Das Reich der Paranoia

 

 

Das Reich der Paranoia ist das Reich, das alle Menschen beherbergt, die im Konkurrenzkampf irgendeiner Art stehen – also fast aller Menschen.

Die Basis dieses Reichs ist das Vertrauen auf die eigene Kraft, das aber leider oft gar nicht vorhanden ist. Deshalb gibt es hier unermessliche Angst. Das Reich der Paranoia ist geprägt vom ständig drohenden Tod.

 

In diesem Reich verbrachte ich fast mein ganzes Leben. Durch gewisse "Zu–Fälle" war es mir aber vergönnt, Ausflüge in die normale Welt machen zu dürfen (womit ich sagen will, dass die paranoide Welt, in der ich "normalerweise" lebte und in der wohl neunundneunzig Prozent der Menschen leben, nicht normal sondern verrückt ist). Ausflüge in die normale Welt sind unverdiente Geschenke. Gelegentlich haben alle Menschen solche Erlebnisse. Da sie aber nicht wissen, wie sie gekommen sind und da sie sie nicht festhalten können, halten sie sie schließlich für vernachlässigbare Ausnahmesituationen, die mit der "Wirklichkeit" nichts zu tun haben. Die Wirklichkeit, wie sie sie kennen, ist eben geprägt von der tagtäglichen Angst, nicht zu genügen, eben von der letzten Endes mörderischen Konkurrenzsituation. Darauf wollen sie sich konzentrieren, daher lehnen sie Erfahrungen, wie die genannte als "illusionär" ab, wie sie aus Angst unterzugehen alles als illusionär ablehnen, was eine Alternative zu der Welt dieses Konkurrenzkampfs sein könnte.

Die meisten behaupten trotzdem, sich in dieser schonungslosen, mörderischen Welt wohlzufühlen (auch wenn der Staat die Krankheitskosten kaum noch verkraften kann), denn immerhin gibt es ja Urlaube und Freizeitvergnügungen und Luxusgüter – und sie erreichen ein stattliches Alter, mehr Lebensjahre als je zuvor. Die meisten merken gar nichts von ihrer Paranoia. Nur einige wenige Individuen geraten unverkennbar unter die Räder. Weltweit allerdings sind es ganze Kontinente mit dem Großteil der auf ihnen lebenden Menschen.

In der systemischen Therapie wurde erkannt, dass ein paranoides System sich seine Opfer kreiert, die dann, vom Kollektiv bestimmt, gewissermaßen damit die anderen sich weiterhin als gesund und als Herr der Lage fühlen können, krank werden. Es sind eben die "Schwachköpfe", der "Abschaum". Man sucht Therapie für sie (oder im Fall der 3. Welt Finanzierungskonzepte), weil sie doch eine Belastung darstellen, aber man kommt unter keinen Umständen auf die Idee, dass sie eventuell nur einen verleugneten Aspekt von sich selbst "darstellen" (im wörtlichen Sinn) könnten – und diese Opfer selbst kommen leider auch nicht auf die Idee, denn ihre Rolle ist von allen als "absolut" festgeschrieben. Wie wenig absolut sie aber tatsächlich ist, zeigen die erstaunlichen, und in der Therapie sogar reproduzierbaren Phänomene der Verschiebung des Symptoms von einem Mitglied des Systems auf ein anderes. Im Prinzip könnte dadurch die Relativität ihrer Rollen auch von den Paranoiden selbst erkannt werden – nur bleibt diese Erkenntnis aus, weil sie die ganze Welt auch der Opfer zum Einsturz bringen und damit auch für sie den vermeintlich sicheren Tod bedeuten würde. – In Wirklichkeit natürlich sind diese Ängste eine Einbildung, ein Wahn, genauso wie die Idee der "Gesunden", sie wären "gut" oder wenigstens "besser".

 

Die ganze Idee von der "eigenen" Kraft, die jeder Paranoia zugrunde liegt, ist ein Wahn. Und hier sind wir an der Wurzel des Wahns, der Paranoia und ihrer anderen Seite, des Größenwahns.

Die Quelle des Wahns ist die Idee von der eigenen Kraft. Es gibt keine eigene Kraft. Sie ist immer nur geliehen. Wer sich dessen nicht bewusst ist, verkennt die Wirklichkeit radikal. Doch die ganze Welt nährt diese Illusion. Fast niemand ist sich der Tatsache bewusst, dass die "eigene" Kraft nur Teil der allgemeinen Schöpferkraft ist. Fast alle bilden sich etwas ein auf "ihre" Kraft, Intelligenz etc.. Aus diesem Grund erkennen sie die Illusion nicht als solche und damit können sie auch nicht erkennen, dass auch alle ihre Abhängigkeiten auf dieser Illusion beruhen genauso wie sämtliche Abhängigkeiten in der Welt und alles Leid, das ja nur daraus resultiert.

Da müssen dann die großen Meister kommen, um die Menschen herauszuholen aus ihrer beschränkten Sicht der Welt und ihnen das Ganze zeigen, indem sie Sätze sprechen wie: "Die Ursache des Leidens ist die Gier" oder "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst". Doch auch diese Sätze versteht zunächst niemand, wegen der Illusion von der eigenen Kraft, aber diese Meister haben eine Ausstrahlung (sowohl in ihrer historisch–persönlichen Gestalt als auch noch in Form der Spuren, die sie hinterlassen), die ansteckt, und so können sie wenigstens einige Wenige herausholen aus ihrer Paranoia und aus ihrem Größenwahn. Zuerst geht das nur kurzzeitig, aber wenn Menschen diesen Zustand einmal genügend geschmeckt haben, werden sie nicht lockerlassen, bis sie das Geheimnis des normalen Lebens entdecken – samt dem gar nicht geheimen, dem Durchschnittsmenschen (wegen dieser Illusion) aber kaum erstrebenswert erscheinenden Zugangstor zur Normalität. Es ist eben nicht ein faszinierendes "Stargate" zu fernen, fremden Welten, sondern das Tor zur einzig wirklichen Heimat. Vor Jahrtausenden ist dieses Himmels–Tor "Nicht–Gier" oder "Nächstenliebe" genannt worden, doch weil sich darüber so viele Missverständnisse gebildet hatten, wurde vor weniger als hundert Jahren ein weiterer Name dafür wiederentdeckt, nämlich "Kapitulation".

Nach dem Stress der Konkurrenz der vielen "eigenen Kräfte", der viele aus der Bahn wirft, wäre Kapitulation ein wahrhaft naheliegendes Tor aus der Illusion in die Wirklichkeit, wenn die Menschen es nicht doch unter allen Umständen vermeiden möchten, weil sie (statt ihre Schwäche einzugestehen) doch auch so gut sein möchten wie ihre Konkurrenten – sogar die, die absolut keine Chance haben. Die Allerletzten schauen leider gerne noch runter auf vermeintlich noch Letztere.

 

Inzwischen weiß ich, wonach ich mich Jahrzehnte lang fragte, dass jene oben genannten seltsamen Zustände der Normalität, die mir damals absolut himmlisch erschienen waren, durch unbewusste Kapitulationen meinerseits ausgelöst worden sind.

Gerade diese Tage beispielsweise habe ich durch eine Verkettung besonderer Umstände wieder für viele Stunden den Zustand der Paranoia erlebt. Ich habe es nicht gleich bemerkt, dass es das war. Ich spürte nur eine seltsame Angst, die von allen Seiten auf mich zukroch. Ich fühlte mich in meiner Existenz bedroht – zurecht, wie ich glaubte. Meine berufliche Zukunft schien ernsthaft gefährdet. Von verschiedenen Seiten kamen Bedrohungen auf mich zu – völlig real. Ich probierte zuerst die üblichen Rezepte von Ablenkung bis hin zu (vermeintlich "realen") strategischen Überlegungen, als mir plötzlich klar wurde, in welchem Zustand ich mich befand: im Zustand der Paranoia! Wenn ich da nicht herauskam, würden meine Befürchtungen Realität werden. Da erinnerte ich mich an das, was mich seit langer Zeit aus diesem Zustand herausgehalten hatte – ohne dass mir das so explizit klar geworden wäre: meine fortgesetzte Kapitulation:

Die Kraft, die mich am Leben erhielt, konnte mich, wenn sie wollte, ohnehin jederzeit zerquetschen. Mein Leben hing also gar nicht von meiner Anstrengung ab, also davon, dass ich mich überall anpasste und verrenkte, um nur ja keinen Anstoß zu erregen. Nein, es war o.k., ich durfte so sein, wie ich war. Ich musste mich nicht verrenken, um sein zu dürfen. Mein Leben und mein Glück lagen in Wirklichkeit überhaupt nicht in meiner Hand. Warum also sollte ich Angst haben? Ich hatte ohnehin keine Wahl, ich konnte mich also genausogut vertrauensvoll meinem Schöpfer überantworten! – In diesem Augenblick hatte ich die Welt der Paranoia verlassen und ich war wieder in der normalen Welt, gottseidank! Was für ein Alptraum das wieder gewesen war – genau der Alptraum, den die meisten meiner Mitbürger ihr Leben nennen, so wie ich es früher auch immer tat!

 

Ein Leben in Paranoia ist ein Leben fern von Zufriedenheit und Glück und auch fern von den Mitmenschen, die dadurch ja entweder Konkurrenten und Feinde sind oder an die man sich (letzten Ende immer vergeblich) klammert, weil man sich so schwach und verletzlich fühlt. Es ist ein Leben in völliger Unfreiheit, in Abhängigkeit, in Sklaverei.

Es ist gleichzeitig ein Leben ohne Vertrauen, ohne Glauben, ohne Liebe (zumindest ohne die Fähigkeit zu lieben oder Liebe wahrzunehmen) – letztlich ein Leben auch fern von Gott.

Wenn es so etwas wie eine "Todsünde" gibt, dann ist es der Zustand der Paranoia. Sie schließt die irdische Verdammung bereits ein. Sie ist ein auswegloses Gefängnis. Und es ist klar, dass sich in diesem Gefängnis auch hohe und höchste Würdenträger befinden und zwar sowohl weltlicher als "geistlicher" Art – von Geist ist da natürlich keine Spur, dafür umso mehr von  "guten" Argumenten.

Das höchste Bestreben paranoider Geistlicher ist es ja, die "normale" Paranoia noch zu verstärken, indem sie bei ihren Schäfchen der Angst vor der physischen Vernichtung noch die Angst vor der ewigen Verdammung hinzufügen. Auf der "Über"–Natur beruht dann ihre Über–Macht. Denn für ihr vermeintliches "Seelenheil" verkaufen die paranoiden Menschen natürlich sogar ihre wirkliche Seele. Genau das meinte Jesus, als er sagte: "Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr zieht über Land und Meer, um einen einzigen Menschen für euren Glauben zu gewinnen; und wenn er gewonnen ist, dann macht ihr ihn zu einem Sohn der Hölle, der doppelt so schlimm ist wie ihr selbst." (Mt 23, 15). – Wie schlimm das werden kann, hat uns die Geschichte des Christentums schon gezeigt.

 

So lange ein Paranoider noch eine Spur von Macht hat (die Kehrseite der Paranoia ist ja der Größenwahn), gibt es keinen Ausweg für ihn (und für eventuelle Untertanen natürlich auch nicht). Der Ausweg erscheint erst, wenn er am Ende ist. Dazu können ihm die Untertanen (Koabhängige jeder Art) natürlich helfen.

Viele aber gehen, wenn sie "am Ende" sind, nicht durch das Tor der Kapitulation, sondern sie bringen sich um. Sie halten mit aller Macht fest am Letzten, was ihnen noch geblieben ist, an ihrem Bild von der Welt und daran, dass andere "schuld" sind an ihrer Misere.

Kapitulation führt niemals zum Suizid. Wer es aufgibt, gut sein zu müssen und zu wissen, hat keinen Grund, sich umzubringen. Wer es aufgibt, gut sein zu müssen und zu wissen, akzeptiert, was ist, auch den Tod, sollte er ihm/ihr jetzt bestimmt sein.

Und in diesem Moment völliger Hingabe geschieht das Wunder: Ein überwältigender Strom von Energie stellt das Leben auf eine völlig neue und ungeahnte Grundlage. Das ist Kapitulation!

Für Paranoia ist da kein Platz, ebensowenig für irgendeine Art Dünkel. Wer hier war, weiß, dass er/sie nichts Besonderes ist und dass der Strom von Energie völlig unverdient gekommen ist. Wer hier war, weiß aber auch, dass paranoides Machtstreben auch von höchster Ebene absolut keine Chance hat gegen diese Energie, dass es also zu keiner Zeit des Lebens eine reale Gefahr gegeben hat oder je geben wird. – Natürlich endet das Leben eines jeden Menschen irgendwann, aber erst dann, wenn es Zeit ist, wenn das, was sein soll, erfüllt ist.

Wer bestimmt, wann dieser Zeitpunkt da ist? Niemand weiß es (es ist wohl eher eine Frage des großen Kollektivs [die Zeitebene eingeschlossen] als des Einzelnen). Aber die, die bereit sind, zu kapitulieren, werden darauf vorbereitet sein. Die Eingebildeten werden überrascht sein. Das ist bitter. Nur für sie ist der Tod bitter, denn für sie war alles vergeblich!

Wer kapituliert, weiß sich in Gottes Hand, ob oben oder unten, auch im tiefsten Dunkel noch wagt er/sie, sich fallen zu lassen. Er/sie weiß: Ich habe ohnehin keine Wahl.

Mit "sich aufgeben" im Sinn des Defätismus hat Kapitulation logischerweise nichts zu tun. Kapitulation in unserem Sinn ist immer ein sich letzten Endes vertrauensvoll (was nicht heißt "ohne jede Angst") in Gottes Hand begeben mit der gleichzeitigen Bereitschaft, alles Verfügbare (und natürlich auch das Leben) einzusetzen!

Und da ist kein Platz für Paranoia. Da ist der Himmel, sogar in der Hölle.

 

In der Bibel heißt das Reich der Paranoia das Reich der Sünde, das Reich des Hochmuts, das Reich des "Baal". Sein zu wollen wie Gott, "aus eigener Kraft" leben und "gut" sein. Selbst wissen, was gut ist und was schlecht, selbst entscheiden. Das bedeutet, die einzelnen Wesen herauslösen aus dem Gesamtzusammenhang, ihren Ursprung vergessen. Das ist zwar kurzsichtig, aber in dieser Sicht scheint die Wirklichkeit von einem selbst abzuhängen. In dieser Sicht aber fangen auch andere Geschöpfe an, zu imponieren. Und "Baal" erscheint als selbstständiger Gott, als der höchste Gott, obwohl er bei genauer Betrachtung nur der Gott dieser imponierenden tierischen Kraft ist. Und er wird herrschen durch Faszination und durch Terror. Im Tierreich gilt die Rangordnung dieser Kraft ganz selbstverständlich. Im Tierreich ist mit ihr aber auch eine Verpflichtung verbunden, nämlich täglich sein Leben einzusetzen für diese Rangordnung und gegen die äußeren Feinde der Gruppe. Und diese Rangordnung ist auch entscheidend für die Auslese der Fortpflanzung. Bei den Menschen gelten diese Gesetze im Grunde zwar auch, durch die Besonderheit der Menschen aber, durch ihre Denkfähigkeit, durch die die Menschen die Selbstverständlichkeit der Annahme des Gegebenen – und damit das "Paradies" – verloren haben, ist diese Rangordnung aber ständig in Gefahr, missbraucht zu werden, oder sie wird durch die Trägheit der Institutionen ad absurdum geführt. Aus diesem Grund gibt es menschliche Tyrannei, die mit der Rangordnung des Tierreichs nichts mehr zu tun hat, und – falls der Evolutionsschritt zum Menschen nicht ein Fehlschlag sein soll – auch die Notwendigkeit eines Auswegs aus dieser Tyrannei des "Baal".

Den Ausweg zeigt der Gott der Bibel – und das ist natürlich gleichzeitig auch der Gott aller anderen Religionen, weil die Menschen überall auf dieses Problem gestoßen sind – mit biblischem Namen "JAHWE". Während Baal immer über die Gruppe wirkt (bis herauf ins moderne "Mobbing"), stellt JAHWE so etwas wie eine individuelle Verbindung mit der schöpferischen Kraft dar, die aber doch wieder auf die Gruppe zurückwirkt und dieser nach der Tyrannei eine neue – wieder menschliche – Struktur gibt.

In der Welt der Paranoia, also in der Welt der beschränkten Sicht, wirkt Baal. Den Ausweg aus der Paranoia schafft der Blick aufs Ganze: In ihm zeigt sich JAHWE. In der beschränkten Sicht der Paranoia vertraut jeder auf seine eigene Kraft, der aber eben leider andere Kräfte entgegenstehen, die die eigene Existenz auslöschen wollen. Diese Situation führt zu allen Arten von Wahnsinn. Die Menschen sind nämlich bereit, praktisch alles zu tun, um ihr Leben zu retten. Sie verbünden sich mit Bestien und werden selbst zu Bestien, wenn sie ihr Leben in Gefahr glauben – und sie produzieren alle Arten von wahnhaften Ideen, in denen entweder sie selbst oder ihre Gegner als Übermenschen erscheinen. Das alles beruht auf dem nicht–sehen–Wollen der tatsächlichen eigenen Ohnmacht – denn alle Maßnahmen auf dieser Ebene führen zu immer noch größerer Bedrohung. Der Ausweg auf dieser Ebene wird immer in der Vernichtung der Gegner gesehen. Tatsächlich ist das aber praktisch nie möglich und der logisch folgende Rückschlag ist verheerend.

Einen ganz anderen Ausweg bietet JAHWE, die universelle Schöpferkraft. Sobald jemand vor ihm seine Ratlosigkeit eingesteht und die Hilfe nicht mehr von seiner eigenen Kraft erwartet, kommt unerwartet Hilfe von anderer Seite. Diese Hilfe beruht auf genialen Ideen, sie verlangt ein Minimum an Opfern und sie schafft ein Maximum an Wirkung. Das beste mir bekannte Beispiel für diese Hilfe ist die schon erwähnte Gideonsgeschichte (Richter 6–8). Besser allerdings als die besten literarischen Beispiele sind die selbsterlebten.

 

Noch einmal das Paradox auf den Punkt gebracht: Wer nicht Sklave JAHWE's (der "anderen" im Gegensatz zur "eigenen" Kraft) ist, ist mit Sicherheit abhängig, d.h. Sklave fremder Mächte. Nur die "andere" Kraft (JAHWE) präsentiert das eigene Inter–esse total. JAHWE ist kein Herrschaftsgott – im Gegenteil, er allein repräsentiert gleichzeitig unsere Freiheit und unsere Effektivität. Nur als sein Sklave sind wir imstande in jedem Augenblick "den Nagel auf den Kopf zu treffen". JAHWE ist die Lebenskraft, sonst nichts – also keine Religion, keine Priesterherrschaft in irgendeiner Form kann ihn repräsentieren, "er" kann sich nur selbst repräsentieren, unmittelbar. Religionen können nur Hinweise auf den Weg in die Freiheit geben, – alles weitere, was von Religionen kommt, ist eine Kompetenzüberschreitung und damit ein Versuch der Versklavung. Diese Tendenz ist den Religionen seit je her mit Recht übel angerechnet worden. Es wäre wieder an der Zeit dieses Größenwahn/Paranoia–Element als eigenen Unglauben und Ungehorsam zu erkennen und als beschränkte Sicht. Es ist Zeit, das Haupt zu beugen vor der anderen Kraft: "Wer sein Leben für sich behalten will, wird es verlieren, wer es aber loslässt, wird ewiges Leben erfahren!" Das gilt natürlich auch für eine uralte Institution.

Es wäre aber fatal, das Gesagte als Rezept zu verstehen, denn so funktioniert es nicht – mit Sprüchen über Vertrauen kannst du dich nicht retten. Du musst dir erlauben, die Angst in ihrer ganzen Gewalt zu fühlen, du musst die Abgründe der Wahrheit aushalten. Explizites "Vertrauen" ist hier nicht nötig, sogar hinderlich: Als ich meinen eigenen Prozess der Kapitulation beschrieben hatte, war ich beispielsweise befangen in Argumenten. Ich musste selbst erst wieder an den Punkt kommen, an dem ich real am Ende war und nur noch kapitulieren konnte. Der Punkt kam, als ich einsehen musste, dass auch ich kein Rezept habe. Es gibt kein ein für alle mal. Es gibt für niemand eine Sicherheit. Es gibt nicht die Möglichkeit, sich auf das eben Gesagte zu verlassen, es ist immer neu nötig durch diese ganze Kette von Erfahrungen selbst hindurchzugehen und den eigenen Schmerz auch jetzt wieder real wahrzunehmen. Niemand kann für dich springen und auch ein früher bereits erfolgter Sprung kann den gegenwärtig notwendigen nicht ersetzen. Ich kann also nicht mehr sagen  als: Wage es, lass dich erreichen von deiner Angst und deiner Not, sonst kannst du die rettende Kraft nicht erfahren.

 

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TC

 

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