Gemeinschaft im Geist
(5. 6. 2001)
Zunächst ist klar, dass es in einer Gemeinschaft von
Menschen, die aus dem Geist heraus leben, keine Unterscheidung geben kann
zwischen „Produzenten“ und „Konsumenten“, denn es gibt weder Produzenten noch
Konsumenten, es gibt nur Werkzeuge des Geists – und solche, die es nicht sind;
und die gehören in dem Sinn natürlich auch nicht dazu. [Das ist es, was Jesus
meint, wenn er sagt: „Von zwei Männern, die in jener Nacht auf einem Bett
liegen, wird der eine mitgenommen und der andere zurückgelassen. Von zwei
Frauen, die mit derselben Mühle Getreide mahlen, wird die eine mitgenommen und
die andere zurückgelassen“ (Lk 17,34f.). Zum Verständnis dieser Aussage ist es
notwendig, sein wiederholtes „eine Stunde wird kommen – und sie ist schon da –
wo ...“ auch hier mitzudenken. Jesus meint nämlich auch hier nicht irgendeine
einzelne „Stunde“ irgendwann oder die Stunde des Weltuntergangs oder des Todes,
sondern eben „die Stunde des Geists“. Das sind nämlich jene Momente, in denen
sich „der Menschensohn“, also die Stimme der menschlichen Natur, meldet – und
in denen der betreffende Mensch dafür bereit sein kann oder in denen er diese
„Stimme“ eben nicht wahrnehmen kann, weil er zu sehr verwickelt ist in seine Vorstellungen.]
Logischerweise
kann es daher in dieser Gemeinschaft auch keine äußerliche Mitgliedschaft
geben.
Eine
Taufe kann es aber trotzdem geben – als Tor des Eintritts, als Zeichen für die
Entschlossenheit, den „Weg“ der Aufmerksamkeit auf jene nichtspektakuläre,
leise Stimme zu betreten, die den Unterschied macht zwischen einem Menschen,
der seine Ideen (seine Unterscheidung zwischen „gut“ und „schlecht“, die ja
bekanntlich der „Sündenfall“ ist) auslebt und einem, der dem Geist folgt. Die
Gemeinschaft derer, die sich in diesem Zeichen verbunden wissen, wäre die
momentane Kirche, wenn sich deren Mitglieder wirklich in diesem Zeichen
verbunden wüssten, was aber offensichtlich nicht der Fall ist. Kein Wunder
also, dass Gemeinschaften von Wiedertäufern entstanden sind. Aber auch die
haben natürlich keine Garantie, dass ihre Mitglieder nicht auch die Bedeutung
dieses neuerlichen Zeichens vergessen. Wir können es also genauso gut bei der
ersten Taufe belassen und beispielsweise die Firmung als jenen bewussten Akt
betrachten. Nur ist inzwischen leider auch diese nur in den seltensten Fällen
noch ein bewusster Entschluss, auf den Geist zu achten.
Da
die Zeichen (die „Sakramente“) also derart entwertet sind, muss zwischen der
juristisch gültigen Mitgliedschaft in einer Art Verein (der Kirche) und den
Menschen unterschieden werden, die tatsächlich dem Geist folgen. Diese müssen
natürlich nicht notwendigerweise aus der Mitgliedschaft einer Kirche stammen,
es reicht, dass sie „die Stimme des Menschensohnes“ oder „die Stimme des
Geists“ oder „die Stimme der Wahrheit“ (was das Gleiche bedeutet) wahrnehmen
und ihr folgen.
Logischerweise
sind die Direktiven der obersten Gremien der juridischen Organisation (also der
Kirche) nicht bindend für die Menschen, die dem Geist folgen, sondern
allenfalls bedenkenswert. Als bindend verstanden, würden diese obersten Gremien
zu „fremden Göttern“ im Sinn des ersten der zehn Gebote. Umgekehrt müssten
Anregungen „einfacher“ „Mitglieder“ natürlich auch bedenkenswert für die
Mitglieder der obersten Gremien der Organisation sein. Andernfalls würden diese
sich durch ihre Ignoranz selbst aus der Gemeinschaft mit dem Geist
ausschließen.
Im
letzten Fall bestünde ein Konflikt zwischen einem Tyrannen und dem Geist – etwa
in der Weise wie der bereits beschriebene Fall des Mose vor dem Pharao oder der
Fall Jesu vor dem Hohen Rat. Der Geist würde die Hilferufe der Unterdrückten
sicherlich nicht ignorieren. Das ist ja die Botschaft der Bibel von Anfang an.
Falls
sich der Geist in irgendeiner Angelegenheit innerhalb der Kirche nicht
durchsetzen kann, weil das Gehör fehlt (weil der Stolz der Amtsinhaber zu groß
ist), wird er sich außerhalb durchsetzen. Damit will ich nicht nur sagen, dass
vergangene Kirchenspaltungen auf solche ungehörten Geistansprüche zurückgehen,
sondern auch, dass der Geist völlig kirchenunabhängig zu jeder Zeit überall
wirkt und überall Wege findet, sich durchzusetzen.
In
unserer Zeit der Ausbreitung aller Religionen über den gesamten Erdball
bedeutet das, dass eine „Gemeinschaft im Geist“ nicht unbedingt eine lokale
oder eine überregionale „Gemeinde“ erzeugt, es gibt auch viele Individuen, die
zu keiner Gemeinde gehören und die trotzdem dem Geist folgen. Außerdem
unterscheiden sich auch viele der neu entstandenen überregionalen Gemeinden
sehr von den „Diaspora-Gemeinden“ früherer Zeiten. Es könnten beispielsweise
die individuell und verstreut lebenden Schüler eines bestimmten, weltweit
agierenden Meisters sein – und ich meine hier nicht nur die Schulen irgendwelcher
religiöser Orden oder Gurus, sondern jeder Art von Schule, die auf den Geist
angewiesen ist, also auch Schulen jeder Art von Kunst oder Kampfsport etc.. Sie
alle bemühen sich ja, ihr Leben in Einklang mit dem Geist zu bringen. – Darüber
hinaus ist es nichteinmal auszuschließen, dass manche jener offensichtlich
verrückten Selbstmordattentäter, die zur Zeit nicht nur in Israel für Aufregung
sorgen, vom Geist dazu bewegt werden. Im Islam jedenfalls gibt es die
Vorstellung, dass es so etwas wie diesseitig-Jenseitige gibt, also „verrückte“
Menschen, die nicht im normalen Sinn gesellschaftlich verantwortlich sind,
sondern die unter „jenseitigem“ Kommando stehen und daher Dinge tun, die die
„Normalen“ nicht wagen würden oder deren Geist eben nicht frei wäre für
derartige Verrücktheiten des Geists. – Wir sehen schon, wie schwer es uns
fällt, uns in so einem Fall an das Gebot Jesu zu halten und nicht zu urteilen.
Wenn
wir den Geist bemerken wollen, müssen wir uns aller moralischen Urteile
enthalten. Der Geist verhält sich nicht moralisch. Schon ein ziemlich
oberflächlicher Blick ins Alte Testament macht das offensichtlich. Nur
Dogmatiker stehen unter dem Zwang, für alles eine moralische Begründung zu
finden. Aber wo ist die Begründung für den Betrug Jakobs an seinem Vater Isaak
oder für die Ausrottung der Bewohner Kanaans oder dafür, dass David einen Mann
umbringen lässt, um seine Frau zu kriegen? Die Wege des Geists sind, wie oft
gesagt wird, ohne die Konsequenzen zu bedenken, unergründlich. Wer stets
begründet handelt, kann daher dem Geist nicht folgen.
Die
„Moral“ des Geists ist nicht die der „Menschlichkeit“, sie ist nicht wie die
menschliche Moral. Lao-tse drückt es so aus:
„Höchste
Tugend weiß von der Tugend nicht; daher gibt es die Tugend. Niedere Tugend lässt
von der Tugend nicht; daher mangelt die Tugend ...“
und:
„Wahrlich:
Wer den Weg verliert, ist nachher tugendhaft. Wer die Tugend verliert, ist
nachher gerecht. Wer die Rechtlichkeit verliert, ist nachher sittsam. Wohl! Die
Sittsamkeit ist eine Verkümmerung von Lauterkeit und Treue ...“ (Kap. 38)
Und:
„Himmel und Erde sind nicht menschenfreundlich. Sie nehmen
die zehntausend Wesen für Strohhunde.
Der Heilige Mensch ist nicht menschenfreundlich. Er nimmt die
hundert Geschlechter für Strohhunde.“ (Kap. 5)
Wenn die Aktivität des Geists auch nicht unseren moralischen
Vorstellungen folgt, so hat sie doch eine beobachtbare Richtung: Es ist nicht
die Richtung größerer Bequemlichkeit für alle und auch nicht die Richtung
absoluter Gleichbehandlung aller und auch nicht die Richtung der Vermeidung
allen Übels. Es ist die Richtung größerer Bewusstheit. Und da – auf dem Weg der
Erfahrung der Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens – zeigt sich das, was
die Bibel (und natürlich auch die Heiligen Bücher anderer Kulturen) uns von
Anfang an zeigt: Das Eine hat die Welt aus sich hervorgebracht, weil es seine
Fülle nicht für sich behalten wollte. Es hat sich geäußert, sich veräußert und
damit etwas auf den Weg gebracht, das durch seinen Weg der Erfahrung seinen
Ursprung entdeckt und in ihm den Weg zurück in die Einheit. Und dieser Weg
zurück ist kein statisches Finden, sondern eben wieder der gleiche Weg, den das
Eine genommen hat, der Weg der Äußerung, des sich Verlierens, des sich
Verschwendens an das All – unter Benutzung des Alls. Deshalb doch ist Jesus das
Zeichen, das über allen Zeichen steht, weil er „wie kein Anderer“ (nicht
wörtlich, sondern symbolisch verstanden) sich verschwendete und sich verlor und
damit sich auch fand wie kein Anderer. Das bedeutet seine „Auferstehung“, die
ja wieder nicht wörtlich, sondern symbolisch zu verstehen ist. Deshalb „wird
ihm ein Name gegeben, der über allen Namen steht“ – natürlich wieder nicht
wörtlich, sondern symbolisch zu verstehen.
Und allen Menschen, die Geist erfahren haben, ist das bewusst
geworden, unabhängig von jeder Religion. Sogar im Voodoo beispielsweise geht es
ja nur darum, nicht für sich zu leben, sondern sich zu hinzugeben. So gesagt,
klingt es wie Moral. Es hat mit Moral aber nichts zu tun. Es ist ein Ergebnis der
Erfahrung des Geists. Der Geist bewegt die Menschen, die er bewegt, in diese
Richtung.
Ob Menschen, die dem Geist folgen, eine Gemeinschaft bilden,
bzw. welche Form von Gemeinschaft sie entwickeln, hängt ab von ihrer Rolle im
Ganzen – natürlich spreche ich vom Ganzen der Menschheit, in der es natürlich
nicht darum geht, dass sich eine einzelne Religion allen anderen Religionen
gegenüber durchsetzt, sondern dass überall, mit oder ohne Religion, der Geist
erkannt und spürbar wird. Es gibt daher heute, wie schon angedeutet,
Geist-Gemeinschaften, die nicht ohne weiteres als solche erkennbar sind. Und
welche Form von Gemeinschaft ein vom Geist bewegter Mensch findet, unterliegt
nicht seiner Wahl. Nach außen hin kann es auch oft so aussehen, als gebe es einen
Widerspruch oder gar eine Konkurrenz zwischen solchen Individuen oder auch
deren Gemeinschaften. Dieser Anschein entsteht nur aus den jeweils
unterschiedlichen Aufgaben, die ihnen vom Geist zugewiesen werden. Der Geist
möchte ja alle ansprechen, zu allen durchdringen, also auch zu allen Arten von
„Gegnern“.
Gerade bei „Gegnern“ hat der Geist eine gute Chance, denn
diese müssen auf ihrem Weg gegen den „mainstream“ ihr Bewusstsein ungleich mehr
schärfen als „die Massen“, die oft nicht mehr wissen, wovon sie reden. Von der
daraus entstehenden Unwahrheit rührt ja die Notwendigkeit ständiger Umstürze,
die von den „Gegnern“ durchgeführt werden müssen – im Auftrag des Geists. Und
je nach Bewusstheit erreichen sie die jeweils korrespondierenden Schichten des
„establishments“, um diese zu den jeweils notwendigen Veränderungen zu bringen.
So haben beispielsweise auch Kriminelle oder Drogensüchtige etc. ihre
geistgemäße Funktion. Und sie haben ihre eigenen Gemeinschaften, in denen es jeweils
wieder um Hingabe geht. So wirkt der Geist ganz unterschiedlich und erzeugt die
unterschiedlichsten Talente und Formen. In Wahrheit geht daher niemand verloren
– nur – diejenigen, die festhalten, die alles und auch sich für sich behalten
wollen, müssen leiden, weil der Tod (= das Leben) irgendwann allen alles nimmt.
Der Geist arbeitet unentwegt daran, den Festhaltenden das Festgehaltene zu
nehmen. Und er gibt es denen, die loslassen. Es ist daher allein entscheidend,
nicht zu urteilen und einfach der eigenen Wahrheit folgend den eigenen Platz zu
finden. Jede Moral ist eine Art Festhalten – es ei denn, sie würde bewusst und
bewusst zeitweilig als Hilfe zum Loslassen benützt.
Der „Egoismus“, der überall als dem Geist entgegengesetzt
betrachtet wird, ist nicht das etwas für sich erreichen wollen, es ist das sich
festhalten an irgendwas, das sich nicht hergeben. Dieses sich nicht hergeben
kann jedoch sehr gut als „Altroismus“ erscheinen. Der Geist will das nicht; er
will den Fluss der Dinge, nicht die Stagnation. Der altroistische Koabhängige,
der dem Süchtigen nicht die Stirn bietet, ist ein Diener der Stagnation. Er
hält sich sogar für selbstlos. Es geht aber nicht darum, das Ego loszuwerden,
sondern es sein zu lassen, es anzunehmen, sich anzunehmen, samt seinen
Schwächen, in der ganzen Ekligkeit des eigenen Egoismus. Auch über sich nicht
zu urteilen. Auch sich dem Geist zu überlassen, zu vertrauen, dass da eine
größere Kraft am Werk ist, als unsere beschränkte Kraft und Sicht der Dinge.
Die einzige Vollkommenheit, die es gibt, ist die des Geists, des Wunders seiner
Hingabe und seiner Wege der Rückführung des scheinbar Verlorenen.
Wie können sich in dieser großen Weltgemeinschaft des Geists
also die Kleinen durchsetzen gegen die Übermacht? Die Wahrheit ist der Leiter
[im Sinn elektrischer Leitung] des Geists. Durch sie treibt der Geist alles
zurück zu sich selbst. Die Wahrheit der Verzweiflung bleibt nicht unerhört.
Deshalb ist der Wendepunkt immer der des Eingeständnisses der eigenen Ohnmacht,
der Ausgeliefertheit – wem gegenüber? Es ist immer die Kraft, aus der alles
hervorgegangen ist. Wer glaubt, er sei irgendwelchen menschlichen Mächten
ausgeliefert, bleibt im Reich des Festhaltens am ausschließlichen Glauben an
die eigene Kraft – und damit im Reich der Paranoia. Wer sieht, dass es
letztlich nichts anderes gibt, als diese größere Kraft, erfährt von ihr die
Rettung – und wenn diese in dem Geschenk besteht, dass ein Mensch es sich
erlauben kann, sein eigenes Leben hinzugeben. Aus eigener Erfahrung weiß ich,
dass auf meine Kapitulation immer genau die Hilfe kommt, die ich brauche. Und
das Gleiche sehe ich überall. Der Geist gibt Kraft und Ideen und unerwartete
Hilfe von außen. So können die Kleinen bestehen gegen jede Übermacht.
Und nun ist auch schon klar, wie die Geistgemeinschaft
aussieht: Bunt wie das Leben, niemand ausschließend, womit ich nicht sagen
will, dass nicht jemand, der mir mein Leben nehmen will, sein eigenes unter
Umständen verwirkt hat. Niemand hat das Recht, mir mein Leben streitig zu machen.
Logischerweise riskiert er damit sein eigenes.
Die Geistgemeinschaft ist daher kein eia-popeia-Land, sondern
eben ein Land, in dem man sein Leben einsetzt, jeder auf seinem Platz.
Die Meinung, eine Geistgemeinschaft könnte eine Gemeinschaft
sein, in der es nur Gutes gibt und nichts Schlechtes, ist nicht nur naiv,
sondern dem Geist direkt entgegengesetzt.
Dass der Geist in der Kirche verlorengegangen ist, liegt, so
weit das der Fall ist, daran, dass man genau das wollte.
Bei den Juden war klar: Jeder Jude gehört dazu, egal wie gut
oder schlecht. Niemand konnte ausgeschlossen werden. Erst durch die Ablösung
(des Christentums) vom jüdischen Volk und durch die Notwendigkeit irgendeiner
Art der Identifizierung ergab sich die fatale Möglichkeit, den Erzsündenfall in
die neue Religion zu importieren. Der Erzsündenfall ist bekanntlich die
Einführung der Unterscheidung zwischen „gut“ und „schlecht“, also die
Einführung von Ausschließung, wodurch schon das erste Paradies verloren ging.
Und auch das neu gewonnene christliche Paradies ging genau dadurch, kaum war es
gewonnen, wieder verloren. Weil, wo und so weit man das Gute festhalten und das
Böse ausschließen wollte, zog sich der Geist zurück und der Terror hielt Einzug
– und dieser herrscht noch heute genau in diesem Bereich.
Also
wie geht der Weg zurück ins Paradies?
So lange wir wissen, dass wir nichts wissen und dass wir
ausgeliefert sind, gehen wir ihn.