Böse?
Als
Begriff hat sich das so genannte "Böse" abgelöst von seinem Ursprung
und ist zu einem moralischen Begriff geworden, der mit dem ursprünglichen
unschuldigen Böse–Sein so gut wie nichts mehr zu tun hat. Statt dessen hat sich
aus dem Begriff des "Bösen" eine ganze Gegenwelt zum so genannten und
vorgestellten "Guten" gebildet, die für real gehalten wird, wodurch
sie natürlich eine eigenständige Wirk–lichkeit gewinnt.
Das
ursprüngliche Böse–Sein ist, wie schon gesagt, davon weit entfernt und vollkommen
unschuldig, es ist einfach eine biologische Reaktion auf eine Benachteiligung.
Dennoch kann das Böse–Sein schon lange bevor es dieses begriffliche Eigenleben
entwickelt, durch eine Art hypnotischer Fixierung der Aufmerksamkeit eine
gefährliche Eigendynamik bekommen, wie andere menschliche Energiephänomene
(Sexualität, Rivalität etc.) auch. So etwa sieht es auch die Bibel gleich im
Anschluss an ihre Erklärung des "Sündenfalls" in der genauso
aufschlussreichen wie morallosen Geschichte von der Ermordung Abels durch
seinen Bruder Kain (Gen 4, 1–16).
Die
Geschichte geht ja so: Kain, der Ackerbauer war wütend, weil das Opfer, das er
dargebracht hatte, von Gott anscheinend nicht angenommen wurde: Im Gegensatz
zum Opfer des Viehhirten Abel stieg bei Kain der Rauch nicht zum Himmel auf und
Kain fühlte sich betrogen:
Eine
Art Schatten fällt auf mich, ich ärgere mich, ich bin böse – ein biologisches
Element der Selbsterhaltung, denn ich wehre mich. Bis da hin sieht auch der
Verfasser des entsprechenden Abschnitts der Bibel kein Problem. Wie schon in
der Erzählung vom Sündenfall beginnt das Problem auch hier erst, als Kain sein
inneres Wissen ignoriert:
"Der Herr sprach zu Kain: Warum
überläuft es dich heiß und warum senkt sich dein Blick?
Nicht wahr, wenn du recht tust, darfst du
[dein Gesicht] hoch tragen; wenn du nicht recht tust, lauert am Eingang der
Fehltritt [wie ein Dämon].
Auf dich hat er es abgesehen, doch du werde
Herr über ihn." (Gen 4, 6f.)
Die
emotionale Energiewelle ist durch die unkontrollierte Rückkopplung der
Aufmerksamkeit schon über das Maß des Normalen hinaus hochgeschwappt. Am Anfang
wäre es leicht gewesen, aber auch zu diesem Zeitpunkt gibt es noch die
Möglichkeit, das Böse–Sein unschuldig und in einer harmlosen Form zu äußern.
Doch Kain äußert sich nicht – weder Gott noch Abel gegenüber. Er entscheidet
sich gegen das Bewusst–Werden. Er macht auch nicht den Schritt zurück in die
aktive Beobachterposition, die ihm "sein Herr" empfiehlt. Er lässt
sich übermannen von seiner Wut.
Auch
dieses Sich–nicht–lösen–Können, das Kain und Abel zum Verhängnis wird, hat
ursprünglich einen biologischen Sinn nämlich als wichtiger Parameter der
Brutpflege und der Solidarität der Gruppe (der Stammesgemeinschaft). Starke
Gefühle sorgen für seine Durchsetzung. Im Bereich des menschlichen Instinkts
ist da auch kein Problem, denn da gibt es andere Parameter, die eine Eskalation
verhindern. Sobald jedoch die Bewusstheit einsetzt und die unbedingte Geltung
jener Parameter aufhebt, also sobald aus menschlichen Tieren bewusste Menschen
werden, gibt es eine neue Priorität, nämlich die Bewusstheit – als Aufgabe und
als Chance. Genau dafür steht "der Herr"!
Dass
Kain böse wurde, war, wie gesagt, noch nicht das Problem. Das war noch eine
unschuldige, instinktive Reaktion auf eine Frustration. Doch Kain äußert seine
Frustration nicht. Er spielt mit verdeckten Karten, weil er schon zuvor ein
neues Paradigma eingeführt hat – er der Ackerbauer im Verhältnis zum Viehhirten
– nämlich das Paradigma des Berechnens statt des Wahrnehmens. Deshalb schaut er
nicht mehr, was ist. Durch seine Berechnung weiß er es ja schon. Deshalb fühlt
er sich auch von Gott verschmäht. Im beschriebenen Fall des nicht aufsteigenden
Opferrauches wäre er, so lange er unschuldig war, wohl einfach auf ungünstige Wetterbedingungen
gestoßen, aber Kain ist ganz offensichtlich schon weit jenseits der Unschuld
und so symbolisiert der am Boden kriechende Rauch auch für ihn selbst seine
unlautere Motivation – Nachahmung, Berechnung statt Originalität. In dieser
Welt der Berechnung gibt es nun aber auch berechnete Ursachen, und damit jemand
der schuld ist [hier liegt der Ursprung des Konzepts der moralischen
"Schuld"]. Der rationale Kain errechnet Abel als den Verursacher. Auf
ihn projiziert er daher seine Wut – die aus einem dem berechnenden Verstand
unbekannten Bereich der Wirklichkeit kommt. Dieser Bereich ist für den Verstand
uneinsehbar und muss daher – soll der Verstand in dem Glauben bleiben können,
er hätte die Kontrolle – aus dem Bewusstsein ausgeklammert werden und bleiben.
Weil seine Wut aber durch die Welt der Berechnung transformiert ist [es ist
keine unmittelbare Wut mehr, sondern eine Art Meta–Wut], gewinnt sie in seiner
nun rational geglaubten Welt eine irrationale Eigenmächtigkeit, sie wird zum
[vom eigenen Bewusstsein abgespaltenen] "Dämon", der den folgenden
Fehltritt provoziert.
Aber
immer noch ist Zeit zur Besinnung. Eine warnende Stimme erhebt sich. Die
biologisch gegebene sensorische Ausstattung funktioniert, doch Kain will den
inneren Hinweis nicht wahr nehmen. Das würde ja seine so praktische neue Welt
zum Einsturz bringen. Und so erliegt er den Fesseln der von ihm selbst
eingeführten Parameter.
An
die Stelle der unmittelbaren Wahrnehmung ist nun das vorausberechnete Bild
getreten. Die Wirklichkeit erscheint nun als "gut" (falls die
berechneten Maßnahmen für ein erwünschtes Ergebnis ausreichend waren) oder als
"schlecht" (falls sie nicht ausreichend waren). Die Ziele selbst
entstammen nicht mehr der Wahrnehmung einer inneren Führung, also dem Spüren,
sondern der errechneten Profitmaximierung, also einem von anderen übernommenen
bzw. mit anderen bewusst oder unbewusst vereinbarten Wert.
Die
Verantwortung hat nun auch nicht mehr das Individuum oder ein im Fühlen
gegenwärtiges Kollektiv (z.B. Familie oder Stamm), sondern sie ist
abgespalten, übertragen auf die ungreifbaren Produzenten der neuen berechneten
Werte. Der Brudermord zeigt damit auch, wie schwer es den Menschen fällt,
selbst die Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Sie orientieren sich eben
lieber an den (von wem immer gegebenen) äußeren Werten als an ihrer eigenen
Wahrnehmung. Weil sie sich dem Berechnen verschrieben haben, trauen sie sich
selbst nicht mehr und damit können sie auch ihrem "Herrn" (Gott)
nicht trauen, denn wie könnten sie ihn wahr nehmen, wenn nicht aus sich selbst?
Und so hört Kain nicht mehr auf die Stimme seines Herrn. (Auf sie zu hören wäre
Selbstverantwortung.)
Weil
diese aber ohnehin nicht mehr gegeben war, wurde von den religiösen Führern
jenes Stadiums der Entwicklung der Menschheit das Prinzip der
Selbstverantwortung aufgegeben und mit magisch–hypnotischer Begründung (als vom
allmächtigen Gott übernatürlich übermitteltes Gebot) eine allgemeinverbindliche
Moral eingeführt – die aber natürlich in der Summe mehr Wahn und
Scheinheiligkeit als bewusste Verantwortung erzeugt, weil sie die individuell
situationsangepasste natürliche Reaktion nun ganz "offiziell" ersetzt
durch ein allgemeines Schema, Bewusstheit durch Begründung und das innere
Wahr–Nehmen durch Berechnung – alles
Ablenkungen von der (und gleichzeitig Ersatz für die) Wahrnehmung, ganz im
Gefolge des Sündenfalls. Das "Offizium" (die religiöse Behörde) wird
so Garant fortgesetzter Unbewusstheit. Das Ergebnis kann logischerweise nur
dann nicht katastrophal sein, wenn dem Benutzer der Moral so viel Bewusstheit
bleibt, dass er die Moral nicht als unbedingtes Gesetz, sondern als eine Art
Richtschnur für seine (wiederzugewinnende) Wahrnehmung betrachtet. [Die
Katastrophen in der Geschichte des Christentums sind bekannt – wo in diesem
Vorgang "Erlösung" liegen soll, ist – noch – unbekannt.]
Genau
das war der Punkt Jesu in seiner Argumentation mit den Schriftgelehrten. Mit
Jesus hätte die Menschheit in ein neues Zeitalter ihrer Entwicklung eintreten
können, in das Zeitalter der Bewusstheit. Aber er wusste bereits, dass es nur
ein kleiner Kreis sein würde, der das versteht. – Es war nicht deshalb ein
kleiner Kreis, weil er so hohe moralische Anforderungen stellte, wie eine große
Menge derer, die sich heute "Christen" nennen, glaubt, sondern es war
deshalb ein kleiner Kreis, weil nur wenige es wagen, zur Wahrnehmung
zurückzukehren und auf die Stimme des Geists zu hören – also jener am Beispiel
Kains oben dargestellten biologischen Wahrnehmungsfähigkeit. Die meisten trauen
sich das nicht. Sie wollen "sicher" sein, daher verlassen sie sich
nicht auf sich selbst, sondern auf das, was die Anderen ihnen sagen. Eine
religiöse Behörde zu haben, die einem sagt, wo's lang geht, könnte man
natürlich auch als eine Art Erlösung betrachten, nämlich als die Erlösung von
der Selbstverantwortung.
Das
unbedingte Paradigma der Moral ist damit eine Art Rückfall in die Zeit vor der
Bewusstheit. Jesus wollte das ganz klar nicht. Deshalb sind in seinen
Geschichten heroischer Selbstaufopferung die beruflichen Moralapostel immer
die, die am Schlechtesten abschneiden, wie im Gleichnis vom barmherzigen
Samariter. "Im Geist und in der Wahrheit" ist seine Quintessenz
und weder in dem Einen noch in dem Anderen ist auch nur eine Spur von Moral.
Das hatte vor zweihundert Jahren der Evangelische Theologe Schleiermacher ganz
deutlich gesehen – sieht es im Moment im christlichen Bereich irgendwer? Alle
scheinen ganz glücklich mit dem Glauben, dass der Geist in der
Kirchenorganisation eingefangen wurde, obwohl es bekanntermaßen zur Definition
von "Geist" gehört, dass er nicht festgehalten werden kann. Es ist
wie eh und je. Schließlich wurde Jesus ja auch von den Vertretern der damaligen
Kirche zum Tod verurteilt, weil er genau auf diesem Punkt beharrt hat. Wie schön,
dass man sagen kann, es wäre nicht die Kirche gewesen, die ihn töten hat
lassen, sondern die religiöse Behörde der Juden. Dass Jesus selbst prophezeit
hat, es werde nach ihm so weitergehen, wie es schon vor ihm war, verunsichert
die Vertreter der heutigen religiösen Behörden ebenfalls nicht– logischerweise.
Das
Paradigma der Moral ist eine der wichtigsten Säulen des geistigen Gebäudes der
Kirche. Es gibt ihr einen bedeutenden Teil ihrer Lebensberechtigung. Sie gibt es als das
geistige Vermächtnis Jesu aus. Es ist aber nichts weniger als das. In Wahrheit
war es die Basis für das Todesurteil über ihn sowie für die Todesurteile über
alle die Propheten, deren Schicksal schon Jesus beklagt. Aus diesen Gründen
sind die Kirchen auch heute wieder (wie zur Zeit Jesu) zu
Erlaubnisvereinigungen geworden, die aber keine Erlaubnis zu leben erteilen,
sondern in denen sich die Gläubigen die Verbote abholen für all das, was sie
ohnehin nicht zu tun wagen. Auch insofern also eine Erlösung. Logischerweise
untergräbt diese Tatsache aber ihre Attraktivität. Attraktiv ist immer das
Ursprüngliche. Irgendwann wird diese Tatsache sich [auch finanziell] auswirken
und deshalb wird irgendjemand irgendwann umdenken müssen. "Umdenken,
umkehren!" ist doch schon die Botschaft Jesu.
Was
bringt die Moral? Hätte sich Kain durch Moral davon abhalten lassen, seinen
Bruder umzubringen? Im Gegenteil, die Moral hat ihn zum Brudermord getrieben.
Und wie wirksam die Moral in der Welt ist, zeigt der Zustand der Welt. Woran
halten sich die Menschen? Sie wollen ihr Gesicht nicht verlieren, das ist
alles. Dazu ist die Moral hervorragend geeignet. Und wer kann die Menschen dazu
bringen, dass sie es dennoch wagen, der Wahrheit zu folgen? Die Moral? Wohl
kaum. Nur der Geist kann das.
Waren
es die zweitausend Jahre Christentum, die die Menschenrechte hervorgebracht
haben oder waren es die dreitausend Jahre Bibel? Und warum meint Lao–tse
"Wer den Weg verliert, ist nachher tugendhaft"? Und: "Höchste
Tugend weiß von der Tugend nicht"! – Wie geht also der Weg zurück ins
Paradies? Oder sind wir fast schon dort? Ein bisschen mehr Moral noch und wir
haben es geschafft? Wir hören diesen Anspruch doch überall. Aus ihm spricht der
Geist der Moral! – In Wirklichkeit schaffen wir es nicht! Wir können es nicht
schaffen, denn es ist nicht zu schaffen. Nur eine andere Kraft kann schaffen
und es gibt nur einen Weg ins Paradies, nämlich auf diese andere Kraft zu
hören.
Kain
schon hatte die Chance. Die Stimme dieser Kraft war da, aber er war so
verblendet von seinem Schaffen Wollen, dass er sie nicht hören konnte. Er
wollte so gut sein, wie sein Bruder. Er wollte auch von Gott anerkannt werden.
Dafür tat er alles. Er verstand nicht, dass Abel ein anderes Motiv hatte für
sein Opfer. Für Abel war es ein Ausdruck purer Freude. Die kannte Kain gar
nicht. Kain war der erste Vertreter der Moral (weil er gut sein wollte, hat er
doch sein Opfer dargebracht). Und dieser erste Vertreter der Moral hat den
ersten Vertreter der Propheten umgebracht – weil er enttäuscht war darüber,
dass er es nicht schaffen konnte!
Innerhalb
dieses Paradigmas gibt es keinen Ausweg, denn es ist einfach wirklich nicht zu
schaffen. Niemand kann dem Moralgesetz entsprechen. Es ist nicht menschlich
(und natürlich noch weniger göttlich), es ist ein (paranoider) geistiger Zwang,
ein Ergebnis des Schaffen Wollens, also des Sündenfalls. Weil es darin keinen
Ausweg gibt, wird Kain (von niemand) damit "bestraft", dass er
"auf ewig" in diesem Zwang lebt. – Und da sollte jemand nicht
wirklich böse werden!
Natürlich
braucht es keine "Strafe": Die Unbewusstheit selbst ist die Strafe.
Sie bleibt, bis das daraus resultierende Leiden unerträglich wird. Kains Dialog
mit Gott nach seiner Tat zeigt, dass er gerne bestraft werden würde, wie ein
Kind, das etwas angestellt hat, bestraft werden möchte, "damit alles
wieder gut wird". Bei Erwachsenen geht das nicht mehr so. Niemand bestraft
ihn; er muss mit seinen Taten leben – er lebt mit dem "Kains–Mal":
"Das ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortwährend Böses muss
gebären." Und: Er wird von niemand geliebt, weil ihm die natürliche
Herzlichkeit fehlt.
Wir
brauchen wieder mehr Selbstvertrauen, wenn wir da herauswollen. Amokläufer wie
Kain sind gescheiterte Schaffer. Sie sind so böse geworden, weil sie es den
anderen nicht länger recht machen konnten. Und weil sie glaubten, sie hätten,
aufgrund ihrer Anstrengungen einen Anspruch, der aber nicht erfüllt wurde,
nicht erfüllt werden konnte, wurden sie logischer weise noch mehr böse und
durch die Moral dazu noch gefangen in einer verhängnisvollen Denkschlaufe, die
auch die Einsicht unmöglich machte.
Natürlich
gibt es auch äußerst moralische Menschen, die durch die Frustrationen eines
lebenslangen Trainings ihrer Moral zur Ehrlichkeit veranlasst wurden. Sie
können bezeugen, dass es so ist und auch, dass es letzten Endes nicht die Moral
war, die sie rettete, sondern eine andere Kraft – und es war auch nicht ihr
Glaube (kein "sola fides") – es war reine Gnade!
Da
wir unter den Bedingungen des Sündenfalls geboren wurden, also die Welt des
Berechnens mit der Muttermilch eingeflößt bekommen haben, gehört auch die Moral
von Anfang an zu unseren Daseinsbedingungen. Daher möchte ich die Moral nicht
verurteilen. So weit sie zu einer vernünftigen Disziplin veranlasst, ist sie
innerhalb der Welt des Sündenfalls sehr hilfreich, heraus aus ihr führt sie
jedoch als Moral nicht – entgegen dem Glauben der Vielen, die sich von ihr die
Rettung versprechen – helfen kann sie nur, wenn sie nicht als eine Forderung erscheint,
sondern als ein einladendes Bild von einem idealen, ja paradiesischen Zustand.
Dann nämlich kann das Bild als Verknüpfung in eine andere Dimension wirken,
nämlich auf die in jedem Menschen vorhandene paradiesische Wahrnehmungsebene
und dann kann diese Wahrnehmungsebene zur aktuellen Wahrnehmungsebene, d.h. zur
Realität werden.
Unter
den Bedingungen der Unbewusstheit allerdings, die ja in Kraft sind, so lange
die Moral als solche eine Bedeutung hat, ist leider ihre äußerst dunkle
Schattenseite dominant: das Verurteilen. Und gerade die Verurteilung Jesu, die
ja nicht von irgendwelchen unbewussten Idioten ausgesprochen wurde, sollte eine
Warnung sein, weil sie zeigt, dass das Verurteilen der Erlösung direkt
entgegengesetzt ist – zumindest für den, der verurteilt. Tatsächlich aber ist
die Geschichte des Christentums auch und in großem Maße eine Geschichte von
Verurteilungen, Verdammungen, "Bestrafungen", Hinrichtungen, Kriegen
gegen Andersdenkende etc. und auch in diesem Sinn die Fortsetzung der Geschichte
des Sündenfalls als eine besondere (nämlich die christlich–)kulturelle
Ausformung jenes paranoiden Wahns, den wir schon bei Kain beobachten können.
Da
das fehlende Vertrauen der gefallenen Menschheit aber eine Tatsache ist, wird
die Abkehr von der Moral und die Rückkehr zur Wahrnehmung nicht für alle
unmittelbar möglich sein. Eines aber könnte heute (wo die Menschen der
verschiedenen Religionen und Kulturen der Erde einander kennen gelernt haben)
erreicht werden, um den jahrtausendealten Wahnsinn zu stoppen, nämlich dass die
Moral von den religiösen Führern offiziell als relativ definiert wird. Damit
wäre die Bedeutung der Moral keineswegs aufgehoben, sondern nur ins rechte Lot
gebracht. Denn danach erst kann (für eine ganze Kultur) der Weg der erneuten Suche
nach der ursprünglichen Wahr–Nehmung beginnen, in der das Böse–Sein wieder
wird, was es ursprünglich war: eine Art biologischer Wecker – für den, der böse
wird genauso wie für den, auf den einer böse ist, ein soziales Instrument, vom
Schöpfer installiert, um die aus dem Gleichgewicht geratenen Dinge wieder ins
Lot zu bringen – also genau das zu leisten, was die Moral unter Vorspiegelung
falscher Tatsachen zu leisten vorgibt.
(Und
dann kann auch der wegen der paranoiden Züge der Moral besonders in der Heavy
Metal Musik ausgesprochene Ruf nach dem Antichrist wieder verstummen.)