahrung, aus der Literatur oder aus dem Erzählstoff der
Tradition; dadurch wird eine Art Abtastung der eigenen inneren
evolutionsgeschichtlich akkumulierten Archetypen erreicht und damit deren
Ortung und Identifizierung.
Noch
vor dieser äußeren Schulung aber steht eine stets vorhandene, meist allerdings
unbewusste Verbindung mit dem Gedächtnis der Evolution in uns, die unserer
primären Orientierung in der Welt dient. Die Orientierung ist möglich aufgrund
der analogen Ähnlichkeiten der gegenwärtigen Situationen mit den archetypischen
Situationen, um die herum unser Gedächtnisspeicher angelegt ist. Die Verbindung
mit dem Gedächtnis der Evolution in uns wird zugänglich durch eine Art „zweiter
Aufmerksamkeit“ – so genannt von Carlos Castaneda, im Gegensatz zur „ersten“
Aufmerksamkeit, die sich auf die jeweils gegenwärtige äußere Situation richtet.
Diese „zweite Aufmerksamkeit richtet sich auf die inneren Repräsentanzen, also
auf das, was durch die äußeren Ereignisse in uns zum Schwingen gebracht wird,
und damit auf die als Archetypen wirkenden Kräfte. Die „zweite Aufmerksamkeit“
tritt durch Bindung/Fesselung/Fixierung der ersten Aufmerksamkeit spontan in
den Vordergrund und kann auf diese Weise auch wiederum geschult werden. Auf
diesem Prinzip beruhen die verschiedenen Meditationstechniken, u.a. auch die
systemischen Aufstellungen.
Die
„zweite Aufmerksamkeit“ tritt auch in den Vordergrund, wenn Konstellationen
vollkommen abstrakt dargestellt werden als komplexe geometrische Muster, wenn
nur ein „Wahrnehmer“ der Konstellation gegenübertritt – sei es als
äußerlicher Betrachter, wie im Fall von Sternenkonstellationen, oder als Darsteller,
der die Position einzelner Elemente der Konstellation einnimmt, wie in
„Aufstellungen“ mittels Figuren. Die Fesselung der ersten Aufmerksamkeit
geschieht dabei dadurch, dass die abstrakte, rein geometrische Struktur der
Konstellation die einzige Information ist, die dem Wahrnehmer zugänglich ist.
Gewöhnlich
stehen dabei natürlich die Figuren wieder für Menschen und werden sowohl vom
„Patienten“ wie vom Leiter der Aufstellung als solche gedacht, aber die Figuren
geben keine wie immer gearteten, über ihre relative Position hinausgehenden, subliminalen Informationen.
Eben
so wurden ursprünglich auch die Sternenkonstellationen betrachtet. Sterne und
Planeten wurden als Personen gedacht, weshalb sie Götternamen bekamen. Und als
Personen wurden sie in Handlungen, in ein Verhalten zueinander imaginiert bzw.
es wurde eben aus den „Archetypen“, also aus dem Schatz der Erinnerung an die
immer wiederkehrenden Konstellationen, geschöpft und so wurden sämtliche
Götterhimmel samt den dazugehörigen Geschichten, wie sie sich in den
Mythologien der Völker niedergeschlagen haben, aus einer beschränkten Zahl von
abstrakten Grundmustern hervorgesponnen.
Das
I Ching zeigt, wie aus der binären Basis im nächsten
Schritt acht Elemente werden und diese durch Kombination zu 64 archetypischen
Grundsituationen des Lebens mit ihren jeweiligen Schwerpunkten bzw.
Ansatzpunkten für Veränderungen.
In
der Kulturgruppe, in der unsere geistigen Ahnen beheimatet waren, wurde der
Prozess dieses Hervorspinnens archetypischer
Geschichten und Lösungen „Offenbarung“ genannt – die natürlich verzerrt sein
kann, wenn die betreffenden Menschen sich der großen Kraft des Ursprungs noch
nicht wirklich hingeben und ihre eigenen Interessen beimischen, weshalb in den
Offenbarungen oft vor „Wahrsagern“ gewarnt wird. Diese Gefahr allerdings ist in
systemischen Aufstellungen nicht in dem Masse gegeben, weil das persönliche
Interesse hier kaum eine Rolle spielt.
Zu
einer Offenbarung gehört natürlich die Fähigkeit der „zweiten Aufmerksamkeit“,
die gegenwärtigen Konstellationen und ihr konfliktreiches Zusammenspiel unter
dem Gesichtspunkt des Gedächtnisses der Evolution jeweils von einem
„übergeordneten“, die Gegensätze einschließenden Standpunkt aus zu betrachten.
Das ist möglich, weil im Lauf der Evolutionsgeschichte ja in analogen Formen
immer alle Konstellationen schon erlebt worden sind und weil es in der
Gegenwart einen Zugang zu diesem Wissen gibt. Und von dem analog bereits
erlebten, übergeordneten Standpunkt aus kann die Lösung für jedes gegenwärtige
Problem ebenfalls in analoger Form gesehen werden, einschließlich der Kosten
der Lösung.
Bei
systemischen Aufstellungen entstehen dadurch aus chaotischen
Ausgangssituationen gelöste Konstellationen, die wiederum zurückwirken auf die
repräsentierten Personen – auch ohne dass diese persönlich einbezogen werden
müssen. Durch eine Veränderung der Konstellation [= des Systems] verändern sich
nämlich notwendigerweise auch die einzelnen wiederum archetypischen Rollen –
etwa in der Art, wie sich die Rolle des Tyrannen nur so lange spielen lässt,
als es eine ausreichende Anzahl hilfloser Untertanen gibt.
Aus
diesem Grund ist es wegen der oft erstaunlichen Wirkungen systemischer
Aufstellungen nicht nötig an mysteriöse telepathische Fernwirkungen zu denken –
und auch „morphogenetische Felder“ brauchen nicht bemüht zu werden, es sei denn
diese wären, wie eben beschrieben, archetypisch evolutionsgeschichtlich
gedacht.