Die Kraft muss wachsen
30. 9. 2002
Die
Kraft muss wachsen. Und das geht ganz von selbst.
Wir
könnten den Wachstumsprozess künstlich beschleunigen wollen im Sinn von
Karrieredenken, aber das funktioniert letztlich nicht. Wer bei dieser Art
Denken stehen bleibt, wird irgendwann fallen. Und der Fall wird ihn verletzen,
wenn nicht töten.
Die
Kraft muss von selbst wachsen, wie eben irgendein organisches Gebilde wächst,
das ja nicht in der Fabrik hergestellt wird. Daher muss die Kraft wie ein
Organismus gepflegt werden. Sie braucht Nahrung und Ausscheidung, Lehre und
Anwendung, und sie wächst ganz spontan in unserem Dialog mit der Wirklichkeit.
Was
immer wir anfangen möchten im Leben, es muss auf diese Weise wachsen, sonst
wird nichts daraus. Wir können ja auch eine Pflanze nicht aus sich
herausziehen, wir müssen ihr Zeit zum Wachsen geben.
Sie macht das von ganz alleine, wenn sie entsprechend versorgt wird. Und genau
so müssen wir auch die Pflanze unserer Kraft versorgen.
Wie
versorgen wir die Pflanze unserer Kraft?
Ganz
einfach dadurch, dass wir auf die Quelle unserer Kraft schauen, auf das, was
wir möchten und dass wir unsere Fühler in diese Richtung ausstrecken. Von dort
kommt dann eine Reaktion, eine Ablehnung vielleicht zuerst, aber wenn klar ist,
dass es uns ernst ist, ein vorsichtiges, gegenseitiges sich Abfühlen und dann
wieder entweder Zustimmung oder Ablehnung.
Wir
haben keinerlei Anspruch auf irgendetwas, wir müssen um alles immer in irgendeiner
Weise werben. Jeder kennt das in der Partnerwahl, genauso ist es auf allen
anderen Gebieten auch. Wir müssen etwas bieten, dann bekommen wir auch was.
Wenn wir unser Bestes geben, bekommen wir auch das Beste. Das ist logisch.
Wie
können wir unser Bestes geben?
Nur
indem wir uns voll konzentrieren. Und voll konzentrieren können wir uns nur auf
etwas, auf das wir uns freiwillig einlassen und nur wenn es keine Störungen der
Konzentration gibt. Da es solche Störungen aber immer geben wird, müssen wir sie
einbeziehen in unser Lebenskonzept, in unser Zeitmanagement und auch in unsere
Aufmerksamkeit. Wir müssen den Störungen freiwillig den Raum geben, der ihnen
zukommt. Störungen nicht zu akzeptieren, würde bedeuten, einen Teil der
Realität auszublenden. Wir müssen ihnen den Raum geben, den sie sich ohnehin
nehmen – also freiwillig annehmen, was unvermeidlich ist, aber natürlich nicht
mit Zähneknirschen annehmen, sondern als eine Herausforderung, in der unsere
Chance liegt.
Beim
Wachsen der Kraft geht es darum, die ganze Realität als Herausforderung
anzunehmen und von Moment zu Moment unsere ganze Kraft dafür einzusetzen, die
auf uns zuströmende Wirklichkeit wahrzunehmen und uns von denjenigen Elementen,
die unserer Intention entgegenstehen, nicht bedrücken, sondern aufwecken zu
lassen, sie von der Perspektive des Ganzen her zu erkennen und ihnen von dieser
Perspektive her zu begegnen, entweder um sie im Einklang mit dem Ganzen
auszuschalten oder um uns von ihnen korrigieren lassen.
Letzten
Endes werden wir auf diesem Weg dahin kommen, dass es in unserem Leben nichts
mehr gibt, mit dem wir nicht übereinstimmen.
So
bezieht die Hege der Kraft eine Bewusstheitsentwicklung mit ein. Und eine immer
tiefere Konzentration.
Ein
wichtiges Element in der Hege der Kraft ist daher eine vertiefte Wahrnehmung.
Sie wird möglich, indem wir unser anfängliches Gedankenchaos dadurch ordnen,
dass wir offene Fragen klären. Das bedeutet, dass wir ein jedes unserer
Geschäfte, das wir angefangen haben, ehestmöglich abschließen, dass wir also
keinesfalls trödeln oder Altes, schon Durchgekautes immer wieder aufwärmen.
Abschließen heißt abschließen, es ein für allemal hinter uns bringen. Einen
Schlussstrich ziehen und keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Dadurch wird
mit der Zeit die Anzahl der gleichzeitig laufenden Geschäfte auf ein
erträgliches Maß reduziert und schließlich entsteht jenes Zeitmanagement, von
dem ich vorher gesprochen habe, in dem ich mir klar mache, was in meinem Leben
ich wie viel Raum geben möchte, besonders zeitlich. Damit ich nicht stöhne
unter Verpflichtungen, muss ich mich organisieren, was aber nicht eine
Disziplinierung im Sinn von Zwanghaftigkeit bedeutet, sondern eben wieder jenes
allmähliche Wachstum, in dem eben eine Zelle nach der anderen abgeschlossen wird
nach einem gewissen, in unserer Sehnsucht gründenden Plan.
Alles
hat seine Zeit. Was gerade an der Reihe ist, erkenne ich daran, dass es mich
jetzt zu sich hin zieht. In diese Richtung strecke ich meine Fühler aus. Ich
versuche, in Kontakt zu treten. Wirklicher Kontakt [Rapport] kann nur in einem
Zustand gelingen, in dem jene Anziehung [oder Abstoßung] so stark geworden ist,
dass sie mich bewegt – dass nicht ich mich bewegen muss. Nur dann habe ich die
volle Konzentration – alle künstliche Anstrengung [Zwanghaftigkeit] führt zu
Fehlleistungen oder zu anderen Schäden, schließlich auch im Organismus.
Das
Leben bringt ständig Abwechslung, weil durch die Komplexität unseres Organismus
ständig neue Dinge im Vordergrund treten. Das muss klar gesehen werden. Es gibt
in uns eine Art natürliches Programm zur Verarbeitung der Realität, das die
jeweils unterschiedlichen Bedürfnisse [Lade- und Entladezustände],
die von innen kommen, mit den von außen auftauchenden Gelegenheiten oder
Hindernissen [also mit den Lade- und Entladezuständen
unserer Umwelt] abstimmt [und umgekehrt].
Deshalb
zeigt das I Ching den Weg des Folgens in Hexagramm
II, wo es um den Weg der Kreatürlichkeit geht. Der ideale Weg alles
Geschaffenen ist nicht der des Bestimmens, sondern der des Folgens.
Karriere
ist gewöhnlich ein Weg des Bestimmens [also des Zwangs], nicht des Folgens.
Deshalb erzeugt es diese gesundheitlichen Schäden. Wenn Karriere auf dem Weg
des Folgens möglich ist, ist das unvergleichlich viel besser, nämlich verbunden
mit dem Gefühl und dem Wissen von Harmonie. Dann hat sie nichts Künstliches
mehr, sondern sie stimmt. Und dann macht Karriere auch nicht mehr krank.
Erfolg
ist auf dem Weg des Folgens nicht nur möglich, sondern natürlich, weil sich
unsere Chancen in der Realität zeigen. Da erleben wir Anziehung und Abstoßung.
Und indem wir folgen, finden wir, was uns anzieht und wir gehen weg, von wo wir
abgestoßen werden. Es ist also der einfachste Weg überhaupt, denn wenn wir
folgen, brauchen wir auch keine eigene Energie, außer der, die wir sowieso
schon brauchen, um zu leben. Es ist also gleichzeitig der ökonomischste und der
ökologischste Weg.
Wir
müssen warten, bis ein Maß voll ist, wir müssen unsere Ladezustände beachten
und ihnen folgen, also die Energie ernten, wenn sie reif ist, dann geht es von
selbst, womit ich natürlich nicht sagen will, dass wir uns dann von Emotionen
fortreißen lassen sollten, denn immer sollen wir uns ja von dem bestimmen
lassen, was wir wollen. Emotionen
sind einfach innere Kräfte, die wir [ähnlich äußeren Kräften] benützen können,
als Trägerwelle gewissermaßen, aber als unser Instrument, nicht als unser Herr.
Volle
Kraft heißt volle Konzentration nach innen und nach außen. Sie wird möglich,
indem wir aufmerksam sind, auf das, was wir möchten. Mangel und Überschuss
begründen unser Möchten, unsere Sehnsucht. Und von unserer Sehnsucht her kommt
die [innere] Welle, die wir benützen können, auf der wir reiten können, die uns
die Arbeit abnimmt, indem sie uns bei unserer Arbeit trägt. Aber natürlich
dürfen wir dabei unseren Organismus nicht vergessen, der die Arbeit ausführt.
Dieser hat nämlich seine eigenen, uns auch beschränkenden und natürlich zu
berücksichtigenden Bedingungen und Bedürfnisse [Lade- und Entladezustände]
und nur wenn wir diese auch anerkennen und in unserem Zeitmanagement
berücksichtigen, wird er seine volle Kraft erlangen, zufrieden sein und uns
damit am besten dienen.
Auf
diesem Weg gibt es nach oben hin keine Grenze. Berühmte Vorbilder mögen uns zu
weit entfernt erscheinen – bis wir selbst diesen Weg betreten haben – der doch
offen steht für jeden. Wer es fassen kann, der fasse es, die anderen, die es
nicht fassen können, werden es gar nicht bemerken, sie werden es nicht
verstehen, obwohl es so einfach ist. Wer Ohren hat zu hören, der höre, und der
hört auch. Wer keine Ohren hat zu hören, der hört es nicht, der braucht noch
eine Weile des sich künstlich Abmühens und der Frustrationen, bis er Ohren
bekommt, bis er lernt, zu folgen.
Das
ist der Weg der Kraft. Etwas ganz Natürliches. Einfach folgen. Und eines nach
dem anderen erledigen mit voller Konzentration, weil nichts Unfreiwilliges
daran ist. Dieser Weg führt vorwärts, immer weiter vorwärts, in Richtung
Erfüllung der Wünsche, die bei manchen so sind, wie bei Gandhi oder bei Mutter
Teresa, bei anderen wieder wie bei Arnold Schwarzenegger etc..
Jeder ist anders, und daher sind auch die Ergebnisse anders. Aber es geht in
allem um das Gleiche, nämlich darum, dass die Schöpferkraft sich voll entfalten
kann. Sie wird nur dann in unserem Sinne arbeiten, wenn wir folgen, wenn wir
uns sensibilisieren, indem wir aufmerksam sind auf das, was wir wollen und auf
das, was die anderen wollen, wie wir also Geben und Nehmen am Besten auf die
Reihe kriegen, so, dass unser Leben so wird, wie wir es gerne hätten – und
möglichst, natürlich, dass es auch für die anderen so wird, wie sie es gerne
hätten, denn sie sind ja unsere natürlichen Genossen. Sie sollen mit uns
genießen, wie wir auch mit ihnen.
Auf
diesem Weg wächst die Kraft ganz von selbst, nach und nach, wie es bei einem
organischen Prozess eben ist.
Und
ich folge, indem ich die Initiative ergreife und meine Fühler ausstrecke in die
Richtungen, in die es mich zieht.