Fühlen – nicht Denken!

(27. 7. 2001)

 

 

 

Die wirkliche Lösung findet sich niemals im Denken, sondern nur im Fühlen. Mit „Fühlen“ meine ich nicht Gefühle. Gefühle sind ja nur ein Teil dessen, was gefühlt werden kann, nur ein Teil unserer Realität.

Was Castaneda als die „Energielinien“ bezeichnete, kommt dem, was „Fühlen“ ist, schon näher: Er meint jene (geistigen, aber doch sehr realen) Linien, die uns mit bestimmten Ereignissen unserer Vergangenheit und unserer Zukunft verbinden und die uns natürlich auch mit allem verbinden, was unsere Gegenwart ausmacht. Wenn wir uns selbst betrachten (wenn wir fühlen), können wir entdecken, woraus unser momentanes Lebensgefühl zusammengesetzt ist: aus einer Unzahl von Erinnerungen und Hoffnungen (Wünschen), und beides jeweils im Vergleich mit unserer Gegenwart - oder noch festgehalten in einer Sicht aus der Vergangenheit.

Im Fühlen gibt es immer die beiden Pole: die gegenwärtige Realität und die Sehnsucht. Es geht darum, die gegenwärtige Realität an die Wünsche anzupassen. Das ist unsere Lebensaufgabe. Am Ende steht dann die tiefste Sehnsucht, nämlich zu fühlen, was die Energie fühlt, aus der wir bestehen. Aber es ist egal, was am Ende steht, wir sind da, wo wir sind. Da müssen wir anfangen.

Wir müssen nur ehrlich sein und uns selbst betrachten aus einer Einstellung heraus, in der alles möglich ist. Nur dann können wir in die verborgensten Winkel unserer Existenz schauen.

Nach dem Schauen kommt der nächste Schritt, die Konsequenz des Fühlens, nämlich die Umsetzung dessen, was wir gesehen haben. Sie beginnt damit, dass wir mitteilen, was wir fühlen, wie es uns geht. Dieses Mitteilen betrifft immer, die die es gerade betrifft, sei es der Partner, die Partnerin, sei es der Chef, sei es ein Untergebener, seien es eigene Kinder, seien es Kunden oder Freunde, mit wem wir es eben gerade zu tun haben. Denen müssen wir mitteilen, was wir möchten. Natürlich müssen wir uns dabei im Klaren darüber sein, dass die Erfüllung unserer Wünsche auch was kostet und das müssen wir natürlich geben. Für nichts gibt es nichts. Für uns selbst total aber bekommen wir alles. Immer entsprechend dem Einsatz. Wenn wir unsere Wünsche wertschätzen, werden wir bereitwillig geben, was nötig ist.

Der Weg zur Erfüllung unserer Sehnsucht beginnt aber immer mit dem Fühlen dessen, was der Fall ist in der jeweiligen Beziehung. Dadurch klären sich auch unsere Wünsche. Und gleichzeitig klärt sich die Beziehung. Wir werden wissen, was wir wo haben können und was wir woanders suchen müssen. Aber eben erst nach der Auseinandersetzung mit dem, was wir fühlen. Nicht um diese Auseinandersetzung zu vermeiden. Sie ist ohnehin nicht zu vermeiden.

Das Fühlen ist in jedem Fall der Ausgangspunkt, egal in welcher Frage – noch einmal: nicht irgendwelche Gefühle sind der Ausgangspunkt, sondern das Fühlen, in dem Gefühle auch vorkommen neben vielem anderen, was da eine Rolle spielt. Zunächst natürlich erscheint alles in Gefühle verpackt. Bei genauerem Hinsehen aber können wir entdecken, dass gleich hinter den Gefühlen Realitäten stehen. Und auf diese Realitäten gilt es Einfluss zu nehmen. Das ist die Aufgabe (die Problemstellung).

Sie ist nur zu erfüllen, wenn wir unsere Energie gesammelt haben und die Energie sammelt sich, indem wir uns alles in uns ansehen und respektieren als etwas, das seine Daseinsberechtigung hat. Deshalb ist es ja da. Erst wenn wir nichts mehr ausschließen, können wir wirklich fühlen. Erst dann stehen wir nicht mehr im Widerspruch mit uns selbst. Dann ist unsere Energie gesammelt und unser Schlag wird wie ein Karateschlag sein: durchdringend, welcher Art dieser „Schlag“ auch immer sein mag.

Fühlen bedeutet immer von der Realität ausgehen, nicht von Vorstellungen. Die Vorstellungen kommen allerdings auch vor im Fühlen. Auch sie können wir fühlen und dabei bemerken, was sie wirklich wert sind. Letzten Endes sind sie nichts wert. Nur die beiden Dinge haben Wert: Die Sehnsucht und die Realität. Sie Sehnsucht führt uns, sie zeigt uns, wohin wir uns bewegen müssen und die Realität zeigt uns, wie sie realisiert werden kann, sodass unsere Vision immer konkretere Gestalt gewinnt.

Auf diesem Weg gibt es natürlich viele Ablehnungen. Das ist normal. Wir sind ja gerade erst dabei, uns selbst kennen zu lernen und da täuschen wir uns auch noch oft. Aber nur indem wir auch unsere Illusionen ausleben (logischerweise nur so lange, solange wir sie nicht eindeutig als solche erkennen), hören sie auf, unser Lebens insgeheim zu beherrschen. Nach jeder Enttäuschung können wir wieder eines dieser Kapitel abschließen. Ohne Enttäuschung könnten wir es nicht. Es würde beständig weiter an uns nagen, wie so viele alte Wunschvorstellungen, denen wir uns nie wirklich hingegeben haben. Durch die Ablehnungen lernen wir Realität von Phantasie zu unterscheiden. Was wir eben vor allem Fühlen sollen, ist nicht irgendeine Phantasie, sondern unsere Sehnsucht. Sie ist der eine Pol unserer Selbst-Wahrnehmung, der andere Pol sind die Schranken, an die wir in der Realität stoßen und wie das sich anfühlt.

In der Realität entsteht durch die Konfrontation unserer Sehnsucht mit unseren tatsächlichen Schranken eine Krise, eine Art Patt der Kräfte, eine Art Vakuum, das Vakuum der Verzweiflung – wenn nichts so läuft, wie wir es gerne hätten. Unsere Realität ist dann die Ratlosigkeit, eine Leere. Sie erzeugt einen Schmerz und der Schmerz gebiert den konkreten Wunsch, die Lösung. Nun ist alle Energie geeint. Alle Kraft steht zur Verfügung, nichts leckt irgendwohin weg. Und so wird unser Wunsch jetzt erfüllt. Das ist der Weg.

Es beginnt immer mit dem Fühlen dessen, was ist. Aus dieser gefühlten Gegenwart heraus lösen sich alle Probleme, der Weg wird klar erkennbar.

Durch Denken wäre all das nur sehr schlecht regelbar. Es liefe alles nur auf faule Kompromisse hinaus, an denen niemand seine Freude hat. Das Denken beruht ausschließlich auf unserer Erfahrung, also auf den Daten unserer Vergangenheit, es kann den Sachverhalt daher nie wirklich genau treffen. Das Fühlen doch. Und im Fühlen erscheinen auch die Lösungen, gewissermaßen von selbst aber natürlich nicht umsonst. Aber es ist klar. Im Denken gibt es immer Alternativen, im Fühlen gibt es das nicht, und wenn doch, dann muss experimentiert werden, bis sich die Dinge klären. Durch Denken lassen sie sich nicht klären, weil die Wirklichkeit eben immer anders ist als selbst unsere komplexesten Vorstellungen. Im Fühlen können wir aber auch alle unsere Vorstellungen bis an den Grund erfühlen, bis wir genau wissen, was sie mit uns zu tun haben. Dann können wir sie auch sein lassen. Es geht immer einfach nur darum, die Beziehungen zu fühlen, also die Relativität in bezug auf uns selbst. Dann wird uns bald nichts mehr etwas vorgaukeln. Dann werden wir unsere Kraft einsetzen und unseren Traum Wirklichkeit werden lassen.

Mit dem Denken können wir bestenfalls Karriere im üblichen Sinn machen. Wir werden nicht frei werden. Frei werden wir nur, indem wir spüren, was ist. Und das bedeutet: Immer wieder durch Tod und Auferstehung ins neue Leben. Der Tod, also eine Ablehnung, ein Misserfolg, eine Ratlosigkeit, ist der Anlass, zu fühlen. Und im Fühlen finden wir den Schlüssel zum anderen Leben (nicht nach dem Tod, sondern jetzt, „im Fleisch“, wie es heißt). Wer den Tod vermeiden will, wird keine Auferstehung erleben. Noch einmal: Mit „Tod“ meine ich ein Erlebnis der Negation des Ich, ein sich am Ende Fühlen, absolute Ratlosigkeit. Genau da entsteht das neue Leben. Das Nichts brütet es aus. Das neue Leben entspringt dem Fühlen des Todes. Der Tod ist der Ort der Kreativität (nicht das Herumbasteln mit irgendwelchen Materialien). Wir müssen uns selbst erlauben, am Ende zu sein. Wir müssen uns zutrauen, diesen Schmerz ertragen zu können. Mitten im tiefsten Schmerz erscheint dann die Vision und mit ihr die Energie, sie zu verwirklichen. Dann sind wir schon im anderen Leben. Wenn wir den ganzen Zyklus einmal bewusst erlebt haben, werden wir weniger Widerstand haben gegen das Fühlen unseres Todes und so wird uns der nächste Schritt leichter fallen – bis wir ohne jeden Zweifel wissen, dass wir den Weg gefunden haben.

Fühlen bedeutet immer, den möglichen wirklichen Tod in Kauf nehmen, Fühlen bedeutet, die Wahrheit anerkennen, dass wir unser Leben niemals zur Gänze kontrollieren können, dass wir letztlich also immer abhängig bleiben werden – von jener Kraft, die uns ins Leben gerufen hat. Fühlen bedeutet daher immer „kapitulieren“ vor jener Kraft. Unser Schicksal freiwillig in deren „Hände“ zu legen. Mit ihr zu kommunizieren. Das ist der Weg ins neue Leben.

Im Denken dagegen bleiben wir immer bei uns selbst. Ein neues Leben ist da nicht möglich. Wir verheddern uns nur immer tiefer in unser eigenes Gedankengestrüpp. Da gibt es keine Freiheit. Es gibt höchstens – und das meinen die „Jnana-Yogi“ mit ihrem „Weg der Erkenntnis“ – dass wir nach langem vergeblichen Denken unter Umständen erkennen können, dass es auf diesem Weg keine Lösung geben kann. Was das erkennt, ist aber nicht das Denken, es ist jene andere Ebene, nämlich das Fühlen der Vergeblichkeit, das sich da zu Wort meldet. Insofern ist „Jnana-Yoga“ letzten Endes kein Weg des Denkens, sondern die erleuchtende Erkenntnis kommt von wo anders her, nämlich von jener Ebene der Lebensenergie, zu der wir nur im Fühlen in Kontakt kommen können.

In jedem Fall ist das neue Leben immer das Ergebnis unseres Todes im alten Leben. Das Scheitern treibt die Evolution voran. „Not macht erfinderisch“, heißt ein banal wirkendes, aber doch sehr weises Sprichwort. Das Auseinanderbrechen hebt alle gewohnten Regeln auf, durchbricht alles, was wir kennen und erlaubt so einen unbekannten neuen Anfang, auf einer völlig neuen Basis. So ist es schon von der ersten Zellteilung an. So wie diese zustande kommt, indem sich eine männliche und eine weibliche Zelle vereinigen, so kommt auch jede spätere kreative Neuerung durch jene Krise zustande, die entsteht aus einer vergleichbaren Vereinigung zweier gegensätzlicher Bestrebungen. Diese Vereinigung gegensätzlicher Kräfte könnte zur gegenseitigen Vernichtung führen, die schöpferische Energie hat es aber so eingerichtet, dass aus solchen Situationen etwas Neues hervorgeht, etwas, das den Bewusstwerdungsprozess einen weiteren Schritt vorantreibt.

Was wir sehen, wenn wir diese Prozesse beobachten, ist das „ewige“ Leben. Wir stehen in Kontakt mit ihm – nicht „nach unserem physischen Tod“, sondern jetzt. Jetzt können wir auf diesen Prozess vertrauen und uns dadurch jener Energie anvertrauen, die unser Leben lenkt. Dann sind wir bewusst schon jetzt im neuen und, wie wir jetzt wissen, im „ewigen“ Leben. Und das alles nur, indem wir fühlen.

Für jemand der fühlt, sind die äußerlichen Maßstäbe der Menschen nur noch das, eben äußerliche Maßstäbe, Hinweisschilder, die von unseren Vorfahren aufgestellt worden sind als Hilfe und nicht als Hindernis. Wenn wir sie so betrachten finden wir in ihnen auch Hilfe – zu anderen Zeiten vielleicht aber ein Hindernis, das es zu überwinden gilt. Alle Maßstäbe sind einfach nur eine der vielen Verästelungen des Fühlens. Auch sie gilt es zu fühlen und zu erkennen, wo ihre Beachtung angebracht ist und wo ihre Beachtung unserem ehrlichen Fühlen widerspricht.

Der Weg ist einfach: Es ist der Weg des Fühlens. Und dieser Weg verlangt unbedingte Ehrlichkeit, denn sonst ist Fühlen natürlich nicht möglich. Um mehr brauchen wir uns nicht zu kümmern. Das hat Jesus gemeint mit seinem Wort: „Kümmert euch zuerst um das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, alles andere wird euch nachgeworfen werden.“ Das Reich Gottes wird regiert durch das Fühlen.

 

 

 

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TC

 

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