Der Geist und die Kirche
Dass die Kirche ihren Ursprung dem Geist verdankt, ist
bekannt. So lange das neue Volk Gottes „ein Herz und eine Seele“ waren, war der
Geist für alle offensichtlich da. Und das blieb eine gewisse Zeit lang so und
darauf ist die heutige Situation zurückzuführen:
Weil
am Anfang der Geist tatsächlich da war, glaubten die Funktionäre der Kirche
irgendwann, den Geist gepachtet zu haben, eine Garantie darauf zu haben. Und diesen
Glauben haben sie dann dogmatisch vorgeschrieben. Persönlich mögen sie es zwar
anders wissen, aber zumindest den Mitgliedern wollen sie es glauben machen. Den
Mitgliedern dagegen wird keinerlei Geist zugetraut. Man führt sie zwar zum
Sakrament des Heiligen Geists, zur Firmung, aber jeder weiß – obwohl es niemand
zugeben würde, dass das Ritual inzwischen nur eine nominelle Leerform ist, von
Geist keine Spur, und heute meistens auch der letzte Kontakt der Mitglieder zur
Organisation.
Da diese Tradition aber schon viele hundert Jahre lang in
dieser Weise gepflegt wird, wundert sich niemand über die offensichtliche
Abwesenheit des Geists. Die Organisatoren kennen es nicht anders und sie kennen
den Geist meistens wohl überhaupt nicht persönlich, und falls doch, wissen sie
die wohl unvermeidliche Enttäuschung darüber gut zu verbergen.
Auch zu den Zeiten der Bibel, also des alten Volkes Gottes,
hat es immer wieder geistlose Zeiten gegeben. Die Folge waren immer
katastrophale Lebensbedingungen für die Israeliten, Sklaverei, Gefangenschaft
etc.. Unter diesen Umständen sind dann Propheten aufgetreten und haben unter
Einsatz ihres Lebens versucht, die Mächtigen wieder an den ursprünglichen Bund
mit der schöpferischen Kraft zu erinnern. Meistens ist das erst nach vielen
Jahren intensivster Leiden für das ganze Volk gelungen.
Eine vergleichbare Situation war auch gegeben, als Mose dem
Pharao gegenübertrat, um von ihm zu fordern, die Israeliten freizulassen. Die
Pharaonen betrachteten sich zu dieser Zeit selbst als Träger des Geists. Und da
trat Mose einem von ihnen gegenüber und behauptete von sich – ohne offizielle
Legitimation – auch Träger des Geists zu sein. Logischerweise war der Pharao
skeptisch – etwa in der gleichen Art skeptisch wie ein heutiger Kirchenfürst es
wäre, wenn ihm ein nicht kirchlich legitimierter „Prophet“ mit diesem Anspruch
gegenüberträte. Dieser wäre wohl noch skeptischer, weil er zusätzlich noch eine
dogmatische Barriere zu überwinden hätte, nämlich den Glauben, dass die
Amtskirche im Besitz der korrekten Interpretation der Offenbarung sei, dass
also keinesfalls „von außen“ eine Korrektur erfolgen könne, weil „der Kirche“ –
und damit meinen die Amtsträger ausschließlich sich – von ihrem Gründer doch
eine unfehlbare Führung zugesichert worden sei.
In dem gleichen Glauben etwa fanden sich auch die offiziellen
Vertreter der jüdischen Religion zur Zeit Jesu. Deshalb konnten sie seine, in
vielem doch sehr unterschiedliche Sicht der Dinge nicht hinnehmen. Auch die
Hinweise Jesu auf mögliche Fehleinschätzungen ihrer Lage (beispielsweise sein
„... und meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben ja Abraham zum Vater. Denn
ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen Kinder Abrahams machen ...“, Mt
3,9) konnten sie nicht überzeugen. Ähnlich würden wohl auch heutige
Kirchenvertreter es nicht zulassen, dass ein Außenseiter ihre Selbstsicherheit
in Frage stellt. Im Laufe der Kirchengeschichte wurden derartige Außenseiter
ja, wenn die Umstände dies zugelassen haben, genauso behandelt wie Jesus von
der jüdischen Obrigkeit behandelt worden ist (so beispielsweise auch Jan Hus am
Konzil von Konstanz, um nur einen von Unzähligen zu nennen). Dass genau das
geschehen würde hat Jesus logischerweise schon vorhergesehen: „Der Jünger muss
sich damit begnügen, dass es ihm geht wie seinem Meister“ (Mt 10,25) und „wenn
sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen“ (Joh 15,20).
Das ist die Hürde. Mose konnte sie überwunden, indem der
Geist die Plagen schickte. Jesus hat sie überwunden, indem er sich opferte. Wie
es heute geschehen kann, ist noch unbekannt. Wir überspringen diesen Schritt
daher jetzt und wenden uns der Situation zu, die gegeben sein wird, wenn wieder
eine Vielzahl von Menschen vom Geist erfüllt sein werden:
Welche Organisationsformen wird diese neue Gemeinschaft
geisterfüllter Menschen entwickeln? Und wie sehen die Übergänge aus von der
gegenwärtigen Geistundurchlässigkeit zur Geistdurchlässigkeit?
Zunächst stellt sich die Frage, wie es sein wird, wenn alle
dem Geist folgen. Eines ist klar: Da wird sich natürlich niemand mehr
unterbuttern lassen. Jeder wird verlangen, gehört zu werden und jeder wird
gehört werden. Aber wie soll das gehen?
An dieser Frage wird sofort deutlich, woran die jetzige
Kirche krankt: Gehört werden jetzt nur die Oberen.
Viele
Organisationen sind an diesem Leiden erkrankt. Ein Leiden ist es natürlich für
die, die nicht gehört werden, aber Auswirkungen hat dieses Leiden auf den
ganzen Organismus: Die Leute werden gezwungen, auszuwandern. Bei kommerziellen
Unternehmen, die von dieser Krankheit befallen sind, stellen sich bald
gravierende ökonomische Folgen ein: Die fehlende Kommunikation führt zu
vielfachen Fehleinschätzungen und das treibt das Unternehmen in den Ruin. Die
Mitgliederstatistiken der Kirchen in Deutschland etwa spiegeln diesen Trend
sehr deutlich. Die Oberen glauben allerdings, die Ursache für die sinkende
Nachfrage sei die allgemeine Abwendung von Religion und die Hinwendung zum
Materialismus. Das ist jedoch nur ein Teil der Ursache. Andere spirituelle
Bewegungen haben nämlich währenddessen eine sehr gute Konjunktur mit
kontinuierlichen Zuwächsen.
Daher also noch einmal: Wie kann erreicht werden, dass die
Unteren genauso gehört werden wie die Oberen, bzw. wie kann eine echte
zwei-Wege-Kommunikation erreicht werden? Eine Möglichkeit ist die, dass die
Konsumenten die Produzenten nur freiwillig für ihre Dienste bezahlen, wie auch
sonst im Geschäftsleben. Dann würden sie nämlich nur zahlen, wenn sie genau das
bekommen, was sie möchten und für Lieferungen, die nur den Interessen der
Produzenten entsprechen, würden sie nichts bezahlen.
Das würde natürlich bedeuten, dass der kirchliche Haushalt
entweder nach einer Gebührenordnung geregelt wird, etwa in Anlehnung an das
alttestamentliche Muster, oder dass er allein aus Spenden bestritten würde –
einschließlich der Kosten für Bauten und Renovierungen. So etwa könnte sich die
tatsächliche Wertschätzung für die Dienste der Kirche zeigen. Aber das wäre
natürlich noch keine Garantie für den Geist, denn die Leute zahlen auch gern
für Illusionen. Und heute spielt beispielsweise auch der Gedanke der
Denkmalpflege noch eine sehr große Rolle und das würde auch sicher einiges
einbringen völlig ohne Rücksicht auf den Geist.
Die
Entwicklung geht jedenfalls in Richtung größerer auch finanzieller
Unmittelbarkeit. Der Rückgang der Kirchensteuereinnahmen wird rapide
voranschreiten und dann vielleicht ein Umdenken in den kirchlichen Chefetagen
nach sich ziehen. Deutliche Anzeichen sprechen allerdings dafür, dass sich der
kirchliche Apparat auf die Plage der Geldverknappung hin ähnlich verhält wie
ehedem der Pharao, der auf das Begehren des Mose hin auch zunächst die Lasten
für die Sklaven noch erhöht hat. So werden heute beispielsweise durch die
verstärkte Ernennung sehr konservativer Funktionäre etc. den kirchlichen
Untertanen eher noch weniger einsehbare Moralvorschriften auferlegt, was
natürlich die Kluft zwischen den Amtsträgern und den Laien noch vertieft und
die Austrittsbewegung verstärkt. Ein Teufelskreis ist also bereits in Gang
gesetzt. Die frustrierten Kirchenmitglieder haben die Hoffnung aufgegeben, dass
sie gehört werden. Es gibt keine Instanz, an die sie sich wenden könnten. Ihre
ablehnende Reaktion erschreckt die Amtsträger und diese werden in ihrer Angst
noch engstirniger.
Wenn es nur darum ginge, die ja immer noch sehr
mittelalterliche Organisation zu retten, könnte man sagen, es handelt sich
dabei um ein sehr interessantes und deshalb schützenswertes Fossil. Aber dieses
wird ohnehin in den entsprechenden archivarischen Einrichtungen dokumentiert
bleiben, daher muss dem Monstrum niemand nachweinen. Bedauerlicherweise aber
besteht die Gefahr, dass in der allgemeinen Abneigung gegen das Fossil auch der
Inhalt verloren geht, den es zu vertreten vorgibt – ein Inhalt, der Menschen immer
noch wirklich befreien kann innerlich wie auch äußerlich.
Deshalb noch einmal die Frage, gibt es die Möglichkeit, dass
sich die Verhärtungen auflösen, dass der alte Panzer abgestreift wird samt
seiner strukturellen Komponenten und dass die alte Gemeinschaft Jesu wieder zu
einer Geist-Gemeinschaft wird? Dann müssten die Frustrierte aber von jemand
repräsentiert werden und diese Repräsentation müsste Anerkennung finden.
Vieles von dem, was sich dafür ändern müsste, habe ich in den
vorangegangenen Abschnitten bereits skizziert. Das Wichtigste ist sicher, dass
das historisch Gewachsene in seiner Kontingenz gesehen würde und dass man
darauf für die Zukunft nicht besteht, sondern es eher als eine (manchen
willkommene, manchen unwillkommene) Art Zugabe betrachtet. Ganz ähnlich wie die
Apostel ja auch im Apostelkonzil schließlich entschieden haben, das historisch
Gewachsene des Judentums für die Zukunft nicht als verpflichtend zu betrachten.
Vielleicht könnte das Ergebnis dann ähnlich der Art sein, wie der Unterschied
zwischen Mahayana- und Hinayana-Buddhismus.
Offiziell
(von Mayana-Seite aus) wird gesagt, der Unterschied bestehe darin, dass der
Mahayana Buddhismus nicht (wie angeblich der [südliche] Hinayana-Buddhismus)
nach Selbsterlösung strebe, sondern dass die Übungen nur den Zweck hätten,
Menschen bereit zu machen, andere zur Erlösung zu führen. Tatsächlich
unterscheiden sich die beiden Richtungen des Buddhismus aber vor allem dadurch,
dass im [nördlichen] Mahayana – also im „großen Fahrzeug“ – der ganze
Götterhimmel integriert ist und trotzdem ohne dogmatische Probleme koexistiert
mit dem Hinayana [der südlichen Form des Buddhismus] – also dem „kleinen
Fahrzeug“ – das ohne Mythos auskommt. Der bei uns sehr bekannte japanische
Zen-Buddhismus rechnet sich zwar aus den genannten Gründen dem
Mahayna-Buddhismus zu, er gehört aber der mythosfreien Richtung an, der
Dalai-Lama dagegen ist auch dem Mythos verpflichtet. Jeder von beiden weiß, was
der andere meint, und beide verstehen sich als authentische Fortführungen der
Einsichten des Buddha, und es gibt keinen Anlass für Ausschlusstiraden oder
Kampf gegeneinander.
Wofür ich also hier plädiere, ist eine Art christliches
Hinayana, eine Art mythosfreien Christentums. Und dafür gibt das „im Geist und
in der Wahrheit“ Jesu selbst das stärkste Zeugnis ab. Und dass sich die Apostel
gelöst haben, von den traditionellen Bindungen, denen Jesus sich noch
verpflichtet fühlte, unterstreicht die Legitimität dieses Projekt. Vielleicht
wäre es daher an der Zeit, dass sich die verantwortlichen Leiter kirchlichen
Tuns den Gedanken an so eine Möglichkeit erlauben – und dass sie vielleicht
Studien und Experimente in dieser Richtung aus ihrem immer noch sehr reichen
Fundus fördern – es könnte letzten Endes ihr eigenes Überleben begründen.
Gehen wir daher noch einmal zurück zu den Anfängen: Damals
wirkte der Geist durch „Glossolalie“ (also durch an sich unverständliches
Geplapper) mit dem erstaunlichen Ergebnis, dass sich alle verstanden. Seit
langem aber stört der Geist die Organisation durch andere Ansichten. Man
versteht nicht. Man will nicht verstehen, denn – wer hätte dann die Macht?
Jetzt glaubt man, nur „man selbst“ hätte recht, alle anderen hätten unrecht.
Würde „man“ dem Geist folgen, so würde sich das unverständliche Geplapper des
Anderen sofort als völlig verständlich herausstellen – natürlich vorausgesetzt,
man ließe sich ein auf die Perspektive des Anderen, aus der „ES“ selbstverständlich
so erscheint.
Unter
solchen Voraussetzungen hätte der Papst am Ende keine Bedenken mehr, in einer
Moschee das islamische Gebet mitzusprechen und dabei das islamische
Glaubensbekenntnis von Herzen auch zu seinem eigenen zu machen, nämlich, dass es
keinen Gott gibt außer dem Gott und dass Mohammed sein Prophet ist. Und mit den
Buddhisten könnte er des „Erwachten“ gedenken und dessen Gedanken zu seinen
eigenen machen. Und das Gleiche träfe zu auf jede echte Form von Religiosität.
Das Kriterium wäre allein der Geist. Jede Zugangsweise ist gut, wenn sie zu ihm
hinführt. Auf diese Weise können alle in gegenseitigem Respekt voneinander
lernen.
Was ist das nur für eine seltsame Angst, man könnte „das
Eigene“ verlieren? „Wer Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist meiner
nicht wert“, sagte Jesus – also wer ist seiner dann Wert? Die Fundamentalisten
haben immer Angst um das Eigene. Dadurch dass sie so sehr am Buchstaben
festhalten, können sie nicht einmal erkennen, dass das wirklich Eigene von
keinem Buchstaben getragen werden kann, dass sie daher in Wirklichkeit sich
ständig selbst belügen.
Insofern
Jesus als einziges Kriterium den Geist zugelassen hat, ist er der Überwinder
der Buchstabengläubigkeit, jedes Alleinseligmachungsanspruchs und sogar der Überwinder
aller Religionen. Das war seine Botschaft an die Welt!
Psychologisch könnten wir jetzt noch fragen, warum die
zufällig historisch gewachsenen Formen mit solchem Eifer als das „einzig Wahre“
verteidigt werden. Was ist der „Krankheitsgewinn“? Den Verteidigern der
Sklaverei muss ja eine andere Belohnung in Aussicht gestellt werden, wenn sie
es lassen sollen. Der Krankheitsgewinn ist die Bedeutung, die sie gewinnen
durch die Identifikation mit einem unbezweifelbaren Gebilde. Ohne es wäre sie
nichts, durch es halten sie sich für unbezwingbar – ganz ähnlich wie bei den
Fans berühmter Fußballmannschaften. Was also kann ihnen in Aussicht gestellt
werden, wenn sie loslassen? Eigentlich nur das, was Jesus den Menschen auch
immer gesagt hat: Dass ihnen ihre Schuld (deren Unerträglichkeit sie einmal
dazu führt, sie zu leugnen und dann noch dazu, ihr eigenes Herz für alles
Andere zu verschließen) augenblicklich erlassen wird, dass sie von da an also
frei sind: Geisterfüllte Menschen müssen nichts darstellen, sie müssen nicht
gut dastehen vor den anderen, sie dürfen einfach sie selbst sein. So hat der
Geist sie doch gemacht. Auch ihre Schwächen dürfen sein. Jeder hat sie doch.
Das Verurteilen hat ein Ende.
Das
Leben kann beginnen ......