23. 6. 2001
Ich
stelle fest, ich bin unzufrieden. Mir fehlt etwas. Wie kann ich es erreichen?
Zunächst
einmal muss ich natürlich herausfinden, was ich möchte und mich darauf gefasst
machen, dass dieses Möchten wie eine Zwiebel mit vielen Schichten ist und dass
die Schicht, die ich zunächst sehe, nicht unbedingt die ist, die ich auch
wirklich essen möchte.
Also
wie ist es zu bewerkstelligen, durch jene verwirrenden Schichten hindurch das
wirklich Fehlende zu finden?
Wenn
ich es nicht schaffe, den oberflächlichen Wunsch zu erfüllen, ist das, was ich
so wünsche vielleicht jetzt nicht für mich und ich muss warten, bis mein Wunsch
stark genug ist, sodass ich ihn einfach erfülle.
Dennoch
bin ich jetzt unzufrieden und glaube, das Leben zu versäumen. Und so taucht
auch die Frage auf, was darunter liegt – ob ich etwa das Leben eines Anderen
möchte bzw. etwas, das ich im Leben eines Anderen sehe.
Ich
glaube, ich muss den Weg da hin (zu den Lebensumständen, die andere, die ich
bewundere oder beneide, bereits erreicht haben) selbst finden. Dazu muss ich
eben meine Grenzen überschreiten, über mich hinauswachsen. So nähere ich mich
dem Ziel meiner Sehnsucht, und das ist meine Lebensaufgabe. Sonst gibt es keine.
Das hat das Leben für mich vorgesehen und für alle anderen natürlich auch. Die
einzige Frage, auf die es im Leben ankommt, ist die, ob ich diese Aufgabe
erfülle oder nicht. Erfülle ich sie, so komme ich näher zum Licht, wenn nicht,
nähere ich mich der Finsternis. Und in ihr natürlich der Hölle, und die ist
nichts anderes als das Feuer der Unzufriedenheit, das an uns nagt, bis wir uns
auf den Weg machen und etwas tun für uns selbst. Insofern ist natürlich klar,
dass einer, der tot ist, nichts mehr tun kann für sich selbst, weshalb das
Feuer ein ewiges ist. Ein Ausgeschiedener.
Um
Missverständnisse dieser Aussage zu vermeiden möchte ich hinzufügen, dass ich
damit nicht sagen will, dass es so etwas wie eine „ewige Verdammnis“ gibt.
Tatsächlich gibt es in allen Menschen eine Ebene der Wahrnehmung, auf der das
Ziel der Sehnsucht – nämlich die Erfahrung des Einsseins mit der liebenden
Schöpferkraft – unmittelbar da ist. Daher ist es höchst wahrscheinlich, dass
ein Sterbender diese Wahrnehmungsebene erreicht. Aber es bleibt in diesem Fall
schon sehr sehr schade, dass das ganze Leben vorübergegangen ist ohne diese
Erfahrung, denn es hätte ein Leben in dieser Erfahrung sein können.
Dennoch,
sobald die Erfahrung da ist, ist alles gut und alle früheren Schmerzen sind
vergessen – so wie es in der Apokalypse heißt: „Er wird alle Tränen von ihren
Augen abwischen : Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage,
keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.“ (21,4).
Das
Kriterium auf unserem Weg zum Ziel unserer Sehnsucht sind logischerweise keine
äußeren Maßstäbe, sondern allein das eigene Empfinden. Jeder spürt ja genau,
wie nah oder fern er/sie seinem/ihrem Idealbefinden ist. Wenn die Entfernung
groß ist, gilt es natürlich, was zu tun.
Zunächst natürlich wieder
einfach wahrzunehmen, was da ist und sich von dem bewegen zu lassen.
Wenn
etwas in uns brodelt und wir nicht wissen, was es ist, dann liegt eine Art
Deckel darüber, sodass es nicht zutage treten kann. Dann brodelt es in uns. Es
wird gut sein, den Topf zu entdecken, in dem es brodelt, damit er nicht
explodiert. Und dann, hineinzusehen, sich dem Schmerz, der darin brodelt,
auszusetzen. Und dann, Mitgefühl für sich selbst empfinden (nicht
Selbstmitleid!) und vielleicht um Hilfe zu bitten, wenn es allein nicht zu
schaffen ist. Und wenn niemand da ist, dann die Kraft, die uns ins Leben
gerufen hat, fragen um Hilfe, um Ideen, um Kraft, um Einsicht. Das ist die
Auseinandersetzung mit sich selbst und mit der Welt. Das ist der Weg, der zu
Bewusstheit und Erfüllung führt.
Wenn
der Topf schon explodiert ist, wird es gut sein, sich zu sammeln. Irgendwo
anfangen, bei einem Zipfel des Ich und von da aus schauen, wo alles geblieben
ist – und es dann zurückholen, Stück für Stück sich wieder anzuschließen.
Einfach
schauen, ohne Urteile, lässt uns die Teile wieder finden. Es darf alles sein.
Wir müssen nichts ausschließen. Und das Schlimme in uns, das brauchen wir nicht
unbedingt so viel ansehen. Wir können doch auf das Andere schauen. In jedem
gibt es viel Schrott, in dem man sich verlieren kann. Es muss nicht sein. Wir
können den Schrott ruhig ruhen lassen und uns auf das Lebendige konzentrieren.
Das ist nämlich auch da, sogar in denen, in denen der Topf bereits explodiert
ist. Dieser Zipfel, von dem ich sprach, ist der Lebensfunke in uns, unsere
Lebensmitte, das, von dem aus wir sehnen und fühlen. Ein bisschen was davon ist
in jedem immer noch übrig, solange er lebt. Also rein da und schauen!
Irgendwann
wird vielleicht die gewohnte Panik wieder die Oberhand gewinnen und alles
zerfällt wieder. Aber dann geht es eben weiter beim nächsten Mal. Und beim
übernächsten Mal und so weiter. Wer sich einmal an diesen Weg erinnert hat,
kann sich immer wieder daran erinnern. Und irgendwann ist die Sammlung
abgeschlossen. Dann sind wir wieder ganz und können der Welt getrost
gegenübertreten – was wir zwischendurch ohnehin auch immer wieder müssen (und
was wir auch irgendwie immer wieder können).
Also
sammle dich und schau, was du alles bist. Wie gesagt, alles ist o.k.. Alles
darf sein. Aber mit dem, was sich gut anfühlt, geht es weiter. Immer weiter
damit. Zum Guten hin. Das ist die Richtung, die jeder möchte.
Also
schauen: Was wäre jetzt gut? Und wenn das nicht geht, was wäre das Nächste und
so weiter, bis wir an unserem momentanen Level angekommen sind. Da müssen wir
alle anfangen – nicht bloß die, deren Topf schon explodiert ist. Und von da an,
wie auch eben schon gesagt, immer weiter, über unser gegenwärtiges Selbst
hinaus zu einem neuen Selbst, das wir noch nicht kennen, das dann aber selbst
wieder Ausgangsbasis sein wird für den nächsten Schritt.
In
den Topf hineinschauen können wir, indem wir das Brodeln körperlich fühlen und
dieses Gefühl sich ausbreiten lassen über unseren ganzen Körper und diesen
bewegen lassen von diesem Gefühl. Höchstwahrscheinlich werden da Zuckungen
kommen und Wellen durch den Körper laufen. Das alles muss raus. Vorher kann man
in den Topf nicht hineinschauen.
Und
wenn die Wellen nicht aufhören, muss man sie natürlich von Zeit zu Zeit
stoppen, um sich mit den Notwendigkeiten des Überlebens zu beschäftigen. Wenn
dann aber wieder Zeit ist, ist es auch Zeit, das Brodeln zu befreien und die
Wellen laufen zu lassen. Ohne, und das ist ganz wesentlich, ohne sich von
düsteren Wellen verschlingen zu lassen. Wir müssen da nicht hineingehen. Wir
können rein im Körper bleiben und die Wellen rein muskulär ablaufen lassen.
Irgendwann hören sie auf. Dann ist der Druck raus und wir können hineinschauen.
Und wir werden den Inhalt aushalten. Und wenn wir den Inhalt kennen, können wir
auch schauen, wie wir es besser machen können, damit in Zukunft nicht so viel
brodelt.
Es
ist klar, dass wir schauen müssen, was für unerledigte Geschäfte noch laufen
und die abschließen, entweder indem wir sie in die Ablage legen, als nicht mehr
aktuell oder indem wir sie der Reihe nach angehen und bearbeiten.
Diese
„Geschäfte“ sind möglicherweise auch irgendwelche Programme, die uns mitgegeben
worden sind auf dem Weg. Programme möchte immer irgendwelche Ergebnisse sehen.
Aber vielleicht brauchen wir das Programm gar nicht. Vielleicht war es
eigentlich für andere bestimmt. Wir müssen es herausfinden. Das betrifft sogar
die biologischen Programme, wie Fortpflanzung, Brutpflege, Nestbau,
Terrainabgrenzung, Jagdmethoden etc.. Hinter all dem aber steckt ein noch
tieferes universelles Programm, nämlich das Erkennen des Seins. Wer alle
Aufgaben schon gelöst hat, kann sich damit beschäftigen. Die anderen haben
nicht die nötige Konzentration. Bei ihnen geht es eben um die Lösung der
Aufgaben und darum, sie alle abzuschließen, so dass die Kraft frei wird für das
Letzte, das Höchste, das Eintauchen in die universale Kraft. Das diese Kraft
Verstehen und darin letzten Endes Aufgehen – nicht als Verlust, sondern als
Gewinn. Logischerweise kann da hin keiner kommen, der noch an etwas festhält,
dem noch etwas wichtig ist, der noch ein Geschäft laufen hat.
Mit
all dem will ich nichts über diesen Moment sagen. Dieses Eintauchen kann
nämlich auch geschehen und wieder aufhören. Es kann ein lebensbegleitendes
Eintauchen und Wiederauftauchen sein. Das wäre wünschenswert. Am Lebensende
aber, wenn es zu Lebzeiten da war, wird dieses Eintauchen kein Ende mehr haben
– was nicht heißt, dass ES nicht an einer anderen Stelle wieder austritt und
eintritt in die Welt – denn es wird ein sich vollkommen Verlieren, ein
vollkommenes darin Aufgehen sein, ein sich Vereinen mit dem einen Bewusstsein,
wissend, dass es kein Zurück (in die Individualität) mehr gibt. Denn was ist
schon das Einzelne im Vergleich zum Ganzen. Vielleicht aber langweilt sich das
Ganze wieder bei sich selbst und stößt etwas von sich aus, was dann wieder in
der Welt erscheint und meint, es wäre wer und hätte dies und das zu tun und an
dem und dem zu leiden. Und es kann wieder nichts tun, als sich von seinem
Leiden beflügeln lassen, entdecken. Experimente sind angesagt.
So
geht der Weg bis ganz ins Licht. Immer wieder sich durch Leiden beflügeln
lassen, immer wieder wagen, immer wieder den Spalt überspringen, der uns von
unserem Ziel trennt, der uns zunächst sogar von dem Weg zu unserem Ziel trennt.
Wir müssen uns einfach aufmachen, aufraffen, zunächst vor allem zur Klarheit
über unser Möchten.