Was ist „Bewusstheitsentwicklung“?

15. / 24. 7. 2001

 

 

        Ich nehme mir vor, auf etwas zu achten – ich vergesse es – nehme es mir erneut vor – vergesse es – nehme es mir wieder vor – erinnere mich – vergesse es dann wieder, nehme es mir erneut vor – etc.. So entwickelt sich die Bewusstheit. Wir müssen es wollen. Wir müssen Energie dafür einsetzen, immer wieder, ob Erfolg oder Misserfolg, also ohne uns nach einem Erfolg abheben und durch einen Misserfolg niedergedrückt sein zu lassen.

 

        Die Grundlage der Bewusstheitsentwicklung, ihre Triebfeder, sind die Wünsche. Sie liefern die Energie. Wenn der Antrieb stark genug ist, ist der Wunsch erfolgreich und es geht von selbst. Was nicht von selbst geht, ist nicht wichtig genug.

        Wenn du etwas willst, machst du’s. Wenn du es nicht machst, bleibt die Phantasie. Auch die Phantasie liefert Befriedigung, aber diese entspricht nie der Befriedigung in der Realität. Etwas bleibt dabei immer unbefriedigt. Und das treibt dich weiter an, nach dem Realen zu suchen.

 

        Dieser Prozess ist der natürliche Suchprozess, also das, was auch „spirituelle Suche“ genannt wird, der Weg der Bewusstseinsentwicklung.

 

        Manche verweigern sich diesem Prozess an irgendeinem Punkt. Sie bleiben stehen und begnügen sich mit der Phantasie – und bleiben natürlich unbefriedigt.

        Wenn jemand bei diesem unbefriedigt Sein stehen bleibt, kommt es in der Folge zu Krankheiten oder Unfällen. Natürlich auch zu Reaktionen der anderen Menschen, die den Schwachpunkt bewusst oder unbewusst aufspüren und ausnutzen. Dadurch werden Menschen, die sich mit phantastischen Befriedigungen begnügen abhängig – oder „co-abhängig“, wie man das nennt.

        Stehen zu bleiben auf dem Weg hat viele „negative“ Auswirkungen auf den Betreffenden. Es bewirkt Schmerzen. Zuerst den Schmerz des unbefriedigt Seins, dann die Schmerzen der Folgen, also von der Krankheit, von dem Unfall, von dem Missgeschick oder von den Verletzungen durch andere Menschen.

        Das wiederum intensiviert die Unzufriedenheit und löst damit einen neuen Suchprozess aus nach einer Lösung für die nun erfahrenen Probleme.

        Wenn sich dieser Mensch dem neuen Suchprozess wieder verweigert, werden die Schmerzen erhöht. Niemand tut das, es geschieht „von selbst“, es ist ein natürlicher Prozess, einem Naturgesetz folgend.

 

        Ausgehend von der Erfahrung dieser Phänomene, ist von Meistern der Vergangenheit von „Sünde“ und der darauf folgenden „Strafe“ durch „Gott“ gesprochen worden. Diese Begriffe sind in verhängnisvollster Weise missverstanden worden. Ursprünglich sind es einfach nur Bilder dieses Prozesses. Darüber hinausgehend haben sie keine Bedeutung. Die ihnen darüber hinausgehend oft zugeschriebene Bedeutung, nämlich dass da „ein persönlicher Gott“ etwas „tun“ würde, um einen Menschen zu „strafen“ und dadurch wieder auf die rechte Bahn zu schicken, ist ein Mythos, und das heißt am Ende wieder: ein Bild. Die dem Mythos aber verfallen sind und seine Bedeutung (seinen Bildcharakter) nicht erkennen, glauben dann an irgendwelche mysteriösen Kräfte. Und da beginnt das Verhängnis. Der Glaube an solche Kräfte kann einem Menschen zwar auch helfen, allzu oft aber erzeugt er nur eine neue Abhängigkeit und auch neue Angst – und schwächt damit diesen Menschen, und macht ihn noch stärker anfällig für Anfeindungen aller Art, angefangen von Mikroben, denen gegenüber er dadurch weniger Abwehr zur Verfügung haben wird, aber auch allen anderen „Gefahren“ gegenüber.

Was ihn so schwächt ist nicht eine „Strafe“, sondern einfach die Folge eines inneren Widerspruchs, der die Kräfte dieses Menschen aufzehrt. Ein solcher Mensch kämpft ja gegen sich selbst und so hat er nur beschränkte Kräfte frei für die Abwehr äußerer „Feinde“. Seine Schwäche ist einfach eine logische Folge seines Managements seiner Vorstellungen. Es ist kein Geheimnis! Nichts Besonderes.

 

        Doch an jeder Stelle auf diesem Weg ist eine Umkehr möglich!

        Die Umkehr besteht immer darin, dass ein Mensch die Herausforderung (zur Bewusstseinsentwicklung) annimmt und seine Suche fortsetzt, ohne sich mit einer phantasierten Befriedigung zufrieden zu geben.

        Auf diesem Weg lernt ein Mensch sich selbst kennen. Das bedeutet „Bewusstheit“. Dadurch wird er mehr und mehr ganz. Ganz ist gleichbedeutend mit „heil“, geheilt und heil-ig zugleich.

        Ein Mensch, der auf diese Weise „ganz“ geworden ist, kann andere auf diesen und diesem Weg führen. Er ist ein Meister geworden.

        Das Wort Jesu „und auch ‚Meister’ sollt ihr euch nicht nennen lassen“, meint nicht, dass es keine Meister gibt, sondern er meint, dass ein Meister seine Schwächen kennt, dass ein Meister daher weiß, dass er keine Spur „besser“ ist als seine Schüler. Er ist nur an einer anderen Stelle auf seinem Weg. Einer, der das nicht weiß, ist auf keinen Fall ein Meister, gerade aber weil er es nicht weiß, möchte er sich gern Meister nennen, weil er sich gern gut vorkommen möchte. Das möchte Jesus vermeiden. Er will einfach nur Ehrlichkeit.

        Diesen Weg einzuschlagen, setzt keine „Ausbildung“ irgendeiner Art voraus. Es setzt nur voraus, dass jemand umkehrt – egal aus welchen „Motiven“. So bedeutet der Einstieg eines Alkoholikers in das 12-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker, dass dieser Mensch erkennt, dass er es nicht schaffen kann. Seine Kraft reicht nicht aus, sich aus der Sucht zu befreien. Die eigene Kraft kann letzten Endes niemals ausreichen. So lange ein Mensch an seine eigene Kraft glaubt nämlich, trägt er einen inneren Widerspruch in sich, eine Unwahrheit, die Unzufriedenheit und eine gewisse innere Spaltung bedeutet. Die Wahrheit ist nämlich, dass es nur eine Kraft gibt. Wer das nicht anerkennt, lebt in einem inneren Widerspruch. So etwas wie „Stolz“ hält ihn gefangen darin. Es erschiene wie eine „Blamage“ für diesen Menschen, wenn er zugeben würde, dass seine Kraft nicht ausreicht. Daher kann es keine Hilfe geben. Hilfe gibt es erst, wenn die Hilflosigkeit eingestanden ist, weil diese eingestandene Hilflosigkeit eine Wirkung auf die anderen Geschöpfe hat. Alle werden davon bewegt.

        Anders betrachtet herrscht im Moment dieses Eingeständnisses nämlich völlige innere Einheit, denn dieses Eingeständnis ist die Wahrheit dieses Augenblicks. „Kung Fu bewegt sogar Schweine und Fische“, heißt es im I Ching. Im Alten Testament sind sogar Heuschrecken und Bakterien davon bewegt worden. Kein Gott musste ihnen befehlen, sie folgten einfach der Wahrheit. Das ist die Realität. Es ist kein „Wunder“, es ist nur eine logische Folge. So ist die Natur gebaut. Die Wahrheit bewegt (bewusst oder unbewusst) alle, die helfend eingreifen können.

Andere würden sagen „die konzentrierte Energie kann alles bewegen“. Darauf beruht ja der gefürchtete Karate-Schlag. Er ist nur möglich, wenn ein Mensch zumindest für diesen Augenblick alle seine Kräfte versammeln kann.

        Wenn jemand beispielsweise ein Karate-Meister werden möchte, muss er diesen Weg beschreiten. Er wird auf seinem Weg logischerweise immer wieder entdecken, dass er nicht ganz gesammelt (=ganz =heil) ist. Er wird sich daher auf die Suche machen müssen nach den „Störungen“ und so wird er es nicht vermeiden können, die Wahrheit zu erkennen, die eben wieder die eine ist: dass es so etwas wie eine „eigene Energie“ nicht gibt, sondern dass es eben nur eine Energie gibt und dass diese Energie nicht nur die ist, aus der alles besteht und hervorgeht, sondern dass es auch die ist, die vorwärtsdrängt in eine klar erkennbare Richtung: in Richtung Bewusstheit. Die ganze Evolution drängt in Richtung Bewusstheit, in Richtung Selbsterkenntnis. Und am Ende dieses Prozesses gibt es nur eine Konsequenz, nämlich sich voll und ganz jener Energie anzuvertrauen. Und das ist wieder (so wie schon bei jeder Bewältigung einer jeden Aufgabe in der Vergangenheit) ein über sich hinaus Gehen, das letztmögliche über sich hinaus Gehen. Am Ende natürlich ein sich völlig darin Verlieren. Wieder eine Art Tod und dann die letzte Auferstehung im bewussten Erleben der Einheit, im Wahrnehmen der Welt aus der Perspektive Gottes, im Gott Sein – selbstverständlich nicht im Sinn eines abgespaltenen Wesens. Daher gibt es auf dieser Ebene keinen „Stolz“, keine individuellen „Ziele“ etc. Aber es gibt, solange ein solcher Mensch noch in seinem Körper lebt, den Zug zurück in die individuelle und zeiträumlich gebundene Existenz.

        Was darüber hinaus möglich ist, weiß ich nicht, aber natürlich könnte es Menschen geben, die das kennen. Ob mir diese Erkenntnis helfen kann, weiß ich auch nicht. Ich bin (noch) nicht dort. Ich habe ohnehin nur die Möglichkeit auf meinem Weg einfach immer nur die nächste Schwelle zu überschreiten. Ich kann niemals die übernächste überschreiten, genauso wenig wie ich mit meinem Körper den Raum überwinden kann, außer indem ich mich kontinuierlich darin bewege. Wenn ich in einem Gebäude in den sechsten Stock kommen will, muss ich alle dazwischenliegenden passieren. So ist es auch mit dem Weg der Bewusstheitsentwicklung.

 

        Den Leitfaden auf diesem Weg bilden immer die Wünsche.

        Indem wir leben, verbrauchen wir Energie und die müssen wir uns wieder zuführen. Das bewerkstelligen die Wünsche. Da Menschen komplexe Wesen sind, sind auch die Wünsche komplex. Es gibt eine Hierarchie darin. Jeder Wunsch geht immer in Richtung größerer Bewältigung. Deshalb heißt es in der Bibel, dass der Mensch Beherrscher der Natur sein soll. Das ist natürlich dogmatisch missverstanden worden als Erlaubnis zur hirnlosen Ausbeutung. Logischerweise geht es aber zunächst um die Herrschaft im eigenen Haus. Wer sich nicht selbst beherrschen kann, wird auch sonst nichts beherrschen.

        Die spirituelle Entwicklung ist ohne Selbstbeherrschung nicht möglich.

        Wenn ein Mensch sich soweit gehen hat lassen (so wenig Selbstbeherrschung hatte), dass er durch eine Sucht dem Tode nahe ist, sich also mit dem eigenen Tod konfrontiert sieht, hat er aber immer noch die Chance zur Umkehr und es sind nicht wenige, die diese letzte Chance nutzen, denn wenn sie sie nicht nutzen, sind sie tot. Jeder hat also gewissermaßen eine Chance bis zum letzten Moment. Nur wenn dieser Moment ungenutzt vorübergegangen ist und der Tod eintritt, gibt es natürlich keine Möglichkeit mehr zur Umkehr. Und dieses Bewusstsein ist natürlich die Hölle.

        Die Umkehr besteht in der Erkenntnis, dass die eigene Kraft nicht ausreicht, dass es da aber vielleicht noch eine andere Kraft geben könnte, ja dass diese Möglichkeit immer stärker in Betracht gezogen wird, bis schließlich die Kapitulation, die Übergabe des eigenen Schicksals an diese Kraft erfolgt. Und damit beginnt der Aufstieg auf der Leiter der Bewusstheit. In der Bibel erscheint diese Leiter im Bild von der „Himmelsleiter“, die Jakob gesehen hat.

 

        Die meisten Menschen aber bleiben, wie schon gesagt, irgendwo stehen. Sie wollen sich nicht länger abmühen und aussetzen. Sie leben lieber mit der Lüge und der daraus resultierenden Schwäche, die schließlich auf irgendeine Weise sogar zum vorzeitigen Tod führen wird – unausweichlich.

        Sie sind dazu übergegangen, sich zu beklagen und sich den Klagen anderer auszusetzen und vor allem sich selber zu bedauern – und das Schicksal nicht zu akzeptieren. Trotz der negativen Folgen ist es möglich, in diesem Zustand zu verweilen, sogar bis zum Tod oft erst nach vielen Jahrzehnten, ohne je zum Bewusstsein zu erwachen. Es wirken starke Kräfte in diese Richtung, nämlich die extrem starke Suche nach Mittätern, die bewirkt, dass diese Menschen sich gegenseitig in ihren Illusionen bestärken und festhalten und sich gegenseitig dafür belohnen, dass auch die Anderen sich mit der Unwahrheit zufrieden geben – oder mit einer Teilwahrheit, was letzten Ende eben auch eine Unwahrheit ist. Das ist die sogenannte „normale“ Welt.

        In dieser sogenannten „normalen“ Welt herrscht daher jene Abhängigkeit vom Nichtaufdecken der Wahrheit. Biblisch ausgedrückt, herrscht hier „der Mammon“. Das ist nämlich der „Gott“, der die letzte Wahrheit nicht zulässt. Man belohnt sich gegenseitig dafür, dass man sich nicht aufdeckt. Deshalb werden in der „normalen“ Welt die Menschen so oft verfolgt, die sich um Wahrheit bemühen. Das bedroht die „normale“ Welt. Die Wahrheit macht ja alle auf ihre Schwäche aufmerksam und die wollen die „normalen“ Menschen nicht sehen. Sie sind zu stolz dafür. Sie wagen es nicht, sie sich einzugestehen. Sie wollen ja immer gut dastehen vor den Anderen. Sie wollen immer irgendwer sein, eine Rolle spielen für die anderen, bestätigt werden von den Anderen, weil sie jene andere Bestätigung überhaupt nicht kennen, die durch die Wahrheit erfolgt.

 

        Anstatt jener mickrigen Existenz, die nicht einmal ihre eigenen Wünsche sich erfüllen kann und natürlich Angst hat, das jemand das bemerken und ausnutzen könnte, erscheint in der Wahrheit, d.h. im Eingeständnis des eigenen irreparablen Ungenügens, eine völlig andere Existenz, eine Art Fusion mit dem All mit geradezu unendlicher Energie, die nun aber nicht mehr im Sinn des biblischen „Baal“, also des sich gegenseitigen Übertrumpfens eingesetzt wird , sondern zur Förderung der Bewusstheit aller.

        So ist die Energie des Alls. Sie drängt auf allen Kanälen in Richtung Bewusstheit. Und nichts befriedigt mehr, als die Energie durch sich fließen zu lassen. Das ist der biblische „Himmel“. Einen anderen Himmel gibt es nicht. Dieser Energie das Fließen zu verweigern macht die biblische „Hölle“.

        Wenn der letzte Richter im letzten Gericht Jesu sagt: „Ihr die ihr mich krank gesehen habt und mich besucht habt“... etc., meint er nicht mehr oder weniger als diejenigen, die dieser Energie gefolgt sind. Denn das sind die „Taten“ jener Energie. Es ist keine Leistung. Es ist nur ein Folgen, ein Nachgeben in den natürlichen Drang. Deshalb Jesu Beispiel mit dem barmherzigen Samariter, also eines Menschen der keine Ahnung hatte von Moral oder Gesetz, der nur ein natürliches Gespür hatte, dem er gefolgt ist.

Es zur Grundlage einer „neuen“ Moral zu machen, zeigt nur ein grundlegendes Missverständnis. Wir brauchen diese Moral nicht, denn es ist uns ein natürliches Bedürfnis, ein natürlicher Drang, zu handeln wie der „barmherzige Samariter“. Wir brauchen diesen Drang nur nicht behindern durch unsere Gedanken, wie der Priester und der Schriftgelehrte im Beispiel Jesu es getan haben. Die Moral ist keine Hilfe, sie ist ein Hindernis. Trotzdem kann sie auch als Hilfe benützt werden, aber erst, wenn ein Mensch sie als eine Art Mahnung zur Wachsamkeit verstehen kann, als eine Art Wecker, also erst, wenn ein Mensch ihre ursprünglich intendierte Bedeutung erkannt hat. Dazu muss er natürlich auf dem Weg der Bewusstheitsentwicklung schon ein gutes Stück gegangen sein.

        Im Gegensatz zu einem „Kurs in Wundern“ ist dieser Weg ein Kurs jenseits der Wunder, ein Kurs in Realität – in ihrer tiefsten Tiefe – und das ist eben nicht das Außergewöhnliche. Und doch ist es eine Offenbarung. Die Offenbarung schlechthin.

        Auf diesem Weg erscheint von selbst das, was dann später von Menschen mythologisiert „Offenbarung“ genannt wird. Für die, die es in einer Art von dogmatischen Sinn „Offenbarung“ nennen, ist es aber keine Offenbarung, sondern eben ein Dogma, ein für wahr halten, ein bloßer Glaube, dem die Erfahrung fehlt. Ein Buchstabe. Und an dem hängen sie, weil sie die Realität nicht kennen.

        Aus diesem Buchstabenglauben entstehen dann die Rivalitäten zwischen verschiedenen „Offenbarungen“ mit all den bekannten Folgen. Und auch innerhalb einer „Offenbarung“ die Verfolgung all derer, die eine bestimmte vorherrschende Sicht nicht unterstützen.

        Ganz anders ist das natürlich bei denen, die die Offenbarung persönlich kennen. Sie wenden sich manchmal zwar auch gegen Menschen und Tendenzen, aber eben nicht um persönlich recht zu haben, sondern um die allgemeine Bewusstheit zu fördern. Sie stehen im Dienst der Bewusstheit. Die Buchstabengläubigen wollen die Bewusstheit verhindern, weil eine größere Bewusstheit nämlich schmerzhaft für sie wäre. Sie verlören gänzlich ihre (eingebildete) Bedeutung. Sie wären plötzlich nichts mehr. Das ertragen sie nicht.

        Es scheint also in der Welt eine Art Kampf zwischen „gut“ und „böse“ zu geben. Aber das ist nicht jener Kampf zwischen Bewusstheit und Unbewusstheit. Die „Guten“ und die „Bösen“ leben beide in der Illusion. Wer von den beiden die größere Chance auf Bewusstheit hat, ist nicht von vornherein entschieden. Der Kampf um Bewusstheit beginnt erst nachher, jenseits von gut und böse, also wenn die „Guten“ eingesehen haben, dass sie in Wirklichkeit gar nicht gut sind und wenn die „Bösen“ eingesehen haben, dass sie in Wirklichkeit nicht böse sind.

Es ist einfach so: Die Energie drängt auf Bewusstheit, die Trägheit, will Bewusstheit behindern. Das ist alles. Es gibt, wie schon gesagt, keine „böse Macht“. Es gibt nur eine Behinderung dieses Drängens durch irgendetwas.        Es steckt keine Absicht dahinter. Es ist einfach nicht zu vermeiden dass alles, was ist, auch einen Schatten wirft, der andere gelegentlich des Sonnenlichts beraubt. Interferenz ist die Ursache allen Übels. Und Interferenz lässt sich unter gar keinen Umständen vermeiden. Sie ist notwendig gegeben durch die Existenz von etwas. Alles Existierende muss ja seine Energie von irgendwoher nehmen, sie irgendetwas anderem wegnehmen. Es geht nicht anders. Das Leben ist auf dem Tod aufgebaut in jeder Hinsicht.

        Da diese Tatsache nicht verändert werden kann, geht es nur um die Frage, wie sich ein Mensch verhält, auf den ein Schatten irgendeiner Art gefallen ist. Ob er hypnotisiert wird von dem Schmerz oder ob er sich davon wieder lösen kann. Alle Kranken irgendeiner Art sind hypnotisiert, solange sie krank sind. Der Wendepunkt kommt, wenn sie sich abwenden können von dem Schatten, wenn sie wieder das Licht sehen können. - Wenn sie den Schmerz richtig fühlen, werden sie sich abwenden können, sie werden sich zutiefst abwenden wollen. Ganz viele Menschen scheinen sich aber nicht abwenden zu können von dem Schatten. Sie sind gefangen in der gut/böse-Welt. Sie glauben, wenn sie leiden, wären sie im Recht, wären sie also gut und diejenigen, von denen der Schmerz kommt, wären schlecht. Und so genießen sie den Schmerz oft (natürlich ohne sich das einzugestehen), um besser zu sein. Natürlich können sie auf diese Weise nicht herauskommen und sie werden daher Betäubungsmittel brauchen.

        Wenn ein Mensch aus einer solchen Hypnose erwachen soll, muss er den Schatten aushalten, ohne auszuflippen. Er muss Schmerz ertragen können. Das muss er lernen. Deshalb ist der Weg der Bewusstheitsentwicklung ein schmerzhafter Weg.

Nicht dass die Unbewussten weniger Schmerzen hätten, sie betäuben sich nur und sie nehmen den Schmerz nicht freiwillig auf sich. Er wird ihnen vom Leben aufgezwungen. Deshalb sind sie dem Leben auch oft böse. Sie meinen, sie wären „gut“ und „das Leben“ wäre „böse“, oder eben ihre Mitmenschen. Sie fühlen sich dauernd als Opfer und wollen sich ständig rächen. Das ist die das Kennzeichen der Unbewusstheit. Die Bewussten wissen, dass es nichts zu rächen gibt, weil nämlich alles in bester Ordnung ist. Es könnte nicht besser sein! Selbst wenn sie im Augenblick etwas trifft, was andere für ein großes Unglück halten würden, wissen sie das und erfahren sie das. Die Unbewussten haben höchstens eine Ahnung davon, manchmal, in Augenblicken, in denen die Bewusstheit durchschimmert. Die Bewussten sehen die Notwendigkeit, so wie Jesus sie gesehen hat. Natürlich hat er sich nicht verweigert, sondern den Schatten auf sich fallen lassen, die Schmerzen ertragen einschließlich seines physischen Todes. Das Ergebnis ist bekannt. Höchste Bewusstheit und ein Maß von Wahrheit, das kaum je erreicht wird und dessen Wirkung (auf uns „Schweine und Fische“) daher kaum zu übertreffen ist.

So wirkt auch der Schatten in Richtung Bewusstheit. Außerdem erzeugt er ohnehin den Wunsch, ihn zu verlassen – oder den Wunsch, sich darin auszuruhen. Das alles ist nämlich einem bewussten Menschen möglich. Er darf der Wahrheit Ausdruck verleihen. Und manchmal wird er böse sein. Und das werden die Betroffenen dann merken und sie werden aufwachen – oder sich in Richtung Tod weiter verhärten. Entweder bewusst werden oder sterben, das sind die Alternativen. Ganz natürlich. Eine Übernatur ist da nicht nötig. Aber natürlich kennt niemand die Grenzen der Bewusstheit. Unser Vorstellungsvermögen ist immer durch das begrenzt, was wir kennen. Daher können wir nicht sagen, was wirklich möglich ist.

Alle Rede über ein „Leben nach dem Tod“ ist unehrlich. Niemand weiß etwas darüber. Aber wozu sollten wir uns Gedanken machen über etwas, das wir nicht wissen können, wo der Weg zur Bewusstheit uns doch schon genug fordert an dem Platz, an dem wir sind. Wir können doch nur sagen, was der Apostel Paulus schon gesagt hat: „Kein Auge hat es gesehen und kein Ohr hat vernommen, was Gott denen bereitet, die ihn lieben“ (1 Kor 2,9). Das ist eine ehrliche Projektion. Wenn wir davon ausgehen, was durch unsere Bewusstheit jetzt möglich ist, dann wissen wir, dass eine noch tiefere Bewusstheit noch viel befriedigender sein muss als unsere gegenwärtige. Aber das reicht auch schon an Spekulation. Alles darüber hinaus ist Betäubung, eine ersatzweise Befriedigung in der Phantasie. Wir sind jetzt hier und da liegt das Feld unserer Bewusstheit. Was natürlich nicht heißt, dass wir nicht in unserem Jetzt, wie Paulus weiter schreibt, uns vom Geist in die Tiefen Gottes führen lassen könnten (ebd.) – wenn dieser Geist es will. Ein bewusster Mensch ist ja nicht der Herr seines Schicksals. Er weiß das. Daher entscheidet er nicht willkürlich, er lässt sich nur führen. Dadurch erscheint er sehr selbstbewusst. In Wirklichkeit misstraut er sich selbst total, vertraut dafür aber umso mehr dieser Führung durch „den Geist“. Auf sie allein richtet sich seine Bewusstheit. Diese Bewusstheit ist also einfach ein Wahrnehmen, ein Fühlen und in diesem Fühlen „offenbart“ sich die Wirklichkeit und in ihr der nächste Schritt. Der Rest bleibt im Dunkel. Mehr ist nicht nötig, um ein bestmögliches Leben leben zu können.

 

 

 

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TC

 

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