Beziehungskrisen
04_01_19
In
jeder Beziehung gibt es Krisen, viele Beziehungen zerbrechen daran, einige
gehen in einen Zustand permanenten kalten Krieges, in einigen Beziehungen
verändern die Partner ihre Haltung zueinander und entwickeln damit genau die
Möglichkeit, von der zu Anfang alle geträumt haben.
Das
Grundmuster der Beziehungskrisen ist einfach:
Nach
der anfänglichen Phase der Verliebtheit, während der ein biochemisches Programm
der Natur dafür gesorgt hatte, dass jeder der beiden Partner immer wieder über
seinen Schatten springt und dem anderen entgegenkommt, beginnen die Krisen.
Nachdem die für die Verliebtheit typischen besonderen chemischen Prozesse
eingestellt sind, erfolgt zunächst eine Desillusionierung. Die Glorifizierung
des Partners hört auf. An die Stelle des aufeinander Zugehens treten
Forderungen an den Anderen – und, da diese natürlich ohne Glorifizierung nicht
mehr ohne weiteres erfüllt werden, Vorwürfe.
Der
Partner wehrt sich gegen die Vorwürfe und er grenzt sich ab gegen die
Forderungen. Das wiederum führt auf beiden Seiten zu verstärkten Vorwürfen und
Forderungen. Emotionen schaukeln sich hoch und Krach entsteht, weil die
Vorwürfe und Forderungen nun mit Vehemenz vorgetragen werden. Das geht sehr oft
bis zu physischer Gewalt.
Die
physische Gewalt hat im günstigen Fall eine kathartische Wirkung, ähnlich der
eines Gewitters. Wenn es dabei einen hoffnungslos unterlegenen Partner gibt,
führt das entweder zu einer permanenten Tyrannei [wie oft, wenn der Mann im
Suff die Frau schlägt, diese aber von ihm emotional abhängig ist] oder zu einer
Trennung.
In
jedem Fall aber erzeugt die physische Gewalt Angst, weil auch im Fall eines
positiven Ausgangs nie klar ist, wie der nächste Krach ausgehen wird, ob er
nicht in einer gefährlichen physischen Verletzung enden wird. Diese Angst
unterminiert die Beziehung. Es wird daher klar, dass Gewalt keine permanente
Lösung sein kann.
Wenn
es an diesem Punkt zu keinem Umdenken kommt, gibt es die Möglichkeit von der
Phase des heißen in die Phase des kalten Krieges einzutreten und von nun an zu
koexistieren und auch zu kohabitieren, mangels besserer Einfälle, aus
Gewohnheit und auch um in der Umgebung nicht aufzufallen, die Beziehung so
fortzusetzen, als ob nichts wäre und einen Modus Vivendi zu finden, der es
erlaubt, die Feindseligkeiten immer unter dem Niveau des offenen Ausbruchs zu
halten, zumindest unter dem Niveau physischer Gewalt.
Über
weite Strecken wird in der Phase des kalten Krieges
nicht miteinander geredet, zumindest nicht über die Erwartungen, die die beiden
aneinander haben, sondern nur über notwendige Erledigungen, objektive
Ereignisse der Außenwelt etc. Das kann unter Umständen Jahrzehnte so gehen.
Besonders ist das der Fall, wenn gemeinsamer Besitz die beiden
aneinanderkettet, auch gemeinsame Kinder können der Grund sein.
Weder
in der Phase des heißen noch in der Phase des kalten Krieges machen sich die
Partner bewusst, was sie tun. Sie kommen gar nicht auf die Idee, dass sie eine
grundlegende Veränderung der Beziehung in der Hand hätten. Sie kennen zwar den
Spruch „der Klügere gibt nach“, würden das Nachgeben aber als eine Niederlage
sehen. Daher können sie nicht nachgeben. Der Blickwinkel ist der von Über- oder
Unterlegenheit, also ein Blickwinkel der Macht. Im Status Quo des kalten
Krieges haben beide gleiche Macht, keiner verliert das Gesicht. Die Bedingung
ist, dass keiner nachgibt. Und wenn mal einer doch nachgibt, macht er sogleich
die Erfahrung, dass er das besser nicht getan hätte, denn dann bekommt er die
Macht des anderen zu spüren.
Sofort
heißt es dann: „Da siehst du’s ja, du gibst es ja selber zu, dass du unrecht
hast; ich hab’s dir ja immer gesagt, dass ich recht habe“, usw.
Unterwerfung
oder permanenter Krieg, das ist die Perspektive dieses Stadiums der
persönlichen Entwicklung der beiden Partner.
Dabei
ist die Lösung nur einen Gedanken weit entfernt. Es geht über eine Veränderung
der inneren Einstellung.
Es
wird bei einem der beiden Partner anfangen: Einer wird zuerst des ständigen
Kämpfens müde werden und sich fragen, ob es da nicht einen anderen Weg gibt. Er
wird einfach stehen bleiben und schauen, was da eigentlich geschieht. Und er
wird sehen: Da stehen Forderungen gegen Forderungen und Vorwürfe gegen
Vorwürfe. Beide möchten etwas bekommen und weil und solange sie es nicht
bekommen, weigern sie sich, zu geben. Und weil das auf beiden Seiten so ist,
verweigern sich beide. Beide sind darauf programmiert, den anderen zuerst zum
Nach-Geben zu bringen und da es ihnen nicht gelingt, bekommt keiner was. Eine
typische Verlier-/Verlier-Situation. Keiner kann gewinnen, weil keiner
verlieren will.
An
diesem Punkt der Analyse setzt die Frage ein, was die Situation grundlegend
verändern würde. Das Nachgeben ist ja vorher schon als Lösung ausgeschieden,
weil dann ja der andere gewinnt und man selber verliert. Wie also ist ein
Nachgeben möglich, ohne dass der andere Partner triumphiert als der Sieger, der
es immer schon wusste und der eben Recht hat?
Möglicherweise
braucht es an diesem Punkt einen Hinweis von außen, aber grundsätzlich ist es
möglich, das Koan auch selbst zu knacken:
Die
Perspektive muss umgestellt werden vom Fordern zum Geben. Wenn einer der beiden
Partner erkannt hat, dass er selbst durch seine fordernde Einstellung
verhindert, dass er bekommt, was er möchte, kann er sich entschließen, seine
Einstellung zu ändern. Anstatt das Nachgeben als Schwäche zu sehen, kann er es
als eine Stärke sehen. Weil er als erster zu der Einsicht gelangt ist und daher
mehr sieht als der Partner, kann und muss er die Führung in dieser
Angelegenheit der Partnerschaft übernehmen.
Natürlich
besteht an diesem Punkt die Gefahr der Überheblichkeit. Ihr kann am besten
begegnet werden durch die Erinnerung an die eben noch vorhandene eigene
Einstellung des Forderns. Dann wird klar, dass es nicht um ein „wer ist besser“
geht, sondern um eine Verbesserung des Ganzen – und das ist nur möglich ohne
Überheblichkeit; es ist nur möglich mit dem demütigen Wissen um die eigene
Schwäche, die sich eben bis zu diesem Zeitpunkt in dem Nichtnachgeben geäußert
hat, das die Beziehung bis jetzt im Zustand des Krieges festgehalten hat.
Sobald
das einem der beiden Partner klar ist, kann und muss er nun freiwillig die
Rolle eines Dieners der Beziehung einnehmen. Der Diener tut nicht unbedingt,
was verlangt wird [das tut der Sklave, also der Abhängige in einer Beziehung],
sondern der Diener tut, was dient, was der Beziehung dient.
Der
Diener hört also auf, sich zu verweigern und er geht auf den Partner ein – aber
nicht, indem er sich selbst für nichtexistent erklärt, sondern indem er den
Partner auch auf die Realität seiner eigenen Existenz hinweist.
Er
verweigert sich der Forderung des Partners nicht länger, sondern er geht ein
auf sie, aber so, dass dem Partner klar wird, dass es nicht nur nach seinem
Kopf gehen kann, sondern dass der Partner doch ihn zum Partner gewählt hat und
dass er daher auch die Persönlichkeit des Partners mit in Betracht ziehen muss.
Er fordert ihn daher auf, mit ihm gemeinsam eine für beide akzeptable Lösung zu
finden.
Zunächst
wird der Partner einen üblen Trick hinter der neuen Rolle des Dieners der
Beziehung vermuten und ihn entsprechend behandeln, ihn
mit neuen Vorwürfen deswegen überhäufen. Das ist ein kritischer Zeitpunkt, an
dem die Gefahr besteht, dass der eben selbstgekürte Diener wieder zum
Opponenten des alten Machtspiels wird, indem er von der Gewohnheit in die alte
Rolle hineingerissen wird. Das wird sicher einige Male geschehen, bis die neue
Rolle ganz klar ist.
Die
neue Rolle des Dieners der Beziehung beruht auf vollkommenem Respekt, Respekt
vor der Person des anderen und Respekt vor sich selbst.
Alle
Vorwürfe, die nun natürlich weiterhin vom anderen kommen, werden vollkommen
ernst genommen, aber nicht als objektive Tatsache, sondern als subjektive
Wahrnehmung des Partners. Und der Partner wird behutsam und einfühlsam darauf
hingewiesen. Ein typischer Satz für diese Phase der Beziehung wäre: „Ich kann
verstehen, dass du wütend bist, weil du so lange nicht bekommen hast, was du
möchtest. Ich nehme deinen Wunsch vollkommen ernst und ich werde alles tun, was
möglich ist, um ihn zu erfüllen – allerdings kann ich es natürlich nur auf
meine Weise tun, denn du richtest deinen Wunsch ja schließlich an mich.“
Es
wird Zeit brauchen, aber nach und nach wird der Partner einsehen, dass er vom
anderen nicht genau das haben kann, was er möchte, sondern nur das, was der
andere geben kann, dass die Lösung also nicht in einer einseitigen Domination
liegen kann, sondern nur in einem gemeinsamen Bemühen.
So
wird das Paradigma der Partnerschaft von einer Frage der Macht zu einer Frage
des Miteinanders werden.
Das
anfänglich unbewusste Erkennen, das den biochemischen Prozess der Verliebtheit
ausgelöst hat, wandeln die beiden nun um in ein bewusstes Erkennen, indem sie
sich entschließen, sich und ihren Partner endlich ernst zu nehmen. Und auf
diese Weise werden sie das, was am Anfang von selbst da zu sein schien – die
„Liebe“ – erst jetzt gewissermaßen aus dem Nichts erschaffen.