Was heißt „dem Geist folgen“?
8. 10. 2002
Der
Geist ist berühmt, nicht erst seit Jesus sein Kommen ankündigte. Und doch, wer
kennt ihn schon, wer weiß schon, wie es möglich ist, ihn zu entdecken und ihm
zu folgen?
Zunächst
ist es notwendig, zu wissen, dass der Geist aus dem Nichts kommt. Er kommt
nicht von irgendeiner Hierarchie. Auch in der Hierarchie kommt er aus dem
Nichts.
Hier
treffen sich Christentum und Buddhismus.
Bei
den Buddhisten ist das bekannt, aber dass der Geist auch im Christentum aus dem
Nichts kommen soll, ist nicht sehr bekannt. Die Christen scheinen zu glauben,
er käme aus der Erfüllung der Gebote.
Tatsächlich
aber hat Jesus klar darauf hingewiesen, dass er gehen müsse, damit der Geist
kommen könne. Die Jünger konnten das gar nicht verstehen, solange er da war.
Erst durch das Nichts, das sein Tod für seine Schüler bedeutete, waren sie
bereit, den Geist aufzunehmen, nämlich den Sprung zu tun von der
Konsumentenseite auf die Produzentenseite, auch sich selbst dem Risiko des Nichts
auszusetzen, dem sich Jesus die ganze Zeit ausgesetzt hatte, bis zuletzt.
Jesus,
so wird gesagt, war „gehorsam bis zum Tod“. Was heißt „gehorsam“, wem ist er
gefolgt? Zu sagen „dem Vater“ ist viel zu billig, es wiederholt nur seine
Worte, die aber Zuhörern galten, denen diese Worte etwas sagten, aber heute in
unserer vaterlosen Zeit [ich beziehe mich hier weniger auf A. Mitscherlich als
auf die amerikanischen Soap Operas, in denen die
Väter nur noch bedauerliche Komikfiguren sind, denen selber jegliche Orientierung
fehlt], was bedeutet das heute?
Andere
Worte für Gehorsam sind „Gewissen“ oder „innere Stimme“, doch wie können diese
[die in der heutigen Zeit Manche zu Dummheiten, zu Gräueltaten oder zum Suizid
treiben] zu verlässlichen Führungsinstrumenten werden?
Es
braucht dafür wirkliches da Sein – also weder Büchern folgen, noch Gefühlen
folgen, sondern umfassendes Fühlen, mit allen Sinnen und mit Verstand. Ich
meine natürlich nicht „nachdenken“, sondern das Fühlen der ganzen Realität.
Wenn das Fühlen gelingt, wird sich das so auswirken, dass die Dinge
funktionieren, die wir wollen.
Durch
das Fühlen der Realität [das nur möglich ist, wenn wir unsere voreingenommene
Sicht, also uns selbst, suspendieren] entdecken wir den Geist, dem wir dann
folgen können.
Bei
dieser Gelegenheit entdecken wir aber auch, dass die Herrschaft Gottes über die
Welt gerade darin besteht, dass „er“ überall an Ort und Stelle fühlt, was nötig
ist – und dass „er“ das nicht etwa „tut“, indem „er“ überall hin “geht“ und
nachkontrolliert, was ist, sondern gerade indem „er“ als der/die/das konkrete Daseiende an genau der Stelle, an der es [und da sind wir
selbst natürlich eingeschlossen] sich befindet, fühlt. Gewissermaßen „vertraut“
„er“ seinen Geschöpfen so sehr, dass er ihnen die Schöpfung vollkommen
überlässt, indem „er“ natürlich gleichzeitig und nicht „extra“ in ihnen nicht
nur anwesend ist, sondern sie selber zur Gänze wirklich ist – und gleichzeitig
auch noch den Überblick und eine Intention für das Ganze behält.
Deshalb
ist es auch in diesem Sinne wahr, dass der „Herr“, von dem die Bibel redet,
nicht ein Außerirdischer ist, sondern einfach immer und überall die
gegenwärtige Gesamt-Realität.
Im
Bild vom Surfer lässt sich das gut zeigen. Ein Surfer muss sich der Welle total
unterwerfen, indem er ihre Bedingungen vollkommen akzeptiert und sich bewusst
ist, dass er seinerseits der Welle keinerlei Bedingungen setzen kann. Er kann
sich nur anpassen, er ist also der totale Sklave der Welle. Und dennoch ist er
gerade dadurch vollkommen frei, weil er gerade dadurch die Kraft der Welle für
seine Gestaltungs-Wünsche nutzen kann.
Die
wichtigste Daseinbedingung des Surfers ist es, die Welle zu fühlen mit allen
Sinnen und mit dem Verstand.
Das
Beispiel des Surfers zeigt auch noch die andere Seite des Fühlens, denn
gleichzeitig mit dem Fühlen muss der Surfer ja auch schon reagieren.
Das
Fühlen ist also vergleichbar mit dem Ausstrecken von Fühlern, die gleichzeitig
auch noch auf die Umgebung reagieren können.
Berechnung
allein hätte da keine Chance, sie ist selbst bei höchsten
Rechengeschwindigkeiten viel zu langsam.
Wenn
wir fühlen, was da ist, fühlen wir gleichzeitig, wie es benützt werden kann.
Ein zweiter Zweig des Fühlens geht nämlich nach innen, denn unser Tun soll ja
einen Sinn haben – und welchen, wenn nicht den, dass wir erreichen, was wir
brauchen. Es geht also darum das Bild unserer Sehnsucht mit dem Bild der
Realität zur Deckung zu bringen.
Auf
diesem Weg werden wir erkennen, dass wir der Punkt im Universum sind, an dem
Gott [für uns] wahrnimmt und gleichzeitig seinen Willen äußert. Der Wille
Gottes geht in die Richtung, dass unser Potential sich optimal entfaltet. Ich
bin daher das Zentrum der Welt und der Maßstab aller Dinge – aber
logischerweise nicht im Sinn von [egoistischer] Willkür, denn das Beste für
mich kann ich nur erreichen in Harmonie mit dem Ganzen, und das ist so für
alle, für jeden an seiner Stelle. Und weil wir von Haus aus fühlende Wesen sind
[die nach innen und nach außen gleichzeitig fühlen und auch noch gleichzeitig
reagieren], geht unsere Entwicklung in Richtung Erfüllung unserer Wünsche.
Wir
nehmen die Wirklichkeit wahr, um sie zu benützen und zu gestalten, eben beides
im Sinn des Ganzen, ganz so, wie das ein Surfer macht.
Fühlen
ist eben keine Einbahnstraße. Es geht ja um unsere Reaktion, die natürlich
wiederum Reaktionen nach sich zieht – das Ganze ist also eine Art Konzert, in
dem ein neues Bild entsteht, das dann das weitere Geschehen leitet, indem es
sich nach gewissen Gesetzen [„the laws
of form“] entwickelt, wobei wir [also unsere Form]
natürlich an seiner Entwicklung beteiligt sind, weil wir es ja wahrnehmen und
gestalten.
Indem
wir dem Fühlen folgen, so wie „er“ selbst (die schöpferische Kraft, aus der das
Universum hervorgegangen ist, wie oben beschrieben) von Anfang an
ausschließlich dem Fühlen folgt, werden wir „vollkommen wie unser himmlischer
Vater“.
Zunächst
scheint in „seinem“ Fühlen viel unbewusst zu bleiben, doch es drängt auf allen
Ebenen mit Macht zur Bewusstheit, deshalb die Evolution.
Wenn
ein Mensch „dem Geist“ folgt, ist das Fühlen bewusst geworden, dann ist Gott zu
sich selbst gekommen und wir in ihm. [Womit ich natürlich nicht sagen will, das
Fühlen auf einer anderen Ebene der Existenz, der Elektronen etwa oder der Photonen
oder eines Tieres oder einer Pflanze, sei nicht göttlich oder weniger wert als
das eines bewussten Menschen.]
Selbst
das Fühlen irgendwelcher „Scheusale“, kann nicht als minderwertig eingeschätzt
werden. In diesem Fall erreicht es aber nicht die tiefstmögliche Tiefe, weil
die umfassende Bewusstheit fehlt; deshalb formuliert es eben nur den Schatten
in seiner tiefsten Tiefe, schafft aber nicht den Sprung ins Licht, zumindest
noch nicht. Aber es macht Erfahrungen, es macht letzten Endes die Erfahrung der
Vergeblichkeit all seiner Bemühungen „für“ sich selbst und stößt damit
schmerzhaft an die Grenzen seines Horizonts voll ‚Sehnsucht nach Überwindung
des Schmerzes.
Und
deshalb brauchen wir uns auch angesichts äußerster Gräuel um die Existenz des
Universums keine Sorgen machen.
Wenn
selbst die Elektronen fühlen, wird schließlich alle Welt im Sinn des Ganzen
reagieren, nämlich im Sinn einer Lösung auftretender Probleme. Sicher auch so
wie im biblischen Fall des intendierten Opfers Isaaks, wo sich ein Widder zur
Verfügung stellt. Oder auch wie im Fall medizinischer Wunder. Da dringt eine
Form der Kommunikation in Bereiche vor, die dem Zugang gewöhnlicher Betrachtung
verschlossen sind.
Auf
dem Weg der Aufklärung der Widersprüche ist es ja zunächst oft ein Irrtum,
vielleicht sogar ein Wahn, der als „die Realität“ erscheint, als „Maya“. Und es
ist gar nicht anders möglich [und daher kein Fehler], als dieser „Maya“ zu
folgen, denn Maya ist das Einzige, was uns zur Verfügung steht. Alles was an
diesem Punkt nötig ist, ist Konzentration und daraus folgend die Kommunikation
des Gefühlten. Es geht also nur darum, das was uns gegeben ist, zu 100% ernst
zu nehmen, also in diesem Fall, Maya ernst zu nehmen. Nur indem wir einen
Irrtum ernst nehmen, kann er sich aufklären. Abrahams Idee, seinen Sohn zu
opfern war natürlich ein Irrtum, ein Wahn, aber genau indem er ihm folgte,
klärte sich der Irrtum auf – und nicht nur für ihn, sondern auch für unzählige
Generationen nach ihm. Dieser Akt des Gehorsams, dieses dem für wahr gehaltenen
Irrtum Folgen löste einen Schritt der Evolution der Bewusstheit für die ganze
Menschheit aus. Dafür ist Abraham ein Beispiel, nicht für die Wahrheit seiner
Vorstellung. Diese war Maya, doch durch seinen Gehorsam gegenüber Maya hat Maya
sich aufgelöst. Und genau so löst sich auch das Ego (und jede Form der Sucht)
nicht dadurch auf, dass wir es (sie) bekämpfen, sondern indem wir dem Gegebenen
folgen und indem wir die Folgen fühlen und uns durch sie bewegen lassen. So
klärt sich Maya und so korrigiert sich für uns unser eigener Lebens-Kurs.
Durch
sein Fühlen hatte die Welt Erbarmen mit Abraham und ein Widder stellte sich als
Opfer zur Verfügung, so wie sich später Jesus zur Verfügung gestellt hat zur
Auflösung des spezifischen religiösen Wahns seiner Zeit.
Und
Abraham hat sich von seinem Erlebnis bewegen lassen. Er ist abgerückt von
seiner Vorstellung und er hat die Wirklichkeit ein Stück tiefer gefühlt. Das
ist es, was „dem Geist folgen“ bedeutet. Und das ist auch das „Folgen“, das das
I Ching im Hexagramm II beschreibt. In ihm liegt „die
Kraft aus dem Nichts“ des Buddhismus. Indem wir „uns“ herausnehmen [= auf
unsere kleine Perspektive verzichten] und [dem, was uns gegeben ist] folgen
finden wir uns selbst. Das ist das Wunder. Ein Wunder der Dialektik, der
Dialektik der Schöpfung – oder besser: der Dialogik. Es geschieht ja ein Dialog
zwischen den Polen. Diesen Dialog zu fühlen legt uns die Welt zu Füßen – nicht
im Sinn einer Weltbeherrschung, sondern im Sinn des Dienens, des der Welt
Dienens. Das ist dem Geist folgen und höchste Selbstverwirklichung in einem.
Hingabe
des eigenen Selbst und alles dafür gewinnen, das All gewinnen, indem Du eins
mit ihm wirst. Da darf nichts mehr dazwischenstehen zwischen uns und dem All.
Dann werden wir aus dem Nichts gespeist mit dem All. Dann ist unser Handeln
nicht mehr „Tun“, sondern „Nicht-Tun“, wie Lao tse es
sagt – und auch Castaneda.
Jesus
sagt, es ist möglich, doch – wer möchte schon sein Schicksal? Es lohnt sich,
ein wenig genauer hinzusehen: Sein Schicksal ist das Schicksal eines Samurai,
Harakiri in Vollendung. Die Samurai hielten diese Art zu leben auch für
möglich. Das war ihr Geist.
In
allen Völkern gibt es diese Weisheit, aber bei uns ist diese Weisheit verdeckt
worden durch Formeln und Gesetze [durch eine Wiederrichtung „des Gesetzes“ ganz
gegen die Intention des Stifters]. In seinem Kern, gemäß ihrem Stifter und
vieler seiner Nachfolger ist das Christentum eine Samurai-Religion. Alles
andere ist ein Missverständnis, ein Aberglaube, also ein Glaube, der nicht zu
diesem Geist der Freiheit führt, sondern unter die Diktatur des beschränkten
menschlichen Geists, des Brauchtums, also in eine Form von Sklaverei, eine
Sucht, nämlich danach, die Verantwortung abzugeben, und damit in Unbewusstheit
stecken zu bleiben. In diesem Fall hat die Trägheit gesiegt, „der Abgrund“ –
dessen Ansicht dann aber doch wieder das göttliche „es werde Licht“ provoziert.