Bild und Realität
( 7. 5. 2002)
Es ist wesentlich, das Bild nicht mit der Realität zu verwechseln. Das
ist nur eine Variation der Selbstverständlichkeit, dass die Landkarte nicht mit
der Landschaft verwechselt werden darf mit tiefgreifenden Konsequenzen, nicht
nur für die Therapie, sondern auch für die Religion.
Es geht nicht darum, die Bilder wegzurationalisieren zugunsten einer
platten Erklärung. Es braucht beides, Bild und Erklärung. Aber, wenn das Bild
nicht mehr als Bild gesehen, sondern mit der Realität verwechselt wird [wenn
die Erklärung also darin besteht, das Bild für die Realität zu halten],
herrscht das, was man „Aberglaube“ nennt.
Ein Beispiel einer solchen Verwechslung des Bilds mit der Realität ist
ein häufig anzutreffendes Verständnis des Bilds des Propheten Ezechiel von der Wiederbelebung der Knochen durch JAHWE. Ezechiel schildert nur ein Bild. Viele Fromme später aber
haben das Bild als die Wirklichkeit genommen und sich daraus Vorstellungen
gezimmert über ein subjektives Leben nach dem Tod. Dadurch hat das Bild seine
transformierende Kraft verloren, da es doch wesentlich zumindest auch auf eine
Transformation in diesem Leben zielt. Wir selbst sind doch oft diese
vermoderten Knochen, weil wir lebend schon tot sind, weil das Leben aus uns
gewichen ist, indem wir uns in Gewohnheiten eingemauert haben. So wird es zu
einem Bild, das jetzt auf uns wirken kann, das uns jetzt für die andere
Dimension öffnen kann. Dann ist das Bild reflektiert, d.h. auf unsere
persönliche Realität angewandt. Dann wird das Licht der Aufklärung in unser
Dunkel geworfen. Wir werden bewusster unserer Selbst wie unserer Einbettung in
unsere Umgebung.
Ohne Reflexion [also das Bild für eine platte Realität genommen, die
vielleicht entweder bereits gegenwärtig oder irgendwann im buchstäblichen Sinn
eintreten wird] sind die Bilder gefährlich, weil sie dunklen Strömungen des
Unbewussten oft ihren destruktiven Pfad ermöglichen, wie das beispielsweise in
den Hexenverfolgungen oder auch im Nationalsozialismus geschehen ist.
Es geht also nicht darum, die Bilder abzuschaffen, sondern die Bilder
zu reflektieren – und sie dann als geistige Kräfte zu sehen, die wir für uns
benützen können, anstatt unbewusst durch ihre Wirkung von unserer Wirklichkeit
abgelenkt zu werden. Dieser Vorgang ist es ja, was die Schamanen als „Verlust
der Seele“ bezeichnen. Und sie haben Recht, wenn sie diesen Vorgang in einem
Bild von Hexerei beschreiben. Nur reflektiert werden die Energielinien
sichtbar, die zum Verlust der Seele geführt haben [bei den Schamanen ähnlich
wie im Familienstellen] und dann ist auch eine Umkehr möglich. Wenn nun aber
[das Bild für platte Realität genommen wird und] ein Hexer „draußen“ [also in
der Wirklichkeit] zur Strecke gebracht wäre, wäre doch seine Wirkung damit noch
nicht aufgehoben. Das ist daher nicht der Weg der Schamanen. Sie suchen ein
Verstehen zu ermöglichen und eine neue Orientierung, indem sie die Kraftlinien
der Hexerei aufdecken, indem sie das Bild reflektieren, nicht indem sie es für
platte Realität nehmen.
Wenn Bild und Realität verwechselt wird, stürzt man sich auf einen
äußeren Feind, auf einen Sündenbock. Es ist ja bekannt, dass das nicht nur den
Hexenwahn, sondern auch jeden heutigen Fanatismus bringt.
Ein anderes, bei uns weit verbreitetes, und oft als harmlos
betrachtetes heutiges Beispiel sind die Vorstellungen über den Alkoholismus.
Der Alkoholiker wird als der Schuldige gesehen. Das ist eines der Bilder, die
heute mit der Realität verwechselt werden. Es wird dabei nicht gesehen, dass,
wenn man den Süchtigen aus dem Verkehr zieht, man noch nicht das eigentliche
Problem der Koabhängigkeit angegangen hat, ohne das der Alkoholismus oder eine andere Sucht diese
verheerende Wirkung auf ganze Generationen nicht haben könnte. Es gehören eben
immer zwei dazu, einer der es macht und einer, der es mit sich machen lässt.
Ich rede hier von erwachsenen Menschen, die eben ihre Verantwortung und damit
die Wahrung ihrer Souveränität übernehmen müssen. Auch die, die es mit sich
machen lassen, müssen also einen Ausweg aus ihren Abhängigkeiten finden. Es
reicht nicht, wenn sie den Süchtigen beschuldigen. Das Problem sitzt bei ihnen
selbst.
Ähnliches finden wir in der Politik, wo auch oft irgendwelche
Schuldigen gefunden werden, auf die man alle seine eigenen Probleme projizieren
kann. Und das tun immer alle verfeindeten Parteien. Sie finden alles in Ordnung
bei sich selbst und nichts bei den Feinden. Ihre Wahrnehmung ist extrem
beschränkt durch das Bild, das sie anbeten oder verteufeln und das sie für
platte Realität halten. Jetzt beispielsweise zwischen Israel und Palästina oder
vor kurzem noch zwischen Serben und Albanern im Kosovo. Auf dieser Basis kann
keine Lösung gefunden werden.
Es ist das ganze Netz von energetischen Verflechtungen, das gesehen
werden muss, um eine Lösung zu finden. Dann ist das Bild [beispielsweise vom
Alkoholiker oder vom Feind als der Symbolfigur oder dem Symptomträger
in einem ganzen Komplex von energetischen Verflechtungen] reflektiert. Dann
bezieht es das ganze Netz sozialer Verflechtungen ein. Dann wird sichtbar, dass
von realen Personen oder Werten Kraftlinien ausgehen, natürlich nicht nur von
den Lebenden, auch von den Ahnen und von vergangenen Situationen. Dann können
die Kräfte gesehen werden, die in diesem Netz wirken. Und dann kann diesen
Kräften, je nach ihrer Art, begegnet werden.
Durch diese Art von Reflexion müssen alle Lebensbereiche durchleuchtet
werden. Das ist der gegenwärtige Weg. Diese Erkenntnis setzt sich bereits immer
mehr durch. Nicht nur persönlich, auch politisch – zumindest ist das die
Zielvision.
Auf diese Weise lösen sich die Ideologien auf. Der Aberglaube verliert
seine Attraktion. Der Faschismus geht [erst dadurch] zu Ende.
Bewusstheit breitet sich aus.