Eine längst überfällige kopernikanische Wende in der Theologie

4. 10. 2012

 

Dass die erste kopernikanische Wende in der Zeit nach Galilei auch in der Kirche vollzogen worden ist, war unvermeidlich, weil alle Welt diesen Standpunkt übernommen hat und die Kirche nicht zurückbleiben konnte. Zu den christologischen Definitionen des vierten und fünften Jahrhunderts aber machte der Kirche niemand Konkurrenz. Sie konnten daher unverändert bleiben und, gewissermaßen, das geozentrische Weltbild auf theologischer Ebene fortsetzen. Die Definition Jesu als einzigem Sohn Gottes ist letztlich das. Es ist ein Rückschritt gegenüber Genesis 1,26 – allerdings ist Jesus tatsächlich eine unüberbietbare archetypische Erklärung von Genesis 1,26.

Genesis 1,26 sagt, der Mensch ist ein Bild von Gott, eine göttliche Erscheinung. Wenn er es doch immer so wäre, wie er es in Jesus war!

Bedauerlicherweise tendieren aber die, die auf der einzigen Gottessohnschaft Jesu bestehen, dazu, den Glauben an ihre eigene Gottessohnschaft zu leugnen – oder zu meinen, sie wäre nur Adoptivkinder oder Stiefkinder Gottes. Aber immerhin, sie bemühen sich. Das muss laut und deutlich gesagt werden.

Es gibt nämlich auch die, die sich nicht bemühen – entweder indem sie die anderen Menschen verachten und ausbeuten oder indem sie sich selbst verachten und in Jammer versinken. Beides ignoriert Genesis 1,26.

Es gibt aber auch die, die sich bemühen und die Religion ablehnen, weil sie sich über die Beschränktheit der Religiösen ärgern, weil diese über ihr Bemühen ein Dogma stellen, das ihr Bemühen einschränkt – beispielsweise indem es sie dazu zwingt, sich über andere zu stellen, die ihren Glauben nicht teilen. Gerade Religion gestattet es ihren Anhängern oft nicht, die Wahrheit, die andere gefunden haben, anzuerkennen und die Unwahrheit, an der sie selbst festhalten, zu erkennen. Die Auseinandersetzungen Jesu mit den Vertretern der Religion seiner Zeit und Kultur bieten dafür reichlich Anschauungsmaterial.

Solange Jesus der einzige Sohn Gottes ist, wird das so sein. Aber mit ihrem Glauben, dass der Islam die letztgültige Religion ist, die alle anderen Religionen ablösen wird, sind Muslime in der gleichen Position. Dadurch können auch sie die Wahrheit, die andere gefunden haben, nicht anerkennen und ihre eigene Unwahrheit nicht erkennen. Und mit den Juden, die alle auf ihr Gesetz verpflichten wollen, ist es ähnlich. Aber immerhin haben Juden den Vorteil, dass sie zeigen können, wie aus ihrer Mitte eine bei weitem überdurchschnittliche Anzahl der kreativsten Geister der letzten Jahrtausende hervorgegangen ist.

Die kopernikanische Wende besteht, wie schon gesagt, darin, dass Jesus nicht mehr als das alleinige Zentrum der Welt gesehen wird, sondern dass jeder Mensch (genau genommen alles, was ist) sich selbst als das Zentrum der Welt sehen kann.

Immerhin wissen wir inzwischen, dass die Sonne nicht das Zentrum der Welt ist und auch unsere Milchstraße ist es nicht – und doch bleibt für uns die Erde das Zentrum und wird es wohl noch für eine Weile bleiben. Aber das eigentliche Zentrum, das, warum sich für ein Wesen alles dreht, ist es selbst – aber eben nicht unabhängig, sondern eingebettet und in fast allem abhängig vom großen Ganzen – früher hätte man gesagt, von Gott.

Heute wissen wir – ein wenig klarer auch dank christlicher Trintiätstheologie – dass uns „Gott“ in drei Formen begegnet, nämlich (1) in Form der schöpferischen Kraft, die in allem ständig wirkt, (2) in Form der Myriaden von Formen, die diese schöpferische Kraft angenommen hat und deren eine wir sind und (3) in Form der Information, die von allem zu allem ausgeht und aus der sich der ideale Lebensweg jeder einzelnen dieser Formen ergibt.

Dieser ideale Lebensweg beansprucht wieder die drei Formen Gottes, also die Kreativität (1), die Wahrnehmung der anderen Formen (3) und das Bauen auf die eigene Geformtheit (2). Der ideale Lebensweg wird möglich, wenn ein Mensch seine Sensitivität nach innen und nach außen so weit entwickelt, dass er auf alles entsprechend reagieren und sich selbst entsprechend einbringen kann im Sinn optimaler weiterer Evolution des Ganzen.

Das ist es, was Jesus in seinen Worten und in seinem persönlichen Beispiel zeigte. Für jeden, der das sehen kann, bleibt sein Beispiel zentral.

Diese kopernikanische Wende ist daher durchaus keine Abwertung von Jesus, im Gegenteil; dadurch wird das, was vorher für viele Angehörige unseres Kulturkreises märchenhaft war, realistisch. Jesus ist und bleibt eine wahrhaft göttliche Erscheinung. Und es wäre sehr zu wünschen, dass wir in seine Fußstapfen treten und es auch sind.

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