Was ist „der Teufel“?
30. 6. 2001
Gewöhnlich
denken die Leute, wenn sie an den „Teufel“ denken, an eine mysteriöse
Wesenheit, die ihnen übel will. Sie haben daher oft Angst und sie verbünden sich
mit der ebenso mythisch-magisch gedachten positiven Kraft, um geschützt zu
sein. Manche aber meinen deshalb, sie müssten sich mit dieser Wesenheit selbst
verbünden, um keinen Schaden zu erleiden. Das sind dann die „Teufelsanbeter“.
Sie alle täuschen sich. Beide leiden am gleichen Missverständnis. Denn der
Teufel ist keine Wesenheit an sich. Das ist er nur innerhalb einer magischen
Weltsicht. Nüchtern betrachtet ist „er“ einfach etwas, das aus uns herkommt,
wenn wir böse werden. Und wer wird nicht wenigstens gelegentlich böse? Jeder
kennt das doch!
Die
Theologen anerkennen das zwar irgendwie und sie sprechen daher auch von einer
Art gutem Bösen, das gegenwärtig sein soll in dem, was sie „heiligen Zorn“
nennen. Aber gerade indem sie diesen Unterschied machen zwischen einem heiligen
und einem unheiligen Zorn, was natürlich irgendwo seine Berechtigung hat und
ein bestimmtes Verständnis vertiefen kann, in unserer nüchternen Zeit vertieft
sich durch diese Unterscheidung nur das Missverständnis. Deshalb will ich nun
ein anderes Verständnis präsentieren, das heute das Verstehen vertiefen
kann:
Jeder
Mensch wird, wie gesagt, gelegentlich böse. Irgendwie kann man alle so sehr
reizen, dass sie ausrasten. Dann kommt das Böse zum Vorschein – und mit Recht!
Der Teufel ist unser Notprogramm. Wenn sich ein Mensch überhaupt nicht mehr zu
helfen weiß, wird er entweder alles hängen lassen und aufgeben (er verfällt in
eine Depression), nämlich wenn jede Gegenwehr aussichtslos erscheint, oder er
wird, wenn er auch nur die geringste Chance sieht, sich aufbäumen und seine
Hörner zeigen, die er für diesen Zweck doch hat! Und so kann man ermessen, was
für ein Grauen es darstellen musste, wenn jemand beschuldigt wurde, „vom Teufel
besessen“ zu sein und man versuchte, den Teufel auszutreiben – vielleicht das
letzte Stück Selbstbehauptung, das diesem Menschen noch geblieben war in all
der Unterdrückung, derer er sich nicht mehr anders zu erwehren wusste, als
dadurch, eben böse zu werden.
Das
Problem ist nicht das zum Vorschein Kommen des Bösen, sondern die
Unbewusstheit, die oft damit verbunden ist. Dadurch nämlich vergessen solche
Menschen sich oft ganz und gar und sie verwandeln sich in echte Teufel und
ziehen eine Spur der Vernichtung durch die Welt. Das ist natürlich übel. Aber auch
diese unbewusste Vernichtung ist nur die andere Seite des Schöpferischen. Es
ist notwendig. Die Zerstörung richtet sich zunächst zwar immer gegen all das,
was niemand mehr unterstützt, was nur noch behindert. Allerdings wirkt es eben
auch blind in seinem eigenen Umfeld. Dabei kommen viele Unschuldige zu Schaden.
Aber es wirkt auch als eine blinde Kraft, die den ersten Schaden streut und
verbreitet. Die wirkende Kraft selbst ist natürlich keine Person mit Absichten
wie ein Mensch, nur die Ausführenden sind Menschen mit oft unbewussten
Absichten. Die zerstörerische Kraft selbst ist nur die andere Kraft, die der
vorantreibend positiv schöpferischen Kraft entgegengesetzt ist als deren
notwendige andere Seite. Irgendwoher muss das Material ja kommen für die Schöpfung.
Es beruht doch alles darauf, dass aus dem Verfall neues Leben sprießt.
Angefangen vom reinen Licht des Anfangs, dessen Verfall die Dunkelheit und aus
ihr das Neue, das Materielle, in dem aus dem Dunkel wieder Licht wird, eine
andere Art Licht, die Bewusstheit, die möglicherweise eines Tages alles
erfassen und als reine Bewusstheit wieder jenes Licht erzeugt, in dem schon
unsere Welt ihren Ursprung fand. Eine ewige Welle von Verwandlung durch
Vergehen und Werden.
Der
„Teufel“ ist der notwendige Förderer dieses Prozesses.
Auch
in unserer persönlichen Welt bedeutet der Teufel genau das. Wenn wir böse
werden, ist ein zerstörerischer Prozess am Werk. Etwas davon hat uns betroffen.
Sonst würden wir nicht böse werden oder geworden sein. An uns liegt das nicht,
für uns gibt es nur die Frage, wie wir damit umgehen. Wir sind ja Menschen, wir
sind den Einflüssen, denen wir ausgesetzt sind, nicht einfach unterworfen. Wir
können sie erkennen und fühlen, was dahintersteht. Dann sind wir nicht mehr
Sklaven dieser Kraft. Wir können uns auch an der anderen Kraft orientieren.
Dann werden wir unseren Schmerz nicht mehr leugnen mit irgendeiner Art
„positiven Denkens“, dann werden wir ihn voll zur Kenntnis nehmen. Und das
bedeutet, dass wir auch sehen, was ihn veranlasst hat. Dann können wir uns auch
auf ihn einstellen. Dadurch werden wir eine Lösung erkennen, entweder indem wir
auf den Quell des Schmerzes einwirken oder indem wir ihm aus dem Weg gehen. Und
wenn wir keine Lösung erkennen, dann ist das unser nächster Schmerz, den wir
nur der anderen Kraft gegenüber äußern können, nämlich der Kraft, die alles zur
Entwicklung vorantreibt. Ihr gegenüber können wir unsere Verzweiflung zugeben,
ihr können wir unser Leid klagen, indem wir fühlen und eben nicht verleugnen.
Indem wir unseren Tod jetzt zulassen, die absolute Hilflosigkeit, die Auflösung
der Existenz.
Es
ist ein starker Zug, der diesem Weg entgegensteht, der Zug in die unbewusste
Selbstaufgabe, in das sich fortreißen Lassen von irgendwelchen gerade
daherkommenden Strömungen. Die Geschichte des Kain ist so eine Geschichte des
sich unbewusst fortreißen Lassens von der Strömung einer Frustration. Es ist
einfach die falsche Richtung, die Richtung, die der Entfaltung entgegengesetzt
ist, die weiteren Schmerz erzeugt und weiteren Tod, der natürlich dann
seinerseits wieder Anlass gibt zu größerer Bewusstheit. Es ist keine Frage der
Moral, sondern der Folgen, die ein Verhalten hat für den, der es hat. Kain
fühlte sich nicht sehr wohl nach seinem Brudermord. Er fügt sich also auch
selbst mehr Tod zu. Aber das wieder kann ihn herausführen aus dem Dunkel seiner
Unbewusstheit. So wirkt der Teufel. Er macht uns die Hölle heiß, wenn wir uns
abwenden von der positiv schöpferischen Kraft.
Und
all das heißt nicht, dass einer, der so durch Tod und Auferstehung
hindurchgegangen ist, nicht auch zerstörerisch wirken kann. Kann er nämlich. Er
wird sich wehren gegen die unbewussten zerstörerischen Kräfte. Er wird sie zur
Bewusstheit zwingen, so weit er kann und so weit es für ihn notwendig ist. Für
Mose war sehr viel nötig und er konnte sehr viel. Für jeden ist das anders.
Letzten Endes richtet sich die Destruktion nur gegen die Unbewusstheit. Nichts
drängt mehr nach Bewusstheit als Schmerz. Und so kann „das Böse“, „der Teufel“
nicht anders, als den schöpferischen Prozess in Richtung Bewusstheit
voranzutreiben. So wandelt sich das Dunkel in Licht. Nicht dass Licht besser
wäre als das Dunkel, es fühlt sich aber besser an. Und das ist es ja, was wir
zutiefst wollen.
Woher
also dieser Widerstand des und der „Bösen“? Es ist der Zug ins Nichts, in die
Auslöschung der Existenz. Es ist ein Zug der Existenz. Es hilft wenig, diesen
Zug zu verteufeln. Das ist genauso sinnlos, wie sich über die Schwerkraft
beschweren. Es ist nur so, dass sich diejenigen, die sich diesem Zug ausgesetzt
sehen und nicht wissen, wie ihnen geschieht, sich nicht besonders wohl fühlen
und dass es vielleicht eine Möglichkeit gäbe, diesen Gefühlszustand in einen
angenehmeren zu verwandeln. Das ist alles, was wir sagen können. Mehr kommt
dann, wenn sich ein Mensch auf diesen Gedanken eingelassen hat, wenn er bereit
ist, zu einem Experiment. Da kommen dann nämlich konkrete Lösungen für konkrete
Probleme. Da beginnen die Schmerzen, sich konkret zu lösen. Aus schwarzen
Löchern werden Lichtquellen. Wir werden Zeugen der Schöpfung. Sie geschieht an
uns. Wir werden neu geschaffen, neu geschaffene Menschen, nicht unbedingt in
einem einzigen Moment, aber nach und nach in immer neuen Momenten immer weiter,
bis die Verwandlung abgeschlossen ist, bis wir also wirklich ganz neue Menschen
sind, die nicht mehr aus sich leben, sondern aus jener Kraft, der sie sich
verschrieben haben und die die Kraft der Bewusstheit ist. Deshalb „im Geist und
in der Wahrheit“. Es ist die Wahrheit, dass uns unsere tiefste Sehnsucht da hin
zieht, womit die Sehnsucht als der andere Zug erkennbar wird, der in der
Existenz wirkt.
Insofern
ist es natürlich richtig, von einer dunklen und einer lichten Kraft zu sprechen
und sogar von Agenten dieser Kraft und dass es auch geistige Strömungen unter
den Menschen sind, Gefühlsströme, die als solche Agenten wirken. Wir müssen
wissen, dass es diese Strömungen gibt, in der „Gesellschaft“ genauso wie in uns
selbst. Von den gesellschaftlichen lassen wir uns leicht mitreißen, wenn diese
unseren eigenen schmeicheln. Es ist daher gut, diese Agenten zu erkennen.
Eine
Verteufelung aber kann genau das Gegenteil der angeblichen Absicht bewirken,
nämlich selbst jene teuflische Kraft verstärken und das Leid in der Welt zu
vermehren. Sobald ein Urteil einsetzt über „Gut“ und „Schlecht“ ist der
Umkehrprozess zum Dunkel erneut gestartet. Dann wird der angebliche Gott selbst
zum Teufel.
Und
dann holen die Menschen den Teufel hervor, um die festgefahrenen Urteile zu
zerbrechen. Das ist der notwendige Regenerationsprozess, den wir auch
gegenwärtig erleben mit jener kolossalen Umwertung aller Werte, mit jenem
Niedergang der traditionellen Religionen. Es war zu vieles festgeschrieben. Es
muss gelöst werden, damit ein neuer Anfang gemacht werden kann. Nicht eine
festgeschriebene Wahrheit ist es jetzt, sondern eben eine erfahrene, eine
Wahrheit des Geists nicht des Buchstaben. Nicht mehr über das gelernte Wissen,
über das Fühlen geht der Weg. Im Fühlen allein liegt die Wahrheit. Das, was wir
fühlen, ist die Wahrheit. Und in unserem Fühlen unsere Sehnsucht. Das ist eine
Wahrheit, die bewegt, nicht eine, die in Büchern ruht.
Auf
ihrem Weg gibt es nichts „Gutes“ und auch nichts „Böses“ an sich, da gibt es
nur etwas, das uns hilft und etwas, das uns hindert. Und wir möchten natürlich
das, was uns fördert. Das unterstützen wir. Und da sehen wir auch das
Förderliche des Zerstörerischen. Und da wird auch das, was andere für den
„Teufel“ halten, für uns zu einer Quelle des Lichts, eben in dem Maß, in dem
wir sehen müssen, wie die Idee von dem, was so viele für den Schöpfer halten,
für viele zur Quelle der Dunkelheit geworden ist.
Diese
Art Dunkelheit hat Jesus bei den religiösen Führern seiner Zeit angesprochen.
Und heute ist sie wieder da und zwar völlig versteckt hinter einer Maske
perfekter Moral. Absolut nichts kann man ihnen vorwerfen, außer das. Das ist
sehr subtil. Zur Zeit kaum materialisiert und doch da. Der Geist der
Verurteilung hinter allem Anschein von Allverstehen und von Toleranz. Ein
Schleier von Abwertung – aber nicht im Sinn des Lao-tse, der sagt, dass es
besser sei nicht zu haben, was das Leben lebenswert mache, als das Leben
wertzuschätzen, denn er plädiert doch nur für die Bewusstheit, sondern im Sinn
eines nicht Erlaubens, letzten Endes in dem Sinn, dass einer dem Anderen das
Recht auf Existenz abspricht oder eben nur eingeschränkt zugesteht. Das ist
natürlich dann der Ursprung des Teufels, eine neue Quelle der zerstörerischen
Kraft, die jenen Geist verbreitet. Und schon wirkt er wieder als Agent Gottes, weil
er auf sich zurückfällt und als solcher erkannt wird und damit den falschen
Glauben zerstört. Die Wahrheit kommt immer wieder ans Licht. Auch die Wahrheit
der Unwahrheit, wie die Unwahrheit jeglicher „Wahrheit“.
Das
macht der Geist der Wahrheit. Er macht Unbewusstes bewusst. Er bringt Licht ins
Dunkel. Er verwandelt das Dunkel selbst in Licht. „Felix Culpa!“ Auch unser
eigenes Dunkel ist da gemeint. Wenn wir das erkennen, kommt die Erlösung von
dem Dunkel, die Verwandlung des Dunkels in Licht. In dem Maß, in dem wir uns
selbst als Quelle des Leidens erkennen können, können wir selbst zu Quellen der
Heilung werden. Dann natürlich ist „Christus“ auferstanden. Vorher nicht.
„Christus“ geht nur (freiwillig) mit dem Teufel, nicht gegen ihn, weil doch
gegen ihn in Wirklichkeit mit ihm wäre, aber eben unfreiwillig, unbewusst.
Und
wer am Teufel leidet in dem Sinn, dass er ihm ausgeliefert zu sein glaubt,
wird, indem er das Recht dieses Teufels sieht, ihm nicht mehr ausgeliefert
sein. Vielleicht wird er sich gar zum Fürsprecher des armen Teufels machen. So
einer war Jesus. Während andere immer schlimmere Teufel erzeugten, nahm er den
Grund weg dafür, sich so zu fühlen. Und so wird er natürlich zu Recht der
„Erlöser“ genannt, was nichts an dem Recht schmälert, mit dem andere genauso
„Erlöser“ genannt werden dürfen. Jesus war nicht der Erste und er war nicht der
Einzige, der das verstanden und praktiziert hat. Ihn zum Ersten und zum
Einzigen zu machen ist eher der Kraft zuzuschreiben, die der Erlösung
entgegengesetzt ist, weil sie alles verfestigt. Lösen wir uns daher von ihr und
seien wir dadurch erlöst.