Ein Christentum ohne magisches Paradigma

 

 

 

1. Jesus Christus

 

 

Ohne magischen Hintergrund ist der Stammvater des Christentums kein übernatürliches Wesen. Er ist einfach ein Kind Gottes, wie jeder von uns auch, nur mit dem Unterschied, dass er sich dieser Tatsache auf Schritt und Tritt bewusst ist. Aus diesem Bewusstsein heraus hat er gelebt. Daraus sind all die Wunder zu verstehen, die um ihn herum geschehen sind.

Indem er zu einem übernatürlichen Wesen gemacht worden ist, konnte er nicht mehr nachgeahmt werden – da dann doch von Natur aus keiner so sein konnte wie er.

Alle seine Warnungen in dieser Hinsicht wurden von den Schülern seiner Schüler in den Wind geschlagen. Die Leute lieben eben Idole mehr als ihresgleichen, deshalb schaffen sie sie immer wieder. Aber Idole sind leider Götzen. Und das Ergebnis des Götzendiensts ist der Wahn. Und diesen Wahn haben wir in Aktion gesehen. Und er herrscht immer noch – bereit (sobald sich die Gelegenheit dazu wieder ergibt) sich mit tödlichen Waffen auf alle zu stürzen, die diesen Wahn bestreiten.

 

Wenn also die Göttlichkeit nicht der Unterschied zu uns war, weil wir in keiner Weise weniger Kinder Gottes sind, als er es war, was war es dann, was seine unnachahmliche Magie ausmachte – und was hoffentlich irgendwann auch unsere eigene Magie ausmachen wird? Mit "Magie" meine ich die Ausstrahlung, die Wirkung der Persönlichkeit. Menschen, die diese Ausstrahlung nicht besaßen, bemühten sich, sich durch magische Praktiken allerlei Art wenigstens mit einer "Aura der Mysteriums" zu umgeben.

Jesus dagegen verhält sich eher profan. Und seine persönliche Ausstrahlung bringt er selbst vor allem in Zusammenhang mit der menschlichen Natur, der er folgt. Er nennt sich selbst ja nie "Sohn Gottes" (der er natürlich ist, wie wir auch), dafür aber umso häufiger "Menschensohn". Und damit sagt er uns natürlich, wir könnten genauso sein – wie er, der von allen Bewunderte. "Ihr könnt noch größere Dinge tun", hat er sogar gesagt.

Welche gewaltige Ressource war es also, aus der er schöpfte? Er nannte es den "Vater". Und es fällt nicht schwer, zu erraten, dass dieser Vater niemand anderer ist als die Kraft, die schon die alten biblischen Patriarchen entdeckt hatten als Quelle des Lebens und der Inspiration.

 

Für diejenigen, die glauben, diese Energiequelle nicht aus eigener Erfahrung zu kennen: Sie erscheint, wenn wir mit unserer Weisheit am Ende sind. Solange wir unsere Weisheit haben, leben wir ja noch in der Welt des Sündenfalls: Wir kennen den Unterschied von gut und schlecht und wissen daher auch einen Weg. Erst wenn wir am Ende sind, kennen wir diesen Unterschied nicht mehr. Wir geben es auf, uns selbst lenken zu wollen. Wir erkennen uns selbst als hilfebedürftig. Und da erst sind wir offen für die viel größere Kraft und die viel größere Weisheit, die Kraft und Weisheit der Schöpfung.

 

Was geschieht, wenn wir wirklich am Ende sind (also "am letzten Tag", "beim letzten Gericht"), ist eine alte Menschheitserfahrung. Niemand musste es "offenbaren". Alle Menschen, die je in diese Situation kamen, haben es erfahren. In der Sprache des alten chinesischen Orakels wird die Situation dargestellt in Hexagramm zwei, die Erde: Wenn wir in dieser Situation sind, folgen wir. Und die Kraft, der wir folgen ist dargestellt in Hexagramm eins: Wir folgen den Anordnungen des Himmels.

Natürlich kann ein Mensch tatsächlich am Ende sein, sich das aber nicht eingestehen, und immer noch festhalten an seinen Vorstellungen über die Welt. Dann kann es geschehen, dass sich dieser Mensch umbringt aus Enttäuschung darüber, dass die Welt nicht seinen Vorstellungen folgt. Alle, die in dieser Situation nicht alle Vorstellungen aufgeben, können nur die Hölle erfahren – die anderen erfahren den Himmel und die Rettung von oben.

Das war es, was alle sogenannten "Propheten" seit je her sagen wollten. Deshalb gibt es "im himmlischen Jerusalem" auch keinen Tempel. Wozu auch? Die Tempel sind doch immer die versteinerten Vorstellungen. Gedankenfossilien. Deshalb sagte doch auch Jesus, kein Stein werde auf dem anderen bleiben. Da ging es ihm nicht um eine Vorhersage über die Geschichte der Juden. Er meinte jede Art von Tempel.

In unserer Zeit haben die Gründer der "Anonymen Alkoholiker" diese Tatsache wiederentdeckt und daraus ihre berühmten "Zwölf Schritte" formuliert, die ja bekanntermaßen mit der "Kapitulation" beginnen – also mit dem Beugen des Haupts zum Zeichen der Bereitschaft, etwas anzunehmen. Ohne Kapitulation kommt der Tod, mit Kapitulation kommt neues Leben. In diesen simplen Tatsachen steckt das ganze Geheimnis des Lebens. Überall auf der Welt ist es bekannt.

Aus diesem Grund gibt es keine über– oder unterlegenen Religionen. Alle derartigen Gedanken sind nur Zeichen des nicht–verstanden–Habens. Im Klartext: Alle Christen, die meinen, das Christentum sei erhaben über den Islam oder den Hinduismus oder den Buddhismus oder das Judentum täuschen sich nicht nur, sie haben das Wesentliche ihrer eigenen Religion, also das, was der Christus ihnen sagen wollte, noch nicht verstanden. "Holzkopf" pflegte einer meiner Lehrer in solchen Situationen zu sagen.

Genau am Punkt der Kapitulation aber beginnt das wirkliche Menschsein. Alle, die dort waren, kennen den "Menschensohn" von Angesicht zu Angesicht. Alle, die ihn nicht kennen, wissen zu viel – nein, sie glauben nur, zu wissen, ihr vermeintliches "Wissen" ist nur Einbildung. Das einzige Gegenmittel gegen den falschen Glauben ist die Ehrlichkeit. Ehrlichkeit führt unfehlbar zur Kapitulation – und damit paradoxerweise zurück ins Paradies. Und damit ist das Ziel der Religion erreicht – ganz ohne jeden magischen Hokus–Pokus, und wenn’s ein so heiliger wär', wie beispielsweise der, der für viele zum Wesen der Eucharistie zu gehören scheint.

 

 

 

2. Was soll mit den vorhandenen Formen geschehen?

 

 

        Eine Eucharistie ohne Götzendienst ist eine simple Gedächtnisfeier – genau wie die "Einsetzungsworte" es vorschreiben. Ein "Gedächtnis" ist eine Einstellungsübung, also eine Übung zur Erweiterung der Bewusstheit. Die Übung zielt auf das Annehmen des Endes, also des eigenen Todes. Es ist eine Übung der Hingabe, der "Kapitulation" und des Mitgefühls – denn Mitgefühl war ja das Motiv Jesu, aus Mitgefühl hat er seiner Tötung zugestimmt.

        Ähnliches gilt auch für alle anderen "Sakramente". Offensichtlich ist das sogleich bei der Taufe, dem Untertauchen, ebenso aber beim Sündenbekenntnis, in dem nicht selten ein vernichtendes Geheimnis preiszugeben ist und auch bei der sogenannten "Firmung", die ja ebenso darin besteht, sich unter die Hände eines Ältesten zu begeben und sich dabei möglicherweise einem tödlichen Schlag auszusetzen. Auch Ehe und Priesterweihe sind ein völliges sich Ausliefern und im Fall der Krankensalbung ist der Empfänger ohnehin bereits am Ende.

        Mit anderen Worten: Die vorhandenen Formen können sehr hilfreich sein, aber eben nur, wenn es sich dabei der Intention nach nicht um abergläubisch vollzogene magische Rituale handelt. Die magische Intention ist aber immer noch die vorherrschende. Und so war das wohl fast von Anfang an. Die Formen selbst aber haben nichts damit zu tun und eignen sich hervorragend als Hinführung zu einer regelmäßigen Praxis der Hingabe (der Kapitulation) und so waren sie ursprünglich auch intendiert.

        Im Alten Testament ist das Bewusstsein der Notwendigkeit der Kapitulation allgegenwärtig. Jeder der Propheten spricht von sich selbst nur als von einem "Sklaven" JAHWE's, also von einem, der kapituliert hat. Auch die im Neuen Testament vorherrschende Intention des "Diensts" ist eine Intention der Kapitulation – es sei denn, ein "Diener" glaubt von vornherein zu wissen, was gut und was schlecht ist für die, denen er dient. Dann natürlich kann der "Dienst" gut eine Vergewaltigung sein. Und von dieser Art "Dienst" ist die Kirchengeschichte voll.

 

        Ohne radikales Umdenken und Kapitulieren der Kirchenführer selbst wird es daher nicht möglich sein, die durch magische Intentionen verunreinigte Fracht der christlichen Glaubenslehre und –praxis zu reinigen.

 

 

 

3. Die dogmatischen Formulierungen

 

 

Die Formulierungen bleiben gleich, doch das Verständnis verlässt die kindliche Ebene und erreicht neue, bisher ungeahnte Tiefen.

Gott wird nicht mehr als ein außenstehender Beobachter gedacht und der Schöpfer nicht mehr wie ein Kind, das im Sandkasten seine Figuren baut und gern hätte, dass sie sich bewegen, sondern Gott wird persönlich erfahren als die Kraft, die alles beseelt und belebt und so vorantreibt, dass Sinn entsteht, sowohl in der Natur als auch im eigenen Leben. Etc.

 

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TC

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