Heilige
– heilige Orte
Ihre
Wirkung – ihre Verehrung – ihr Missbrauch
13.7.2008
In einer existentiellen Begegnung mit Heiligen, werden die Menschen
mit Gott bzw. mit ihrer eigenen menschlichen Natur konfrontiert, die im Judentum
als „Bild von Gott“ (Gen 1,28) gesehen wird, im Christentum als der
wiederkehrende Christus und im Buddhismus als die Buddha-Natur jedes Menschen.
Seiner Geschichte über das Ende der Welt und die Ankunft des
Menschensohns auf den Wolken des Himmels (Mt 24,30)
fügt Jesus hinzu, dass seine damals lebenden Zuhörer das persönlich erleben
werden (Mt 24,34). Das könnte bedeuten, wie manche
Theologen meinen, dass Jesus so naiv war, zu glauben, die Existenz der
Menschheit würde innerhalb einer Generation zu Ende gehen – oder es kann eine
Aussage der Traumsprache sein, die besagt, dass das Ereignis des Weltendes und
des Erscheinen des Menschensohns etwas ist, was im Prinzip jedem Menschen zu
Lebzeiten bestimmt ist, weil die göttliche Natur des Menschen danach drängt,
gesehen und gelebt zu werden. Ich meine eher, dass Jesus das gemeint hat. Anders
ausgedrückt: Der Mensch, der nach Genesis 1,28 ein Bild von Gott ist, wird von
dieser inneren Essenz dazu gedrängt, diesem Bild zu entsprechen. Das Ergebnis
ist eine radikale Verwandlung der Art, wie sie von Menschen bekannt ist, die
eine Nahtod-Erfahrung hatten oder die Jesus
(zumindest bei Johannes) als „Wiedergeburt“ beschreibt.
Da Heilige diese Verwandlung bereits durchgemacht haben, ist die Begegnung
mit einem Heiligen – sei es in Person oder in Form einer Mitteilung über
ihn/sie – eine Begegnung mit der eigenen göttlichen Natur und damit eine
Begegnung mit Gott.
Etwas Ähnliches geschieht an „heiligen Orten“.
Immer, wenn in der Bibel der Gottesname „El“
genannt wird, bezieht er sich auf eine Gottesbegegnung an einem bestimmten Ort.
Auch die Natur ist ja eine Erscheinungsform von Gott. In ihr wird immer
wieder die geniale Kraft spürbar, die hinter allem steckt – an manchen Orten in
besonderer Weise.
Abraham und seine Nachfolger haben an solchen Orten, wo sie eine besondere
Gotteserfahrung hatten, einen Altar gebaut und ein Opfer dargebracht, um ihr
Erlebnis nach außen hin kundzutun.
Heute sind solche Orte die großen Wallfahrtsorte, von Lourdes über
Fatima bis Medugorje. Die „Erscheinungen“ die dort
stattgefunden haben, und von denen gesagt wird, „die Jungfrau Maria“ sei erschienen, sind zu verstehen im Sinn eines
Bewusstwerdens der göttlichen Natur.
Was „die Jungfrau Maria“ dort sagt, ist das, was unsere menschliche
Natur sagt. „Die Jungfrau Maria“ ist ein Sinnbild der unverfälschten
Wahrnehmung des Essentiellen.
Wenn Menschen in der rechten Weise Heilige verehren oder an solche
Orte wallfahren, dann bemühen sie sich um den Kontakt zu ihrer eigenen Natur.
Die Erzählungen von der Jungfrau Maria, der Mutter Jesu, bilden
eine Anleitung, um die innere Einstellung herzustellen, die für eine
Gottesbegegnung nötig ist.
Es ist dafür ja nötig, sich auf innere Unschuld und auf die Bereitschaft
für das Wunder einzustellen, also alle Vorstellungen, die dem entgegenstehen zu
suspendieren.
Mit den Anleitungen, die die Leben von Heiligen darstellen, haben
die Menschen die Möglichkeit, Kontakt mit ihrem innersten
Wesen aufzunehmen. Die Alternative zu diesem Weg ist die, die Jesus in der
eingangs erwähnten Geschichte beschreibt, nämlich dass die Welt für einen
zusammenbricht. Mit einem solche Zusammenbruch sind auch die üblichen
Vorstellungen suspendiert und eine Bereitschaft entsteht, auf das Wesentliche
zu achten: „Auf den Wolken des Himmels“ erscheint dadurch „der Menschensohn“.
Wenn ein Mensch den Zusammenbruch seiner Welt vermeiden will, dann
hat er die Möglichkeit, sich von den Heiligen anleiten zu lassen zu der inneren
Einstellung, die eine Begegnung mit der göttlichen Natur erlaubt.
Missbrauch der Heiligenverehrung oder von heiligen Orten wäre dann
gegeben, wenn jemand sie nur dazu benützen würde, seine unbereinigten
Vorstellungen durchzusetzen, also wenn das oft benützte „bitte für uns“ sich
nicht auf eine erwünschte Begegnung mit Gott, sondern auf die Bestärkung der
Welt des Ego beziehen würde, die ja gerade zusammenbrechen muss, damit das
Wesen erscheinen kann.