Der Anfang der Bibel
ein Beispiel spirituell-therapeutischen Vorgehens
Die Ausgangssituation des
Wunsches nach Orientierung
Betrachten
Sie bitte mit mir die ersten Sätze der Bibel, die von Menschen formuliert
worden sind, die noch ohne wissenschaftliche Fundierung genau den
Erkenntnisprozess vollzogen haben, in dem sich moderne Therapeuten befinden:
Die
Bibel beginnt mit den Worten „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“. Das
heißt, wenn Sie anfangen, die Dinge zu betrachten, ist alles schon da.
„Gott“
können Sie an dieser Stelle außer Acht lassen, denn an dieser Stelle weiß der
Betrachter noch nichts von einer schöpferischen Kraft. Nur der, der das alles
geschrieben hat, weiß davon, weil er in seinem Erkenntnisprozess bereits weiter
fortgeschritten ist. Für den Leser, der noch nicht so weit ist, beginnt die
Geschichte mit einer Beschreibung der Situation, aus der seine Frage nach dem
Ursprung kommt:
„Die Erde aber war wüst und wirr. Finsternis
lag über dem Abgrund.“
Wenn
Ihr Leben wüst und wirr ist, wenn Sie keinen Weg mehr sehen können, wenn Sie
vor dem Abgrund stehen, dann fragen Sie nach dem Zusammenhang des
Ganzen. Der Abgrund bedeutet Tod. Ein Schritt weiter und es ist aus mit Ihnen.
Das ist die Situation, in der auch Sie innehalten und sich fragen, wie Sie da
lebend herauskommen.
Spiritualität nimmt die
Angst
Aber
genau an dieser Stelle gibt Ihnen der Autor, der schon mehr erkannt hat, einen
entscheidenden Hinweis: Er sagt Ihnen gewissermaßen: Keine Angst!
Wörtlich
heißt die Stelle: „Der Schöpfergeist schwingt über Abgrund und Chaos.“
Sie sind also nicht allein auf ihr persönliches Wissen angewiesen. Da ist noch
eine ganz andere Kraft – nämlich die Kraft, die diese ganze unglaubliche
Evolution möglich gemacht hat, ganz ohne Wissenschaften und ganz ohne
Ingenieure – und doch mit solcher Intelligenz, dass die intelligentesten
Menschen erst jetzt anfangen, etwas davon zu verstehen.
Der Wunsch nach
Orientierung entsteht
Und
in dieser Situation spricht diese andere Kraft, der schöpferische
Geist [in Ihnen]: „Es werde Licht!“
Die
Kraft der Evolution, die Sie schon hervorgebracht hat, treibt Sie jetzt zu dem
Entschluss, Licht ins Dunkel zu bringen. Und daraus wird am Ende Licht. Der
Entschluss selbst aber ist genug für den ersten Tag Ihres neuen Lebens – oder
für den ersten Tag des neuen Lebens eines Ihrer Patienten. Weil Sie wissen,
dass die Kraft der Evolution mit Ihnen ist, können Sie angesichts tödlicher
Gefahr standhaft bleiben und sich entschließen, Licht ins Dunkel zu bringen.
Das ist der erste Tag, der erste Schritt zur Vorbereitung eines evolutionären
Sprungs.
Unterscheidung bringt
Ordnung ins Chaos
Und
wie wird Licht?
Indem
die schöpferische Kraft Sie nun dazu drängt, Unterscheidungen zu treffen. Damit
beschäftigen Sie sich in den folgenden Abschnitten oder „Tagen“ der biblischen
Erzählung. Und dabei begleiten Sie vielleicht in nächster Zeit Ihre Patienten.
Die erste Unterscheidung:
Wunsch und Realität
Die
erste Unterscheidung, die Sie einführen, ist die zwischen dem Chaos oben und dem
Chaos unten. In der Bibel heißt es: „Gott traf eine Entscheidung und schied
die Wasser unterhalb von den Wassern oberhalb“. „Die Wasser“ sind ein
Symbol für das unfassbar Fließende des Chaos.
Das
Chaotische, unten bleibt noch unbenannt, das Chaotische oben aber nennt die
Bibel „Himmel“. Sie könnten es auch den Bereich Ihrer Sehnsucht nennen, das
Reich Ihrer Wünsche. Dieses Reich ist zunächst gewöhnlich nicht weniger
chaotisch als die Realität, in der Sie sich zurechtfinden wollen.
Diese
erste Unterscheidung zwischen dem geheimnisvollen Reich der Wünsche und dem
verwirrenden Reich der Realität ist genug für den zweiten Tag. Sie macht das
Spannungsfeld bewusst zwischen dem Jenseits des Ersehnten und dem gegenwärtigen
Diesseits. Das Ganze, das am Ende der Reise bewusst werden soll, enthält beides
und ist gleichzeitig gelöst von jedem der beiden.
Sie
sehen, dass sich der biblische Schöpfungsbericht auf diese Weise wie eine
Therapieanleitung liest – und wohl nicht zufällig so. Es ist der Weg der
Spiritualität, der nicht von ungefähr „Weg zur Erlösung“ genannt wird.
Vertrauen lässt das Chaos
sich sammeln: Land kommt in Sicht
Die
zweite Unterscheidung, die am dritten Tag des kreativen Umgangs mit Ihrem
Problem geschieht, bezieht sich auf das Chaos unten. Die erste Unterscheidung
hat Ihr Vertrauen bestärkt. Das macht die neue Unterscheidung möglich. Indem
Sie auf das Wirken der schöpferischen Kraft vertrauen, können Sie das Chaos in
Ruhe lassen. Und so können die aufgewirbelten Staubwolken sich senken, die
Wasser, die das Chaos symbolisieren können zusammenfließen und dadurch wird
„das Trockene“ sichtbar; „Land kommt in Sicht“, wie man sagt, wenn sich
eine Lösung nähert. Sie bekommen festen Boden unter den Füßen.
Aber
damit noch nicht genug, sogleich sprießen am Land die Dinge, die Sie ernähren.
Das ist das Ergebnis des dritten Tags Ihres Vertrauens auf die schöpferische
Kraft.
Lichter aus dem Reich der
Sehnsucht beleuchten das Leben, geben Orientierung
Am
vierten Tag geht es um die dritte
Unterscheidung – nämlich im chaotischen Reich der Sehnsucht, am Himmel, die
Lichter zu sehen, weil nur die Lichter, die von der Sehnsucht kommen Ihnen
die Orientierung geben können, die Sie im Leben brauchen.
In
der dritten Unterscheidung auf dem Weg zeigt sich der Unterschied zwischen der
Arbeit mit Spiritualität und sonstiger Therapie: Es sind nicht irdische,
sondern himmlische Lichter, die das Leben wahrhaft erleuchten, es sind die
Lichter der Sehnsucht. Sie können das Auftauchen solcher Lichter an den
leuchtenden Augen sehen, die Sie an Ihren Patienten manchmal beobachten können
und an Ihrer eigenen Begeisterung.
Dass
Sie - oder Ihre Patienten - sich von diesen Lichtern führen lassen, ist der
wesentliche Schritt des vierten Abschnitts Ihrer Reise durch die ganze
Wirklichkeit. In diesem Abschnitt werden sich die Wünsche klären und so wird es
für Sie wie auch für Ihre Patienten möglich, sich von diesen Lichtern führen zu
lassen.
Im himmlischen Licht zeigt
sich das Chaos als belebt
Im
fünften Abschnitt der Reise, am fünften Tag, dringt Ihre vierte Unterscheidung
auch in das verbliebene Chaos ein. Durch die himmlischen Lichter werden die
Wasser des Chaos durchleuchtet und wandeln sich zu bekannten, irdischen
Gewässern, die voll sind mit wunderbarem Leben – aber auch mit Ungeheuern, mit
Drachen. Diese sind jetzt aber erkennbar.
Im himmlischen Licht zeigt
sich alles als Produkt der Schöpferkraft
Am
sechsten Tag sehen Sie auch am Land nicht mehr nur das, was Sie ernährt. Sie sehen
auch alles andere, was mit Ihnen die Erde bevölkert. Sie sehen, dass alles aus
derselben Quelle kommt wie Sie selbst. Sie gewinnen Achtung vor allem
Lebendigen.
Im
himmlischen Licht zeigt sich der Mensch als Bild der Schöpferkraft
Damit
ist Ihre ganze Welt jetzt von Unterscheidungen durchdrungen. Sie sehen daher,
am Ende dieser Reise in die Bewusstheit, dass Sie selbst ein Abbild der Kraft
sind, aus der alles hervorgegangen ist. Und in diesem Bewusstsein, das
durchdrungen ist vom Licht der Unterscheidung, dürfen Sie die Erde beherrschen,
und Sie dürfen es sogar wagen, diesen Prozess der Bewusstwerdung zu erklären
und einzusetzen in Ihrer Arbeit.
Das
ist der Weg der Spiritualität.
Wegen der Gefahr des sich
Verirrens immer wieder stehen bleiben
Aber
dazu gehört noch ein siebenter Schritt, nämlich sich auf diesen Weg immer
wieder zu besinnen. Im Sinn einer regelmäßigen Übung immer wieder stehen zu
bleiben und zu schauen. Auszusteigen aus dem Trott des Alltags, das Getriebe
der Welt anzuhalten und, wenn nötig, falls Sie irgendwelche der
Unterscheidungen verloren haben, oder in ein neues Chaos geraten, mit dem
Prozess der Menschwerdung an dieser Stelle von neuem zu beginnen. Das gilt für
Sie selbst wie auch für Ihre Studenten.