Die gegenwärtige Weltlage einschließlich Perspektive
und Visionen von Lösungen
17. 5. 2002
Ich
betrachte hier besonders den Einfluss der Religion.
Eine
Erneuerungsbewegung (ein revival) muss durch alle
drei Religionen Palästinas gehen.
Dieser
Prozess muss politisch gefördert werden.
Dabei
kommt dem Islam eine Schlüsselrolle zu:
Von
dort kommt eine Herausforderung – nicht nur militärisch.
Sie
bezieht sich auch und gerade auf die Religion des Islam selbst und insbesondere
auf ihre Interpretation. Diese Interpretation muss sich ändern, muss sich
öffnen.
Parallel
dazu müssen sich Christentum und Judentum auch ändern und jeweils den anderen
in seinem vollen Recht neben sich akzeptieren und ihn nicht länger ablehnen.
Es
braucht eine Reform Richtung Toleranz und mehr als das, nämlich Verstehen.
Es
ist möglich, zu verstehen.
Es
ist möglich, die jeweilige religiöse Sicht des anderen von innen her
nachzuvollziehen, d.h. es ist für einen Christen möglich, sämtliche islamischen
Glaubensvorstellungen bejahend nachzuvollziehen.
Eine
neue Sicht der eigenen Religion wird dabei entstehen, denn wir müssen uns ja
fragen, wie wohl ein Moslem etwa das Dogma verstehen könnte, dass Jesus Gottes
Sohn sei, wo doch im Koran steht, dass es ferne sei von Gott, einen Sohn zu
haben. Wie also könnte so jemand das Dogma trotzdem bejahen?
Er
kann es nur bejahen, indem er die Sohnschaft ausdehnt auf alle Menschen, ja auf
alles Geschaffene, besonders aber auf sich selbst.
Das
ist dann wieder vereinbar mit dem alleinigen Gott – und was damit nicht
vereinbar ist, kann so nicht stimmen. Es kann sich nur um eine lokale
Interpretation handeln, die dem Druck der Prüfung unter einer höheren
Perspektive nicht standhält, daher keine Dauer haben kann.
Die
höhere Perspektive ist die Perspektive des Ganzen, das natürlich auch alle
anderen Richtungen einschließt. Im Ganzen gibt es ja die verschiedenen
Religionen, mit zum Teil [scheinbar, nämlich bis nach der Prüfung unter der
neuen Perspektive] einander widersprechenden Auffassungen.
Ich
behaupte nun, es ist möglich, in diesem Wissen um das Ganze, wechselweise den
Teil zu betrachten, mit dem man sich identifiziert und auch die anderen Teile,
mit denen die anderen sich identifizieren. Und dabei alle in ihrer Eigenart
vollkommen respektieren – jetzt aber doch manches ein wenig anders sehen und
zwar auf jene Weise, die sich schließlich durchsetzen wird auch in den
einzelnen Religionen. Sie alle werden erkennen, dass sie bisher eine verkürzte
Sicht ihrer eigenen "Glaubensgeheimnisse" hatten, dass sie jetzt aber
eine Stufe tiefer eindringen dürfen und die anderen darin miteinbeziehen.
Das
ist nicht eine Frage einer moralischen Toleranzforderung, sondern eine logische
Konsequenz aus dieser Betrachtung.
Diese
Betrachtung ist auch keine Ideologie, denn sie beschränkt sich nicht auf eine
Sorte von Bildern, sie bezieht alle ein.
Diese
Betrachtung ist aber auch nicht nur die Betrachtung der Vernunft, sie stimmt
auch emotional, weil wir alle doch die Sehnsucht nach umfassender Gemeinschaft
in uns haben.
Heute
ist diese Sehnsucht oft frustriert, weil die bestehenden Gemeinden oft nicht
die nötige Offenheit haben. Sie sind oft zu lokalen Brauchtumsgruppen
geworden, die Wert auf Abgrenzung legen, durch Forderung eines bestimmten,
ihnen genehmen Verhaltens. Sie sind also fern von dem alten „kat-holischen“ Ideal [dem Ideal der Allgemeingültigkeit].
Die Situation ist ähnlich dem, was Jesus an der Religion seiner Zeit
kritisiert.
In
dieser Betrachtung geht es außerdem nicht nur um eine Betrachtung der
Religionen, sondern auch um eine Betrachtung der anderen Phänomene unserer
Welt, etwa des Kampfes um politischen Einfluss und direkter militärischer
Machtausübung.
Was
bewegt die amerikanische Militärmaschinerie? Wie groß ist der Anteil der
Rüstungsindustrie? Was sind rein ökonomische Interessen anderer
Industriezweige? Welche Ängste und Hoffnungen sprechen die politischen Parteien
in den wichtigsten Ländern (natürlich einschließlich der islamischen Welt) an
und welche Konsequenzen hat ihre Politik?
All
das zusammen erst ergibt ein Bild, und dazu gehören auch die Träume, von denen
die Menschen bewegt werden, also insbesondere das, was Hollywood liefert, auch
das gehört ganz wesentlich dazu. Da werden Visionen produziert, Visionen einer
besseren oder einer schrecklicheren Welt. Das sind die neuen Prophezeiungen. Da
finden wir heute die apokalyptischen Bilder und die himmlischen Visionen. Die
heutige Geheime Offenbarung ist ja nicht geheim. Sie zieht die Massen ins Kino
und vor den Bildschirm.
Aber
sogar die Brauchtumsvereinigungen, einschließlich der
Religionen in ihrer konkreten Form haben ihr Recht und gehören dazu. Wir müssen
auch fühlen, was sie bewegt und sie verstehen.
Und
sogar die Amokläufer bei uns gehören dazu. Auch sie beklagen ja etwas zutiefst.
Wir müssen es sehen – ohne zu glauben, wir müssten zu den gleichen Resultaten
kommen wie sie, weil wir ja doch auch ihre verborgenen Motive erkennen, ihren
engen Horizont, und daher eine andere Lösung sehen. Wichtig ist ja nur, dass
wir eine Lösung sehen. Dann haben wir die Perspektive des Ganzen und in ihr
„das große Bild“, von dem Lao-tse spricht, „dem sich
das Erdreich zuwenden wird“.
Im
großen Bild müssen alle enthalten sein, da darf niemand ausgeschlossen sein, da
müssen wir mitfühlen können mit jedem, auch mit dem abscheulichsten Verbrecher
oder Penner. Wir müssen seine Not sehen.
Und
das ist jetzt wieder nicht eine moralische Forderung, sondern eine logische
Konsequenz aus unserem Entschluss, die Perspektive des Ganzen zu erkennen und
nach ihr zu leben.