Josef – Urheber des
Christentums
und Vater des Heiligen Geists
Die folgende Geschichte soll ein Beitrag sein zum Verständnis
des ersten Kapitels im Evangelium des Matthäus, dessen Genealogie sich dem gewöhnlichen
Verständnis der Weihnachtsgeschichte nach nicht ohne schwere Widersprüche
erklären läßt. Daher – könnte es nicht ungefähr so gewesen sein? – (Das
Folgende wird, zwar nicht im Einzelnen, aber doch der Tendenz nach von den
neuesten Entwicklungen in der exegetischen Forschung bestätigt):
Es war einmal ein einfacher
Handwerker, der durch eine mutige Entscheidung den Gang der Welt total
verändert hat. Das Ganze geschah vor fast genau zweitausend Jahren.
Der Mann, so wird berichtet,
hatte eben erst geheiratet, aber mit seiner Frau noch keine gemeinsame Wohnung
bezogen, als er eine sehr schmerzhafte Entdeckung machte – wie unzählige andere
Menschen aller Zeiten sie früher oder später auch machen müssen: Er fand
nämlich heraus, dass seine Frau schwanger war – aber nicht von ihm, denn sie
hatten noch nicht miteinander geschlafen.
In dem Land, in dem er
lebte, stand auf das, was seine Frau ihm angetan hatte, die Todesstrafe: Tod
durch Steinigung. Da unser Handwerker aber – er war übrigens Zimmermann – seine
Frau wirklich liebte, konnte er das nicht mit ihr geschehen lassen. Trotzdem
war sein Stolz tief verletzt. Er überlegte, was er tun konnte. Er durfte sein
Gesicht nicht verlieren. Er konnte die Tat seiner Frau nicht einfach
ignorieren. Er überlegte. Dass er sie nicht auf den Marktplatz schleppen und
dort steinigen lassen konnte, war klar. Dazu hatte er sie viel zu gern. Doch er
konnte auch nicht so tun, als ob nichts geschehen wäre. Er war kein Idiot. Er
konnte aus sich keinen Hampelmann machen lassen. Er überlegte.
Das Herz tat ihm weh, weil
die Frau, die er so sehr liebte, ihm untreu geworden war. Er haßte sie dafür.
Und den Mann hätte er auf der Stelle erschlagen, hätte er nur gewusst, wer es
war. Dass sie ihn so sehr verletzen musste! Aber nun, da es bereits geschehen
war, was konnte er tun? Er durfte jedenfalls nichts in der Öffentlichkeit
verlauten lassen, um ihr Leben nicht zu gefährden. Er musste sich in aller
Stille von ihr trennen.
Während er so überlegte und
von seinen Gefühlen hin uns her gerissen wurde zwischen Liebe und Hass,
erinnerte er sich an etwas, das er aus der Bibel kannte. Dort hieß es ja, Gott
habe den Menschen nach seinem Bild erschaffen – und das bedeutete doch, dass in
jedem neugeborenen Kind Gott selbst auf Erden erschien. Seine Frau erwartete
ein Kind. Es war zwar von einem anderen Mann, aber das änderte doch nichts
daran, dass auch in diesem Kind Gott auf Erden erscheinen würde!
Doch kaum war dieser Gedanke
aufgeblitzt, verdrängte ihn unser Zimmermann sofort. Es war einfach zu weit her
geholt. Es war nicht Gott, der da erscheinen würde, sondern das Kind eines
Ehebrechers, des Nebenbuhlers, der sein Glück zerstört hatte! Er hasste ihn!
Wie hatte es dieser Mann nur wagen können, sich seiner Frau auch nur zu nähern.
Die Gefühle unseres Zimmermanns überschlugen sich. Er hätte dem Mann den Kopf
spalten wollen mit dem Beil, mit dem er gerade ein Stück Holz bearbeitete. Oh
Gott! Er musste vorsichtig sein mit diesen Hassgedanken, das hier wäre beinahe
danebengangen! Er war mit dem Beil abgeglitten. Beinahe hätte er sich die
eigenen Zehen abgehackt! Gerade noch mal Glück gehabt. Aber diese mörderischen
Gedanken waren zu überwältigend!
Er machte eine Pause in
seiner Arbeit. Was sollte er nur tun?
Er hatte vollstes
Verständnis für die Todesstrafe für Ehebrecher. So etwas wie ihm eben angetan
worden war, durfte man niemand antun! Und nun erwartete seine Frau auch noch
ein Kind von so einem Schwein! Nein, er wollte nichts damit zu tun haben! Sie
musste alleine damit fertig werden. Er musste auf sie verzichten. So gern er
sie auch gehabt hätte, er musste sich von ihr trennen.
Ach wie sehr er sie liebte –
immer noch! Was war nur los mit ihm? Das durfte doch gar nicht sein! Mit einer
Ehebrecherin konnte er sein Leben nicht teilen. Er konnte zwar nicht zulassen,
dass sie umgebracht wurde, aber mit dem Kind musste sie alleine fertig werden.
Morgen würde er es ihr sagen. Ab morgen musste sie ihre Zukunft alleine planen.
Und er musste sich einfach nach einer anderen Frau umsehen – auch wenn er sich
jetzt gar nicht vorstellen konnte, dass er je eine finden würde, die er so
liebte wie Maria!
Josef war verzweifelt.
Wie konnte er sie nur
behalten, ohne sein Gesicht zu verlieren – auch vor ihr? Was für ein Idiot war
er denn, dass er diese seltsame Bereitschaft in sich spürte, ihr ihren
Fehltritt zu verzeihen? Ein Mann durfte so etwas nicht zulassen. So schwer es
ihm fiel, sie musste gehen, das heißt, er musste gehen. Er musste sich eine
andere suchen. Ein Ehebruch konnte nicht verziehen werden. Er war doch kein
Waschlappen, mit dem man alles machen konnte. Er würde sich zum Gespött der
Leute machen, wenn das herauskäme und auch Maria würde ihn nur verachten. Auf
so eine Beziehung konnte er sein Leben nicht aufbauen. Er musste sich von ihr
trennen.
Nun gut, seine Entscheidung
war klar. Er arbeitete weiter an dem Hochzeitsschrank, den er gerade baute. Und
bald war auch schon Feierabend. Heute würde er seine Frau nicht besuchen.
Er kehrte zurück in die
Wohnung seiner Eltern und setzte sich mit den anderen zum Essen. Die wussten
zum Glück nichts von der ganzen Sache. Er hatte niemand etwas erzählt. Er
klagte über Kopfschmerzen und legte sich früh ins Bett.
In der folgenden Nacht hatte
er einen Traum: Ein Engel sprach zu ihm und sagte: "Du brauchst dich von
der Frau, die du liebst, nicht trennen, denn das Kind, das sie zur Welt bringen
wird, ist ein Kind von Gott. Du musst es nur auch so betrachten, dann wirst du
keinen Hass mehr fühlen!"
Und augenblicklich spürte
Josef, dass es tatsächlich so war. Eine tiefe Ehrfurcht erfüllte ihn zugleich
mit tiefem Frieden und unendlicher Liebe. Er hatte so etwas noch nicht erlebt.
Was für eine Rolle spielte dieser fremde Mann noch, wenn es doch Gott selber
war, der in der Gestalt des Kindes auf Erden erschien! "Wie kannst du Gott
lieben, den du nicht siehst, wenn du das Kind nicht liebst, in dem er sich dir
offenbaren will?" flüsterte ihm eine innere Stimme zu und er wachte auf.
Er war immer noch von tiefem
Frieden erfüllt und voll Ehrfurcht vor diesem Geheimnis des Lebens.
Er wusste jetzt, er würde
sein Gesicht nicht verlieren, im Gegenteil! Jetzt erhielt er die Gelegenheit,
Gott selbst kennenzulernen – nicht weil dieses Kind anders gewesen wäre als
irgendein anderes, aber weil jetzt für ihn die Gelegenheit da war, das Wort
ernst zu nehmen, nach dem in jedem neuen Menschen Gott selbst auf der Erde
erscheint. Entweder er ergriff jetzt diese einzigartige Chance oder sie würde
für immer an ihm vorübergehen.
Josef war entschlossen, über
seinen Schatten zu springen, das Experiment zu wagen, ein neues Leben
anzufangen aus diesem neuen Bewusstsein heraus, dass das Kind, das seine Frau
erwartete, ein wirkliches Kind Gottes war. Und als solches würde er es von
Anfang an betrachten und groß ziehen. Wenn es ein Sohn würde, würde er die Ehre
haben, einen Sohn Gottes großzuziehen. Und das würde ein Mensch werden, über
den die Welt noch staunen würde.
Noch ganz früh am Morgen
stand er auf und lief zum Haus der Familie seiner Frau. Sie kam heraus, als er
sie rief, und sie gingen an einen Platz, an dem sie reden konnten. Da erzählte
er ihr von seinem Entschluss. Sie war tief berührt, beschämt und beglückt
zugleich. Niemals hätte sie es sich träumen lassen, dass die Geschichte diese
Wendung nehmen würde. Und freudig stimmte sie dem Entschluss Josefs zu, das
Kind in diesem Geist großzuziehen, als ein Kind Gottes.
Und wenn Sie bis hierher
mitgehen konnten, dann können Sie jetzt auch verstehen (worüber sich unzählige
Generationen von Exegeten vergeblich den Kopf zerbrochen haben), wie genau der
Evangelist, der uns unmissverständlich sagt, dass Josef nicht der Vater von
Jesus war, den Stammbaum Jesu gerade auf diesen Josef aufbauen kann und warum
er Josef auf eine Stufe mit Abraham und mit David stellt.
So bleiben noch die Fragen
zu klären, wie Josef das Image als guter Depp bekommen konnte und was die
Geschichte von der Jungfrauengeburt bedeuten soll.
Als ich diese Geschichte
Leuten aus verschiedensten sozialen Schichten erzählte, war bei allen die
bekannte Weihnachtsgeschichte des Evangelisten Lukas so sehr im Vordergrund,
dass niemand von selbst auf die Idee kam, sich zu fragen, wie sich Josef wohl
gefühlt haben muss, als er die Neuigkeit von der Schwangerschaft seiner Frau
erfuhr. Das Kind, so wusste man, war schließlich vom Heiligen Geist
höchstpersönlich, da konnte sich Josef doch nur beglückt gefühlt haben. – Als
ob Maria vom Besuch des Erzengels Gabriel an mit einem goldenen Schild versehen
gewesen wäre, auf dem für alle sichtbar in göttlicher Handschrift zu lesen
stand: "Jungfrau und Gottesmutter"; eine Vorstellung dieser Art
schwingt offenbar auch bei allen heutigen Hörern dieses Evangeliums mit. Es ist
aber logisch, dass solche Vorstellungen den Menschen unseres Zeitalters kein
müdes Lächeln mehr hervorlocken. Sie sind einfach zu weit von ihrer Erfahrung
entfernt. Man weiß, dass es diese Bilder in den Kirchen gibt und man kennt die
Geschichten, aber kaum noch irgendjemand nimmt sie wirklich ernst. Nur den
Kindern kann man so was noch erzählen. Die Erwachsenen fragen sich nicht einmal
mehr, was diese Märchen eventuell bedeuten könnten, sie haben sie schon längst
in den Müll geworfen. Nur zu Stimmungszwecken holen sie sie noch alljährlich
aus dem Speicher der Geschichte hervor. Was immer mit der Glorifizierung Jesu
und seiner Mutter beabsichtigt gewesen sein mag, ist damit natürlich ad
absurdum geführt. Und es muss uns auch nicht wundern, dass der Autor des Koran
die Menschen mehrfach ermahnt, sich Gott nicht so vorzustellen, als ob er einen
Sohn haben könnte.
Unermüdlich warnt auch das
Alte Testament vor jeglichen Glorifizierungen, denn damit machen wir uns Bilder
von Gott und auf Dauer zerstören wir dadurch den Geist. Als Gideon für die
Leute das erste goldene Götterbild schuf als bleibendes Denkmal für die Siege,
die ihm durch die Führung Gottes möglich geworden waren, war sein Untergang
besiegelt. Trotzdem sind die goldenen Bilder schön und sie können auch
hilfreich sein, so lange wir wissen, dass es Bilder sind. Doch die Menschen
sind einfach zu sehr versucht, die Bilder für Realität zu halten; und so ist es
ratsam, dass wir uns immer wieder auf das Bilderverbot aus dem ersten der zehn
Gebote besinnen.
Als Bild ist auch die
Jungfrauengeburt wunderbar, doch genau genommen zeigt es nur, dass Maria keinem
Mann verfallen war, dass sie frei war und blieb, so frei, dass sie ihren Sohn
als einen echten Sohn Gottes großziehen konnte – könnten das nur mehr Mütter!
Das Dogma von der körperlichen Jungfräulichkeit ist ein Bild von dieser
Wahrheit, aber alles darüber hinaus, etwa Behauptungen über physische
Gegebenheiten, widersprechen dem Geist – genauso wie es dem Geist widerspricht,
dass kirchliche Autoritäten die Erkenntnisse des Galilei unterdrücken wollten.
Wenn wir uns heute fragen,
warum Christen in den kulturell fortgeschrittensten Gegenden der Welt oft als
geistig zurückgeblieben gelten, dann wegen ihres abergläubischen Festhaltens an
buchstäblichen Verständnissen symbolischer Aussagen.
Aus diesem Grund auch ist
Josef, auf den alles aufbaut, vergessen worden. Er musste vergessen werden,
weil die Erinnerung an seine mutige Entscheidung die Gloriolen um Maria und um
Jesus gefährdet hätte.
Noch verhängnisvoller aber
sind die weiteren Auswirkungen dieser Glorifizierung, besonders die
Verteufelung der Sexualität, die ganz eng verbunden ist mit der Idee der
Jungfrauengeburt. Anstatt die Chance zu nützen, dass mehr Männer dem Beispiel
des Josef gefolgt wären und sich – wie er – gekümmert hätten um die
außerehelichen Kinder ihrer Frauen, wurde die natürlichste Sache der Welt,
nämlich Sexualität zu etwas an sich schon Schmutzigem, denn rein kommt –
seither – nur eine Jungfrau zu einem Kind und das gibt es ja, wie schon jedes
Kind weiß, in der Wirklichkeit nicht.
Ich selbst habe mir lange
keine Gedanken über das Thema gemacht, doch alles, was ich darüber gehört oder
gelesen habe, ist sehr unbefriedigend geblieben. Als ich aber eines Tages an
einem Seminar über Migration teilnahm und dabei das Thema
"Gastfreundschaft in Neuen Testament" zu bearbeiten hatte, stieß ich
auf diese so außerordentliche Gastfreundschaft, die Josef geübt hat, und da
fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Josef, nicht Jesus war der Begründer
des Christentums, denn er hatte die Größe, den Sohn eines Nebenbuhlers als Sohn
Gottes zu behandeln. Er hat es geschafft, das Abwegige nicht zu verurteilen und
das Unverzeihliche zu verzeihen.
Dass Josef heute als
Heiliger verehrt wird, ist keine wirkliche Anerkennung. Insgeheim gilt er als
doof. Verehrung garantiert keinen Respekt. Auch als Heiliger bleibt Josef in
jenen Rahmen der "Menschlichkeit" eingesperrt, in dem das
Unmenschliche als "menschlich" gilt, während echte Größe für
unmenschlich gehalten wird. Josef war nicht "menschlich". Er hat
Maria ihren "Fehltritt" nicht als "menschliche Schwäche"
entschuldigt, sondern ohne Entschuldigung hat er das Ergebnis als seine
Realität angenommen – und so ist der Fremde zum Engel geworden (der er dadurch
schließlich auch wirklich gewesen ist). Und so ist ein Wunder möglich geworden,
ja ganze Kaskaden von Wundern von damals bis auf den heutigen Tag.
Falls jetzt jemand immer
noch nicht wissen sollte, was mit "Heiliger Geist" gemeint ist, durch
Josef konnte er seither vielfach in Menschengestalt erscheinen! Mit der
gleichen Berechtigung, mit der man Maria "Mutter Gottes" nennt, müsste
man ihn "Vater des Heiligen Geistes" nennen.
Und was den
"Fehltritt" der Maria betrifft, auch der hat eine hervorragende
Tradition: Aus der Beziehung Abrahams zu seiner Sklavin ist der Vater eines
großen Volks hervorgegangen, durch den Betrug Jakobs ist das messianische Erbe
auf ihn übergewechselt, aus der Beziehung Davids zu Batseba (deren Mann David
zuvor umbringen hat lassen, um sie zu kriegen) ist Salomo hervorgegangen und
aus seiner Linie kommt, wie auch der Evangelist Matthäus zeigt, schließlich
Josef, durch den es den eben beschriebenen neuen evolutionären Sprung in der
"Heilsgeschichte" gegeben hat.
Was Papst Johannes Paul II.
in seiner Enzyklika Redemptoris Custos (1986) über den "heiligen
Josef" sagt, entspricht dem üblichen Verständnis des Mythos von der
Jungfrauengeburt – aber ist dieser Mythos heute noch not-wenig oder
zielführend, um eine innere Umkehr zu erreichen, wäre dafür die simple Realität
heute nicht besser geeignet? Reicht die Großtat des Josef nicht? Für die
Menschen der Zeit nach der Aufklärung kann der über viele Jahrhunderte
hilfreiche Mythos zu einem Hindernis des Glaubens werden. Jesus erinnert uns,
dass das Salz schal werden kann.
(Den vollständigen Text der
Enzyklika finden Sie unter http://www.stjosef.at/dokumente/custos.htm)
PS:
Gewissermaßen anlässlich
seines Namenstages präsentierte ich unter anderem diesen Artikel dem Präfekten
der Glaubenskongregation, Kardinal Josef Ratzinger und ich bekam eine sehr
freundliche Antwort durch seinen Sekretär, Prälat Dr. Josef Clemens. Was den
obigen Artikel betrifft, schrieb er: "Nicht verhehlen möchte ich bei
dieser Gelegenheit allerdings, dass Ihr Beitrag "Josef - Urheber des
Christentums..." nicht nur bedenklich, sondern gänzlich unannehmbar
ist." [Vatikanstadt, 8. Mai 2000]
Und ich möchte Ihnen, liebe
Leser, nicht verhehlen, dass mir vollkommen klar ist, dass meine Vorgehensweise
- nämlich eine Legende (die biblische Josefsgeschichte) als Fakt zu behandeln -
theologisch tatsächlich völlig illegitim ist, aber auch nicht illegitimer als
die ursprüngliche Bildung der Legende im ersten Jahrhundert und -
möglicherweise - genauso "vom Heiligen Geist diktiert".