Genesis Kapitel eins – nicht Schöpfungsmythos, sondern
therapeutisches Handbuch
12.10.2007
Zusammenfassung am Ende
Der
große Hymnus, mit dem die Bibel beginnt, wird gewöhnlich als ein
„Schöpfungsmythos“ verstanden – und damit von vielen
eingereiht in eine lange Reihe von als „primitiv“ eingestuften
antiken Vorstellungen über die Entstehung der Welt. Dadurch aber entgeht
dem Leser genau das, was mit diesem Hymnus intendiert ist und was ihm bis heute
einen eminent praktischen Wert verleiht.
Dabei muss man nicht einmal besonders genau hinschauen, um schon in der ersten Zeile etwas zu entdecken, was der üblichen Interpretation zutiefst widerspricht – und bei etwas genauerem Hinsehen wird klar, dass die Vorstellung der alten Hebräer, die hier präsentiert wird, keineswegs primitiv ist. Bereits in Vers eins zeigt sich nämlich, dass die Ebene der äußeren Realität, die bei der Interpretation als Schöpfungsbericht gewöhnlich als die Alleinige gesehen wird, gar nicht die ist, um die es eigentlich geht, sondern dass sie nur das symbolische Werkzeug liefert, mithilfe dessen die Leser oder Hörer des Texts die Abläufe ihrer eigenen inneren Wirklichkeit verstehen und beherrschen lernen können. In diesem Verständnis kann Genesis eins auch für Menschen von heute noch die Funktion erfüllen, die ursprünglich intendiert war. – Es ist in etwa die gleiche Funktion, die auch der berühmte mittelalterliche jüdische Gelehrte Moses Maimonides in seinem „Ratgeber für die Ratlosen“ beabsichtigt hat – nämlich die eines therapeutischen Handbuchs.
Vor dem ersten Schritt die
Ausgangssituation: Alles ist schon da, aber die Lage erscheint aussichtslos – was ist
zu tun?
„Am Anfang schuf Gott
die Himmel und die Erde“,
heißt es in V 1 – lange vor „Tag eins“. Bevor die
angebliche Schöpfungsgeschichte beginnt, wird erzählt, dass alles
schon da ist. Offenbar geht es in dem Hymnus gar nicht um die Erschaffung der
Welt, sondern um etwas ganz anderes.
Wir
könnten natürlich versuchen, die Idee zu retten, dass es sich um
einen Schöpfungsbericht handelt, und diesen ersten Satz als eine Art
Überschrift zu dem Hymnus zu betrachten – aber dann dürfte in V
2a+b nicht fortgesetzt werden: „Die Erde aber war wüst und chaotisch. Finsternis
über dem Abgrund“, denn damit werden Himmel und Erde
schon näher beschrieben, die nach der üblichen Interpretation an
diesem Punkt noch gar nicht existieren. Was beabsichtigt der Autor damit?
Im
folgenden Hauptteil des Hymnus steht zwar etwas im Vordergrund, das aussieht
wie ein nicht ganz logischer, eben „primitiver“, Schöpfungsbericht,
aber Vers 2a und b teilen etwas ganz anderes mit, nämlich den Grund, warum
diese ganze Geschichte überhaupt erzählt wird. An dieser Stelle zeigt
sich, dass dieser Hymnus gar keine Aussage über den Anfang der Welt machen
will, sondern dass er für Menschen gedacht ist, die mit ihrer Weisheit am
Ende sind, die keinen Ausweg mehr sehen. Wenn wir diese Aussageabsicht in
Betracht ziehen, werden die seltsamen Unstimmigkeiten des Folgenden
verständlich, denn der ganze Hymnus zeigt sich dann als eine symbolische
Antwort auf den verzweifelten Hilferuf eines Menschen, der sich in einer
ausweglosen Situation findet, der sich fühlt wie vor einem Abgrund, in den
er zu stürzen droht, umgeben von Finsternis, ohne jegliche Orientierung.
In
dieser trostlosen Situation wird dem Verzweifelten von einem, der es bereits
weiß, etwas Entscheidendes über die Natur der Welt gesagt, und das
wirkt jetzt unendlich tröstend: V 2c: [Du brauchst keine Angst haben,
denn] „der
Geist Gottes ist [schon] da, schwingend über den Wassern“. „Der Geist Gottes“
„schwingt“ über dem Chaos, denn „die Wasser“
bedeuten in der Bibel immer wieder einfach „Chaos“, denn wie das
Wasser mit den Händen nicht zu fassen ist, so ist auch das Chaos nicht zu
fassen.
Wenn
wir das Symbol der „Wasser“ verstanden haben, sehen wir, dass in
diesem Satz der Schlüssel zu unserer ganzen Geschichte liegt, denn der
göttliche Geist, der über dem abgründigen Chaos schwingt, hat
doch von Anfang an alles hervorgebracht. Die Probleme, die wir haben, sind
verschwindend im Vergleich zu der gewaltigen Schöpfung. Wenn die ganze
Welt sich so wunderbar entwickeln konnte, dass am Ende intelligente Wesen, wie
wir, daraus hervorgehen konnten, dann wird der schöpferische Geist auch
für unser Problem eine Lösung finden.
Und
noch etwas ist in dem Satz enthalten, etwas, das dann in Vers 26, in dem es um
das Wesen des Menschen geht, beinahe schon überflüssigerweise
wiederholt wird, nämlich dass der schöpferische Geist zu jeder Zeit
in allem gegenwärtig ist und dass die hier beschriebene Situation,
nämlich Finsternis, abgründiges Chaos und schöpferische Kraft,
einfach die archetypische Situation eines jeglichen Ur-Sprungs ist, also
die Ursprungssituation jeglicher Schöpfung. – Insofern ist unser
Hymnus tatsächlich ein Schöpfungsbericht – aber nicht in dem
Sinn, wie das gewöhnlich angenommen wird, nicht als eine Aussage über
die Etappen der Erschaffung der Welt, sondern als eine Anleitung zur
existentiell-persönlichen Erfahrung der schöpferischen Kraft.
Zusammenfassend
könnten wir in heutiger Sprache formulieren: Am Anfang ist alles schon da.
Aber der Mensch, der hier angesprochen wird, kann nicht einfach, wie bisher,
fraglos weiterleben, denn er befindet sich in einer ausweglosen Lage, die seine
Existenz bedroht. Er steht vor einem Abgrund, umgeben von Finsternis.
Oft
haben Menschen niemand, der ihnen in dieser Lage etwas Tröstliches sagen
kann. Deshalb verzweifeln viele, geben die Hoffnung auf und werden von dem sie
bedrohenden Chaos tatsächlich hinweggerafft.
Einige
Menschen aber haben das Geheimnis der Schöpfung bereits entdeckt. Es ist
ihnen „geoffenbart“ worden. – Nicht dass diese Offenbarung
irgendjemand verweigert werden würde, aber viele sind randvoll mit
Vorstellungen, in denen es für ihre Situation keine Lösung gibt, und
daher haben sie keinen Raum mehr für die Offenbarung der Lösung.
Dadurch aber, dass einige Menschen das Geheimnis der Schöpfung bereits
entdeckt haben, haben sie dennoch eine Chance. Sie können auf die
Mitteilung der Erfahrenen hören und in sich Platz schaffen für die
Lösung. Sie können einen Bund mit der großen Schöpferkraft
schließen und sich in einer eventuell auftauchenden, ausweglos
erscheinenden Situation daran erinnern, dass gerade da die schöpferische
Kraft schon am Werk ist. Und dass sie deshalb keine Angst haben müssen.
Eine
Intervention dieser Art wird in der heutigen Psychotherapie als „positive
Suggestion“ bezeichnet. Aber das hier ist nicht einfach irgendeine
positive Suggestion, es ist die einzige Suggestion, die in dieser ausweglosen
Lage den die Not wendenden Effekt haben kann. In der beschriebenen Situation
ist ja keine eigene Kraft vorhanden, auf die der Mensch seine Hoffnung setzen
könnte, daher muss die Lösung von einer anderen Kraft kommen. Indem
ein Mensch sich das eingestanden hat, wird er offen für diese andere
Kraft. Und diese andere Kraft ist nicht einfach erfunden wie eine gute Nacht
Geschichte, sondern sie ist real und ihr Wirken kann überall beobachtet
werden.
Nur
das Erkennen der Wahrheit von V 2c kann die Wirkung erzielen, die jetzt notwendig
ist. Nur das kann trotz der tödlichen Bedrohung die jetzt nötige
innere Ruhe erzeugen; nur das hebt den vernichtenden Stress auf, unter den ein
Mensch in einer ausweglosen Situation geraten kann. Und so wird es
möglich, dass dieser Mensch jetzt vertraut und einfach beobachtet, wie
sich die Lösung gewissermaßen „von selbst“ entwickelt.
Ohne etwas tun zu müssen, wird er unmittelbarer Zeuge des Wirkens der
schöpferischen Kraft:
Durch
sein wiedergefundenes Vertrauen kann der Mensch, der am Abgrund steht, umgeben
von Finsternis, es jetzt aushalten, nichts zu tun, als nur diese Entwicklung zu
beobachten. Ruhend in seiner inneren Wahrheit, in der er doch weiß, dass
er von Grund auf ein göttliches Wesen ist, kann er zusehen, wie sich durch
das Wirken der schöpferischen Kraft die Lösung nach und nach
abzeichnet – hier dargestellt in sieben Schritten oder
„Tagen“:
Der erste Schritt (erster
„Tag“): Das Instrument der Unterscheidung
Wenn
ein Mensch, der vor dem Abgrund steht, umgeben von Finsternis, ehrlich ist und
offen für die Lösung, wird er sich zunächst als erfüllt von
nur einem Wunsch erleben: Er möchte den Ausweg sehen, er möchte
zunächst einfach nur überhaupt etwas sehen. Und diesen Wunsch spricht
die schöpferische Kraft in ihm jetzt aus (V 3a): „Und Gott sprach: Es werde Licht!“.
Der
Vers ist im Imperfekt formuliert, denn er ist in der archetypischen Zeit
gesprochen, die immer schon war und die immer wieder sein wird. Wenn unsere Ausgangssituation
in diese Zeit hineinverlegt wird, dann bedeutet das,
dass Menschen immer wieder in ausweglose Situationen geraten werden und dass
sie in diesen Situationen in sich nur diesen einen Wunsch fühlen werden,
nämlich den Wunsch nach Licht. Und wie später im Psalm 91 vom
archetypischen Menschen gesagt werden wird, dass Engel ihn tragen, damit sein
Fuß sich an keinem Stein stößt (V 12), so ist auch hier die
göttliche Kraft schon da und sie erfüllt den Wunsch des noch ratlosen
Menschen: „Und
es wurde Licht!“ (V 3b).
Der
schöpferische Geist, dessen konkretisierte Version der Mensch ja ist,
möchte, dass der Mensch fähig wird, Dinge unterscheiden zu
können. Und ein Mensch, der von der Gegenwart der schöpferischen
Kraft weiß, wird diesem Wunsch kein Hindernis entgegen stellen und so
wird dieser Mensch fähig, Licht in das große Chaos zu werfen.
„Und Gott sah das Licht
und dass es gut war“ (V 4a).
Die schöpferische Kraft in dem Menschen überprüft die
Erfüllung seines Wunsches sofort, ob sie auch etwas taugt. Und sie stellt
fest, dass sie gut ist. Mit anderen Worten: der Mensch, der nun etwas sehen
kann, stellt fest, dass das Licht gut ist.
Und
er hält den Prozess, der in ihm eben begonnen hat, in seinem Bewusstsein
fest – in dem Bewusstsein, dass nicht er es ist, der diesen Unterschied
erzeugt hat, sondern das es die schöpferische Kraft ist, die in ihm wirkt.
So heißt es in V 4b: „Und Gott schied zwischen dem Licht und zwischen der
Finsternis.“
Und
weil beim Menschen das sich etwas bewusst machen sprachlich erfolgt, benennt
die schöpferische Kraft im Menschen die beiden Seiten des Unterschieds (V
5a): „Und
Gott benannte das Licht nach dem Tag und die Finsternis benannte er nach der
Nacht.“
An
dieser Stelle liegt die Analogie zwischen innerer und äußerer Welt offen
zutage. Das Licht, um das es hier geht, ist ganz offenbar nicht das Licht der
Sonne oder einer anderen äußeren Lichtquelle, sondern es ist das
innere Licht der Einsicht in die Zusammenhänge. Doch wie auch noch in
unserem heutigen Sprachgebrauch dienen die Phänomene der
äußeren Welt als Bilder für die Vorgänge in der inneren
Welt. Und so benennt unser antiker Autor den Bereich, der im Licht liegt, nach
dem Tag und den Bereich, der im Dunklen bleibt, nach der Nacht – und das
nicht nur um zwischen Hellem und Dunklem zu unterscheiden, sondern auch um die
einzelnen Etappen des Prozesses der Bewusstwerdung zu unterscheiden.
Mit
dem Erscheinen des Lichts ist die erste Etappe auf dem Weg zur Lösung
nämlich abgeschlossen. Dieser Schritt ist für den Menschen, der von
Finsternis umgeben am Abgrund stand, fürs erste genug. Die Arbeit der
Bewusstmachung, die hier geleistet ist, drückt unser Hymnus deshalb im
Bild eines Tagewerks aus, nach dem es eine meditative Pause braucht, „die
Nacht“. Und der Mensch, der bis jetzt nichts tun musste, außer
Beobachten, sieht, wie ihm auch die Pause, die er jetzt braucht, geschenkt
wird: „Und es wurde Abend und es wurde Morgen,
ein Tag.“
In
der Sprache der Psychotherapie würde es heißen, die erste Aufgabe
ist erfüllt. Der Patient, der eine Lösung finden wollte, hat
zumindest prinzipiell gelernt, Unterschiede sehen.
Die
übliche Interpretation dieses Hymnus als Schöpfungsbericht
stößt „am ersten Tag“ auf die Schwierigkeit, dass auch
den Autoren dieses Hymnus klar war, dass Licht immer von einer Quelle ausgeht,
von der Sonne oder von einem Feuer. Dass hier das Licht erscheint, bevor eine
solche Quelle erwähnt wird, lässt kaum einen anderen Schluss zu, als
dass es eben nicht um ein äußeres Licht geht, sondern um ein inneres
Licht, nämlich genau um jenes Licht, das ein Mensch braucht, der sich in
einer aussichtslosen Situation vorfindet. Für ihn ist damit, dass ihm
seine Fähigkeit, Unterschiede zu erkennen, bewusst wird, die erste Phase
des Lösungsprozesses abgeschlossen.
Der zweite Schritt
(zweiter „Tag“): Zwei Welten: Wo ich bin und wohin ich möchte,
Realität und Wunsch
Nun
kommt der nächste Schritt – aber was kann der nächste logische
Schritt sein? Unser Hymnus benennt diesen zweiten Schritt ganz klar:
Zunächst
fühlt sich der Mensch der vor dem Abgrund steht, umgeben von Finsternis,
wie in einem einzigen Ozean von Chaos, in dem er noch keine Unterschiede
erkennen kann. Durch das „Licht“, wird er nun fähig, eine
Unterscheidung zu treffen. Tatsächlich ist erst das die erste konkrete
Unterscheidung, denn das „Licht“ des ersten Schritts war ja nur die
Fähigkeit zu unterscheiden.
Und
wieder ist nicht der Mensch, der den zweiten Schritt „macht“,
sondern es ist die schöpferische Kraft. Der Mensch beobachtet nur, was in
ihm vorgeht, nachdem er nun das Licht zur Verfügung hat. Und er sieht: In
ihm entsteht der Wille, die Gabe der Unterscheidung konkret einzusetzen. Und
das beschreibt V 6a. Dort heißt es: „Und es sprach Gott: Es werde etwas Festes zwischen wieder den Wassern und
scheide Wasser von Wasser.“
Auch
hier ist „Wasser“ wieder ein Bild für das Chaos, das nicht zu
fassen ist, das einem wegrinnt zwischen den Fingern.
Etwas Festes soll in dem unfassbaren Chaos entstehen, etwas, das einen ersten
konkreten Unterschied macht, etwas, das einen Teil des Chaos vom anderen
unterscheidet. Und wir kennen dieses Feste bereits, das dazu imstande ist: es
ist die Unterscheidung selbst, die wir jetzt, wo wir etwas sehen können,
treffen können. Die erste Unterscheidung ist aber nicht bloß eine
Unterscheidung, sondern sie verweist auf einen realen Unterschied, den wir
aufgrund des „Lichts“ nun sehen können. Der Unterschied war
bereits vorher da, aber erst jetzt können wir ihn sehen. Und es ist der
erste Unterschied, den wir sehen können, bevor wir noch bestimmte Dinge
ausmachen können.
Und
wieder ist dieser zweite Schritt, den die schöpferische Kraft in dem vom
Sturz in den Abgrund bedrohten Menschen macht, ein
völlig logischer Schritt. Er führt nämlich zur
Unterscheidung zwischen „unten“ und „oben“, also zwischen
dem, wo wir sind und dem wohin wir möchten: „Gott machte also dieses Feste und es
schied zwischen den Wasser unterhalb des Festen und den Wassern oberhalb des
Festen“ (V 7a). Und weil es die schöpferische Kraft
selbst ist, die diese Unterscheidung trifft, tritt sie sofort in Kraft, V 7b: „Und so
geschah es.“
Erneut
wird die Unterscheidung im Bewusstsein festgehalten und daher sprachlich
benannt. Das Feste, das durch die Unterscheidung entsteht, wird von der
schöpferischen Kraft jetzt „Himmel“ genannt, V 8a: „Und Gott
benannte dieses Feste nach dem Himmel.“
Dem
vom Sturz in den Abgrund bedrohten Menschen kommt diese Benennung spontan, denn
natürlich kennt er den „Himmel“ längst, doch jetzt ist
der Zeitpunkt an dem die Frage nach ihm auftaucht.
Ein
Mensch, der an diesem Punkt steht, beobachtet, wie alles in ihm auf die
Unterscheidung drängt zwischen dem, wo er ist und dem wohin er
möchte.
Doch
die Benennung stellt in seinem Bewusstsein gleich mehrfache Bezüge her:
Dem beobachtenden Menschen ist nämlich von Tag eins her bereits klar, dass
das, was zur Lösung
führt, das Unterscheiden ist, dass das Unterscheiden gewissermaßen
also selbst bereits die Lösung ist, während das Nichtunterscheiden
Chaos und Untergang bedeutet. Deshalb empfindet er die Unterscheidung selbst
hier schon als „Himmel“, denn an diesem Punkt fühlt er sich
gut. Er weiß, dass er auf dem richtigen Weg ist, er weiß, dass sich
der Rest auch noch aufklären wird. Er ist gewissermaßen bereits im
Himmel, wo alles gut ist, wo alle Probleme gelöst sind.
Gleichzeitig
wird mit dieser Benennung des Festen, das ja zwischen den beiden Hälften
des Chaos liegt und diese trennt, ausgesagt, dass nicht nur eine Hälfte
dem Himmel angehört, sondern eigentlich das Ganze der Welt.
Dennoch
entstehen durch diese Unterscheidung, die als „das Feste“
schlechthin bezeichnet wird, zwei Teile der Welt, ein unterer und ein oberer
Teil. Mit dem unteren geht es gleich im nächsten Abschnitt weiter und er
stellt sich dort gewissermaßen als „die Realität“
heraus, sodass der Name „Himmel“ nicht nur auf die Unterscheidung
selbst passt, sondern im Besonderen auf den oberen Bereich des Ganzen, auf den
Bereich des Ziels, den Bereich der Erfüllung, also das Reich der
Wünsche.
Und
so erkennt der Mensch mit der Unterscheidung des zweiten „Tages“,
dass er gewissermaßen in zwei Welten lebt, in der Welt, in der er sich
als am Abgrund stehend erlebt und andererseits gleichzeitig in der Welt, in der
seine Träume bereits erfüllt sind. Die zweite Unterscheidung, die die
schöpferische Kraft nun bewirkt, ist damit insbesondere die zwischen
„Realität“ und „Wunsch“.
Der
Patient in der Psychotherapie wird an diesem Punkt lernen, zwischen Wunsch und
Wirklichkeit zu unterscheiden – eine nicht ganz einfache Sache, die in
der Therapie viel Geduld und Kraft erfordert, die aber für den Menschen,
der sich als einen Spross der schöpferischen Kraft sehen kann, von selbst
geht, weil es die schöpferische Kraft selbst ist, die diese
Unterscheidung, dieses absolut Feste als Rettungsanker im Chaos installiert.
Dieses
Feste scheidet Wasser von Wasser, heißt es. Trotz der bereits erfolgten
ersten klaren Unterscheidung herrscht also in den beiden nun unterschiedenen
Bereichen noch völliges Chaos. Weder in der Realität ist etwas klar,
noch ist klar, wohin die Reise gehen soll. Sowohl der Bereich der Wirklichkeit
als auch der Bereich der Wünsche liegen noch völlig im Dunklen. Und
dennoch ist mit der ersten konkreten Unterscheidung ein gewaltiger Schritt
gemacht. Die zweite Phase auf dem Weg zur Lösung ist erfolgreich abgeschlossen.
Nun braucht der Mensch wieder eine Zwischenphase der Ruhe und Erholung. „Und es war Abend und es war Morgen, zweiter Tag“ (V 8b).
Der dritte Schritt
(dritter „Tag“): Nicht alles ist Chaos – und alles
Lebensnotwendige ist schon da.
Am
dritten Tag richtet sich die unterscheidende Aufmerksamkeit auf die untere
Hälfte des Chaos, auf den Boden, auf dem wir stehen, auf die
Realität. Das ist der als nächstes anstehende logische Schritt.
Wieder ist es für den Menschen, der sich als eine Erscheinung der schöpferischen
Kraft weiß, die schöpferische Kraft selbst, die alles tut. Um es mit
dem chinesischen Weisen Lao-tse zu sagen: „Der
weise Mensch verweilt beim Geschäft des Nicht-Tuns“ (Kapitel 2, Vers
7). Er sieht es nur geschehen. Er beobachtet nur.
(3.1):
Und er sieht, wie er dadurch, dass sich seine Aufmerksamkeit jetzt spontan dem
Boden zuwendet, auf dem er steht, erkennt, dass nicht alles Chaos ist. Und mit
dieser Einsicht weicht das Chaos zurück (3.1.1). „Land“ kommt
in Sicht (3.1.2). Dass sich das von selbst in dieser Weise entwickelt, macht
deutlich, dass das Leben in der Welt von Anfang an so eingerichtet ist, dass
alles von selbst geht. Der Mensch muss nichts „tun“, er muss nur
folgen. So heißt es nun:
„Nun sprach Gott: Gesammelt werden
die Wasser unter den Himmeln an einem Ort und das Trockene werde sichtbar
gemacht. So geschah es“ (V 9a).
Schon
bevor sich die unterscheidende Aufmerksamkeit auf die Realität richtete,
war dort bereits „das
Trockene“, aber es war noch nicht als solches erkennbar, denn es war noch
nicht unterschieden von den Wassern des Chaos, daher gehörte es selbst
noch dem Chaos an. Durch die Unterscheidung aber wird es erkennbar und dann, in
einem weiteren Schritt, auch verfügbar.
Zunächst
aber wird die neue Unterscheidungstiefe im Bewusstsein gesichert durch seine
Benennung, die die grundlegenden Gegebenheiten der Wirklichkeit als Symbole
verwendet: „Da
benannte Gott das Trockene nach der Erde und die Ansammlung der Wasser benannte
er nach dem Meer“ (V 10a).
Und
wieder prüft die schöpferische Kraft das Ergebnis dieser neuen
Unterscheidung. Es fühlt sich gut an. „Und Gott sah, dass es gut war“ (V
10b).
Die
Benennung macht auch hier wieder in besonderer Weise klar, dass der Hymnus eine
Analogie beschreibt: Stufen eines geistigen Prozesses werden nach Erscheinungen
der äußeren Wirklichkeit benannt. Es geht also nicht einfach um eine
Beschreibung der Entstehung dieser Erscheinungen der äußeren
Wirklichkeit. Dennoch, weil die Analogie mit der äußeren Wirklichkeit
jetzt detaillierter wird, erweckt unser Hymnus nun zunehmend den Eindruck von
einem Bericht über die Erschaffung der äußerlichen
Wirklichkeit, während die äußerliche Wirklichkeit auch
weiterhin nur das Anschauungsmaterial liefert für die Beschreibung des
geistigen Prozesses, der sich in einem Menschen ereignet, der durch zunehmende
Unterscheidung zunehmend Kontrolle erlangt über sein Leben.
Um
den Hymnus gründlich zu verstehen, muss der existentielle Teil der
Analogie in den Vordergrund treten. Dann wird sogar erkennbar, dass der Hymnus
archetypisch beschreibt, welche Abläufe sich in jedem schöpferischen
Prozess wiederholen. Dabei entsteht eine Art Grundschema des Zustandekommens
evolutionärer Sprünge bzw. der grundlegenden Etappen in jedem
therapeutischen Prozess: Zuerst liegt alles im Dunklen, nichts kann erkannt
werden. Es braucht also zunächst die Fähigkeit der Unterscheidung,
symbolisiert durch das Licht. Die erste Unterscheidung, die dann getroffen
wird, ist die zwischen dem, wo wir sind und dem, wohin wir wollen. Durch diese
Unterscheidung wird es uns möglich, uns als nächstes dem Platz
zuzuwenden, an dem wir uns befinden. Und da weicht das Chaos zurück und
Land kommt in Sicht.
Nachdem
Land in Sicht gekommen ist, hat der dritte „Tag“ nun – wie
später der sechste – einen zweiten Abschnitt (3.2):
Indem
die Aufmerksamkeit der schöpferischen Kraft sich auf den Boden der
Tatsachen richtet, zeigt sich, dass dieser nicht nur festen Halt bietet,
sondern dass darauf alles zu finden ist, was es zum Leben braucht. Das Land ist
fruchtbar und was daraus hervorwächst, kann
vielfältig genutzt werden, auch dazu, das Land noch fruchtbarer zu machen:
„Weiter sprach Gott: Es
sprieße die Erde Sprossen. Samender Pflanzenwuchs, Samen, Holz, Frucht,
die wieder Frucht macht nach der Art, die der Same ihr gibt, wenn er aus der
Erde wächst. Und so geschah es. Als die Erde Sprossen hervorbrachte, Samen
samenden Pflanzenwuchs und Frucht machendes Holz mit dem Samen in ihm, je nach
seiner Art, sah Gott, dass es gut war“ (V 11f.).
Es
ist auffällig, wie detailliert gerade die Brauchbarkeit all dessen
beschrieben wird, was durch die neue Unterscheidung zwischen beherrschter
Wirklichkeit und dem verbleibenden Chaos erkennbar wird.
In
der Analogie bleibt auch noch klar – was vielen heutigen Interpreten
unseres Hymnus entgeht, und was sie deshalb nur noch ideologisch als einen
Missbrauch verstehen – dass „das Herrschen“, von dem unser
Hymnus gleich ausdrücklich sprechen wird, eben nicht Missbrauch, sondern
einfach Lebenstüchtigkeit bedeutet im Gegensatz zu dem zu Anfang drohenden
Versinken im Chaos.
Auf
dieser Etappe der „Therapie“ gewinnt der „Patient“
durch immer weiter vertiefte Unterscheidung der nutzbaren Gegebenheiten auf dem
eigenen Terrain zunehmende Kontrolle über das eigene Leben: Sprossen,
Frucht, Samen, Holz, Pflanzbarkeit unterschiedlicher
Arten sind einfach Symbole für die Ressourcen, die unser Patient jetzt zu
sehen beginnt. Und wieder geht das alles von selbst. Die schöpferische
Kraft hat die Welt von Anfang an so eingerichtet, dass „das Land“
von selbst alles für seine Bewohner Nötige hervorbringt, dass
Ressourcen also immer vorhanden sind. Sie müssen zunächst gesehen
werden, dann können sie genutzt werden.
Die
Analogien aus der Landwirtschaft lassen sich natürlich auf jedes Gebiet
übertragen, in dem der Patient lebt, leidet und Kontrolle zu gewinnen
sucht. Wovon immer er leben möchte, es ist da. Und der Gesundungsprozess
schreitet mit zunehmender Unterscheidung fort. Deshalb kann die
schöpferische Kraft die Ergebnisse seiner Prüfung an diesem
„Tag“ nun gleich ein zweites Mal als „gut“ bewerten.
Schritt vier (vierter „Tag“): Das Licht des Himmels
Nachdem
die unterscheidende Aufmerksamkeit zunächst nach „unten“, auf
die Realität gerichtet war, richtet sie sich nun nach oben, auf den
„Himmel“, denn sobald klar ist, was alles zur Verfügung steht,
braucht es Orientierung, wann und wozu das alles verwendet werden soll. Das
Reich der Wünsche ist gefragt.
Indem
wir unsere Unterscheidungsfähigkeit jetzt auf das Reich der Wünsche
lenken, finden wir auch dort Unterschiede von erstaunlicher Kraft und
Regelmäßigkeit und mit symbolischen Entsprechungen in der
äußeren Wirklichkeit. Wie Sonne, Mond und Sterne den
äußeren Himmel regieren, so lenken uns von innen unsere Wünsche
und unsere Vorbilder.
Der
Mond, die Leuchte der Nacht, ist ein Symbol für unsere Träume, in
denen unsere Wünsche sich erstmals zeigen. Dann sehen wir Träume
bereits verwirklicht in unseren Vorbildern, in den „Stars“. Und die
Sonne, die den Tag erhellt, ist in unserer inneren Wirklichkeit ein Symbol
für das Reale, das auch unsere Wunschwelt erleuchtet. Die Sonne sagt: Dein
Traum kann wahr werden, denn es ist bereits geschehen. Sklaven, beispielsweise,
können frei werden. Es ist möglich. Es gibt Präzedenzfälle
dafür. Einen solchen beschreibt die Bibel später in ihrer
Erzählung von der Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei in
Ägypten.
Die
schöpferische Kraft, aus der wir hervorgegangen sind und die jederzeit in
uns wirkt, schafft also nicht nur unsere Träume, die inneren Bilder von
der Erfüllung unserer Sehnsucht, sie hat bereits auch die
Präzedenzfälle geschaffen, die äußerlich-realen Beispiele
und Beweise dafür, dass es möglich ist.
Indem
wir unsere Unterscheidungsfähigkeit jetzt auf das Reich der Wünsche
lenken, finden wir dort Sonne, Mond und Sterne aber auch noch in einem anderen
Sinn: Unser Wunsch selbst wer zu sein, zeigt auf unsere innere Sonne:
Selbstverwirklichung, unser Licht nicht unter den Scheffel stellen, etwas
erreichen und wer sein in dieser Welt – für den Menschen, der sich
als Ausdruck der schöpferischen Kraft weiß, ist sein Licht
natürlich abgeleitet von dem ursprünglichen Licht dieser Kraft, ohne
das er nichts wäre, während er im Bund mit ihr eine wirkliche Sonne
sein kann, die die Menschen wärmt und erleuchtet.
Neben
diesem ersten gibt es das zweite große Bedürfnis, nämlich das
nach der Gemeinschaft – die uns mondgleich spiegelt, indem sie uns
rückmeldet, wie wir ankommen. Nur wenn unser Licht reflektiert wird,
können wir uns entfalten und einen Partner / eine Partnerin finden, um das
Leben weiterzugeben.
Und
darüberhinaus gibt es in uns noch das Bedürfnis, uns zu orientieren.
Und dieses Bedürfnis zeigt uns das Licht der anderen, aus denen ja ebenso
die schöpferische Kraft strahlt. Und einige von ihnen werden für uns
zu Vorbildern. Sie sind unsere „Stars“, die uns „vom Himmel
her“ leuchten und an denen wir uns großräumig orientieren
können, wie in der äußeren Welt an den Sternen, um den besten
Kurs für unser eigenes Leben zu finden.
Aus
den unterschiedlichen Rhythmen in der ewigen Wiederkehr dieser großen
menschlichen Bedürfnisse ergibt sich, wann es in unserem Leben Zeit ist
für was.
Der
„Patient“ lernt in dieser vierten Phase die inneren Anziehungen und
Abstoßungen zu unterscheiden, wie auch den Unterschied zwischen Anspannung
und Entspannung. Auf diese Weise erkennt er seine Bedürfnisse und die der
anderen und er lernt, sie aufeinander abzustimmen.
Und
wieder ist dieses Lernen bei dem Menschen, der sich als Spross der
schöpferischen Kraft weiß, weniger ein Tun als ein Beobachten, denn,
was tut, ist auch auf dieser vierten Etappe zunehmender Unterscheidung die
schöpferische Kraft selbst. Deshalb ist es wieder Gott, der spricht:
„Gott sprach: Leuchten
seien am Festen der Himmel, um zwischen Tag und Nacht zu unterscheiden. Und sie
sollen zu Zeichen werden und zu
Zeiten und zu Tagen und Jahren. Und sie sollen zu Leuchten werden am Festen der
Himmel, um auf die Erde zu leuchten. Und so geschah es. Dann machte Gott die
zwei Leuchten, die großen, die große Leuchte, um den Tag zu
beherrschen, die kleine Leuchte, um die Nacht zu beherrschen, und die Sterne.
Und Gott setzte sie an das
Feste der Himmel, um auf die Erde zu leuchten und den Tag zu beherrschen und
die Nacht und zu scheiden zwischen dem Licht und der Finsternis.
Und Gott sah, dass es gut war.
Und es war Abend und es war
Morgen, vierter Tag.“ (V
14-19).
Und
da diese Leuchten auf das Feste der Himmel gesetzt sind, also zwischen die
Realität und das Reich der Wünsche, leuchten sie in beide Bereiche
hinein und beherrschen mehr als alles sonst nicht nur den Tag und die Nacht,
sondern unser ganze Sein.
Unsere
Wünsche und Bedürfnisse bilden demnach von Natur aus die Lichter des
Himmels in uns und wir brauchen keine Angst haben, dass wir von unserer Natur
fehlgeleitet werden. Das bedeutet, dass der Mensch, der sich als einen Spross
der schöpferischen Kraft erkennt, in sich selbst alles findet, was er zur
Orientierung braucht, einschließlich seines Bedürfnisses nach
Orientierung an anderen.
In den östlichen Religionen wird diese grundsätzliche Vollkommenheit, die hier einige Verse später als „das Paradies“ bezeichnet werden wird, als Zustand der „Erleuchtung“ beschrieben, der ebenso nicht durch Tun erreicht wird, sondern durch Meditation, also durch Beobachten dessen, was ist. Und wie in unserem Hymnus allein durch Beobachten das Chaos überwunden wird, so werden dort durch Meditation die Illusionen überwunden. Und am Ende herrscht geistige Klarheit und Kontrolle über das Leben. Doch noch sind wir nicht am Ende dieses Prozesses.
Schritt fünf (fünfter „Tag“): Wunder über Wunder:
Das Chaos wimmelt von Leben.
Die unbewussten Triebkräfte
Dennoch
sind wir durch diese innere Klarheit frei geworden, unseren Blick auf das am
dritten „Tag“ verbliebene Chaos zu richten. Und da sehen wir zu unserer
Überraschung Wunder über Wunder: Überall wimmelt es von Leben.
„Dann sprach Gott: Wimmeln lassen
die Wasser ein Gewimmel lebender Wesen“ (V 20a).
Was
zuvor als ein Chaos erschien, erweist sich bei näherem Hinsehen als voll von
lebendigen Wesen. So hat die schöpferische Kraft den Boden für uns
vorbereit – längst bevor wir da waren.
Durch
unsere, mit unserer Betrachtung des Himmels gewonnene Orientierung können
mit dem Gewimmel etwas anfangen. Wir möchten nämlich auch dort das für uns Brauchbare erkennen und dann herausfischen.
Auch das wird einfach dadurch möglich, dass wir genau hinschauen.
Und
wir lenken unseren Blick auf den nächsten verbliebenen Bereich des Chaos,
die Luft. Und wir sehen: selbst die ist belebt mit fliegenden Wesen:
„Und Gefiedertes soll
über der Erde fliegen, auf der Oberfläche des Festen der
Himmel“ (V 20b).
Im
Bereich unserer inneren Wirklichkeit ist der Zwischenraum zwischen Himmel und
Erde, also zwischen dem Reich unserer Wünsche und dem Boden der Tatsachen
nicht Luft, sondern es ist die Oberfläche „des Festen der
Himmel“, nämlich die Oberfläche unserer Unterscheidungen
selbst. Und was sich da bewegt, sind die vielfältigen Spannungen zwischen
Wünschen und Realität, die oft wie die flüchtigen Bewegungen von
Vögeln erscheinen.
Und
dann geht es in die Tiefe, und die ist belebt von teils gewaltigen Tieren, die
wie Ungeheuer erscheinen, wie unsere eigene innere Tiefe geprägt ist von
gewaltigen und oft unheimlichen Trieben.
„Und es schuf Gott die
Meeresungeheuer, die großen, und alle die schwimmenden lebenden Wesen,
von denen die Gewässer wimmeln je nach ihrer Art, und jeden Vogel mit
Schwingen je nach seiner Art.
Und Gott sah, dass es gut war.
Und Gott segnete sie und
sprach: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Wasser in den Meeren.
Und das Gefiederte soll sich mehren über der Erde!
Und es war Abend und es war
Morgen, fünfter Tag.“ (V
21-23).
Nun
kommt ein neues Element hinzu: Gott segnet diese Wesen, die sowohl eine
Realität für sich, als auch ein Symbol für unsere eigene Natur
sind: von den tiefsten Tiefen zu den höchsten Höhen reicht der Mensch
– nicht erst durch die heutige Technik, sondern schon von Anfang an.
Der
Mensch, der vor dem Abgrund stand, lernt in dieser Phase das gesamte Spektrum
der Wirklichkeit als den Raum
seiner Möglichkeiten begreifen. Wenn er sich als Spross der
schöpferischen Kraft erkennt, verliert er sich aber nicht in diesem
gewaltigen Raum, denn durch sein Unterscheiden bewältigt er ihn und er
wird dennoch nicht zum Ausbeuter, sondern zum Hüter, denn wie Gott selbst,
segnet er die Schöpfung.
In
der Psychotherapie würde die fünfte Etappe als die Etappe der
Ergründung des Unbewussten gesehen. Während es in Etappe vier um die
Ideale des Menschen ging, geht es nun um seine Triebkräfte, die
gewissermaßen wie die Pflanzen aus der Erde sprossen – und doch in
mancher Hinsicht ungreifbar bleiben, wie Wasser oder Luft. Durch seine
Unterscheidung dieser oft unheimlichen Kräfte aber gewinnt er Kontrolle
auch über seine Triebe. So werden die Heiligen und die Erleuchteten, also
die, die sehr genau unterschieden haben, immer als Meister ihrer selbst
beschrieben.
Schritt sechs (sechster „Tag“): Was ist der Mensch?
6.1:
Im ersten Teil des sechsten „Tages“ wirft unser Patient einen
zweiten Blick auf den Boden, auf dem er steht, also auf „das Land“,
das in Phase 3.1.2 erschienen ist und das in Phase 3.2 schon als fruchtbar
erkannt worden ist, nun aber mit neuen Unterscheidungen. Und da sieht er, dass
er nicht allein ist auf der Welt. Vielmehr hat „das Land“, also
seine Lebensgrundlage, bereits alle Arten von lebendigen Wesen hervorgebracht.
Wie am dritten Tag werden diese Wesen nun in Gruppierungen aufgezählt, die
rein auf Nutzen ausgerichtet ist – in der damaligen Sicht der
Viehzüchter und Jäger:
„Und Gott sprach: Die
Erde bringe lebende Wesen hervor, je nach ihrer Art: Vieh und Kriechgetier und
Wild der Erde je nach seiner Art. Und so geschah es.
Als Gott das Wild der Erde
machte, je nach seiner Art, und das Vieh, je nach seiner Art, und alles Kriechgetier
des Erdbodens, je nach seiner Art, da sah Gott, dass es gut war.“ (V 24f.)
Wenn
unser „Patient“ nun ein Spitzenmanager wäre, den wir zu coachen hätten, dann würde er seine
unterscheidende Aufmerksamkeit jetzt auf die Ressourcen richten, mit denen er
arbeitet. Da würde er bemerken, dass alles, was er braucht, bereits da ist
– und natürlich auch jede Menge von dem, was er nicht brauchen kann.
Und er würde alles nach seiner Art unterscheiden, je nachdem wie brauchbar
oder unbrauchbar es für ihn ist.
Unser
Patient wird an dieser Stelle daher dankbar sein dafür, dass alles, was er
braucht, bereits da ist.
Einen
weiteren Gesichtspunkt könnte die Zen-Geschichte „Vom Ochsen und
seinem Hirten“ aus dem fernen China eröffnen: Da sucht ein Hirte
seinen verlorenen Ochsen und findet schließlich seine Spur, dann findet
er ihn selbst, fängt ihn, zähmt ihn, reitet auf ihm heim – und
vergisst ihn. Die alten Zen-Meister deuten die Geschichte als einen Weg
zunehmender Bewusstheit und zunehmender Kontrolle über das Leben, bis
seine Errungenschaften keine Frage mehr sind und er sich unbekümmert in
das lebendige Treiben am Markt mischen kann.
An
dem Punkt, an dem wir in unserem Hymnus stehen, hat der zunächst
verzweifelte Mensch die Kontrolle über die im Leben wirkenden Kräfte
erreicht. Wie der Hirte in der Geschichte ist er damit bei sich selbst
angelangt. Aber seine Realität ist jetzt eine völlig andere: Jetzt
ist da nicht mehr Finsternis und Abgrund, sondern Wunder über Wunder.
6.2.1:
Um aber bei den Bildern unseres Hymnus zu bleiben, die große
Schöpferkraft hat aus der Erde lebende Wesen unterschiedlicher Art
hervorgebracht. Und dem Menschen entgeht die Ähnlichkeit der anderen
Geschöpfe mit sich selbst sicherlich nicht. Deshalb wird er nun sich und
seinen Schöpfer fragen, was denn nun der Unterschied ist zwischen diesen
Wesen und ihm selbst.
Er
hat mittlerweile das Chaos durch Bewusstheit ersetzt. Deshalb ist seine Frage
keine naive Frage. Auch der Adressat seiner Frage ist kein Lückenbüßer
mehr für das Unbekannte, denn an jeder Schnittstelle seiner
Unterscheidungen hat der Mensch die schöpferische Kraft am Werk gesehen.
Um die Antwort auf seine Frage zu bekommen, weicht der Mensch nicht von seinem
bisherigen Kurs ab: Er beobachtet sich selbst. Im Verlauf der Etappen seiner
Entwicklung hat er in sich unterschiedliche Stimmen entdeckt, darunter eine,
die ich hier als seine „innere Wahrheit“ bezeichnen möchte.
Diese Stimme hat er von Anfang an vernommen – dank des Rates, den ein
Weiser ihm zu Beginn gegeben hat, nämlich darauf zu vertrauen, dass eine
andere Kraft als die seine sein Problem lösen wird, wenn er diese Kraft
nur wirken lässt und ihr Wirken nur beobachtet. In diesem beobachtenden
Wahrnehmen ist er von Anfang an mit seiner inneren Wahrheit verbunden. So
beobachtet er nun wieder, wie die Frage spontan in ihm hochsteigt: Wer bin ich
eigentlich? Und er beobachtet die neuen Unterscheidungen, die sich jetzt in
seiner inneren Wahrheit abbilden. Die Kraft, die ihn hervorgebracht hat, zeigt
ihm die Unterscheidungen, nach denen er gefragt hat, und er sieht sie genau so,
wie unser Hymnus es hier darstellt:
„Dann sprach Gott: Wir
wollen einen Menschen machen nach unserem Bild, wie eine Kopie von uns –
und sie sollen herrschen über
die Fischbrut des Meeres und über das Gefiederte der Himmel und über
das Vieh, und überall die Erde, und über das Kriechgetier, das auf
der Erde kriecht.
Da schuf Gott den Menschen
nach seinem Bild, als eine Kopie von Gott erschuf er ihn.“ (V 26-27a).
Gerade
durch seine Fähigkeit zu unterscheiden, unterscheidet sich der Mensch von
allen Tieren. So ähnlich ihm manche von ihnen auch sein mögen. Was
selbst die höchstentwickelten Tiere nicht können, ist Begriffe
bilden, diese in Kategorien einordnen, daraus eine Sprache formen und mit Hilfe
dieser Sprache sich selbst erkennen.
Dadurch
ist der Mensch den Tieren überlegen. Deshalb ist er der natürliche
Herrscher über die Erde und alle ihre Bewohner. Für heutige Leser ist
es wichtig hier hinzuzufügen, dass das Herrschen in der Zeit, als dieser
Text verfasst wurde nicht bloß Verfügungsgewalt bedeutet, sondern in
gleicher Weise auch Verantwortung.
Was
dieser Text am meisten hervorhebt, ist die Ähnlichkeit des Menschen mit
dem Urheber der Schöpfung. An diesem Punkt seiner persönlichen
Entwicklung unterscheidet der Mensch, was alles zu ihm gehört: das
Mineralische (die Erde), das Vegetative (das Sprießende), das Animalische
(die Tiere) und dann das, was ihm all diese Unterscheidungen ermöglicht.
Und das zeigt ihn als wesensgleich mit der Kraft, die ihn hervorgebracht hat.
Damit
ist der Mensch nun in direktem Kontakt mit seinem innersten
Wesen und das sagt ihm, dass er seinem Wesen nach göttlich ist – wie
auch alles sonst am Menschen aus Gottes Wesen hervorgegangen ist. Ja, an diesem
Punkt kann der Mensch sogar noch eine weitere Ähnlichkeit sehen,
nämlich dass er durch sein Bemühen selbst zu einem wird, der etwas
aus dem Nichts erschafft.
Wenn
unser Patient an diesem Punkt angelangt ist, ist er kein Patient mehr. Er ist
nicht mehr fremdbestimmt, sondern selbstbestimmt, er ist der Herr seines
Lebens. Die Welt und ihre Schätze stehen jetzt zu seiner Verfügung
– und er ist sich seiner Verantwortung bewusst. Vor allem aber ist
unserem vormaligen Patienten jetzt bewusst, dass er ein Spross der
schöpferischen Kraft ist. Daher übernimmt er jetzt die ihm zukommende
Aufgabe in dem großen schöpferischen Prozess, und das kann nur eine
Aufgabe sein, die das große Ganze im Bereich seiner persönlichen
Möglichkeiten auf schöpferische Weise voranbringt.
6.2.2:
Nun, da der Mensch sein Wesen erkannt hat, kann er sich dem Leben widmen
– und da begegnet ihm sofort die nächste Unterscheidung:
„Männlich [wörtlich: er-innernd]
und weiblich
[wörtlich: durchdrungen] schuf er sie.“ (V 27b).
An
diesem Punkt fragt sich der Mensch: Wozu gibt es Männer und Frauen? Und
Gott antwortet ihm: damit die Menschen wachsen und sich vermehren können.
Aber die etymologischen Bedeutungen der Geschlechtsbezeichnungen sagen noch
mehr. Sie bringen so etwas wie eine Wesenseinsicht in den Unterschied zwischen
Mann und Frau: Der Mann ist in seinem Wesen „er-innernd“,
was nicht nur bedeutet, dass er körperlich ins Innere eindringt, sondern
dass er jegliches Geheimnis ergründen will.
Die
Frau dagegen ist bereits durchdrungen. Sie hat bereits alles in sich. Sie ist
für den Mann daher das erste Geheimnis, das er ergründen will.
Genau dieser Unterschied ist es, der die Geschlechter
für immer aneinander bindet und der zum Anlass dafür wird, dass sie
sich verbünden und dass aus diesem Bund die weiteren Sprosse der
schöpferischen Kraft hervorgehen.
Deshalb sind die Beiden bereits in besonderer Weise
gesegnet:
6.2.3:
„Und Gott
segnete sie. Und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und
füllet die Erde und unterwerft und herrscht über die Fischbrut des
Meeres und über das Gefiederte der Himmel und über alles Getier, das
auf der Erde kriecht!
Dann sprach Gott: Seht, ich
gebe euch allen Pflanzenwuchs, der auf der Oberfläche des gesamten
Erdbodens Samen samt und jeden Baum auf ihm, der Samen samt.
Euch und allem Getier der Erde
soll er zur Speise werden und jedem Vogel der Himmel und allem, was auf dem
Erdboden kriecht und in sich ein lebendes Wesen hat, gebe ich jeglichen
grünen Pflanzenwuchs zur Speise.
Und so geschah es.
Da besah Gott alles, was er
gemacht hatte, und sieh, es war sehr gut.
Und es war Abend und es war
Morgen, der sechste Tag.“ (V
28-31).
An
diesem Punkt in seiner persönlichen Entwicklung sieht der Mensch, der sich
als Spross der schöpferischen Kraft weiß, dass ihm alles
überantwortet ist. Niemand sonst hat die Kontrolle als nur er. Er ist
jetzt der auf Erden erschienene Gott. Auf ihn kommt es an. Er kann nicht darauf
warten, dass andere es schon machen werden. Er selbst muss es tun. Er
trägt die Verantwortung für alles. – Und wenn ich hier
„er“ sage, meine ich natürlich Sie, den Leser dieser Zeilen.
Sie müssen in jedem Moment vor Ihrem Schöpfer, der ja Ihr innerstes
Wesen ist, Rechenschaft ablegen. Sie können es sich nicht leisten, in Ihre
frühere Unbewusstheit zurückzufallen und andere bestimmen zu lassen.
Und
dennoch ist der Mensch nichts Besseres, sondern er steht in einer Reihe mit dem
Getier der Erde. Und er muss Gott dafür danken, dass alles zum Leben
Notwendige bereits da ist, dass ihm – gemeinsam mit dem Getier – der
Pflanzenwuchs zur Nahrung gegeben ist, auch wenn ihm die Fähigkeit gegeben
worden ist, in besonderer Weise über die Pflanzen zu verfügen, weil
sein Unterscheidungsvermögen es ihm ermöglicht, zu säen und zu
ernten, also seinen Lebensunterhalt zu planen und kreativ zu gestalten.
Und
wozu hat der Mensch die göttlichen Eigenschaften des Unterscheidens und
der Kreativität? Damit er die Erde gut verwalten kann.
Sobald
jemand auf diesem Niveau der Bewusstheit angelangt ist, wird ihm das, was Jesus
in der Bergpredigt verlangt, selbstverständlich sein.
Schritt sieben (siebter „Tag“): Die Perspektive Gottes
einnehmen
Damit
der Mensch aber die Stelle Gottes auf Erden wirklich einnehmen kann, um die
Erde gut zu verwalten, damit er nicht zurückfällt in frühere, unbewusste und
fremdbestimmte Phasen, muss er sich immer wieder auf sein Wesen besinnen.
Diese
Besinnung beginnt mit der dankbaren Feststellung, dass nun alles vollendet ist:
„So waren die Himmel und
die Erde vollendet und all ihr Heer.
Und am siebten Tag hatte Gott
sein Werk, das er gemacht hatte, vollendet.
Und Gott er feierte an dem
siebten Tag sein Werk, das er gemacht hatte.
Und Gott segnete den siebten
Tag und er heiligte ihn, ja an ihm feierte er sein Werk, das er durch Arbeit
geschaffen hatte.
Dies ist die
Entstehungsgeschichte der Himmel und der Erde bei ihrem Geschaffenwerden
an dem Tag, an dem JAHWE, Gott, sie gemacht.“ (Gen 2, 1-4a).
Nach
getaner Arbeit sollen die Menschen ihre Arbeit betrachten und sich über
ihre Kreativität freuen. Dieser Freude sollen sie einen Tag der Woche
widmen.
An
diesem Tag sollen sie ihr Werk und das Werk der gesamten Schöpfung
betrachten und beides zueinander in Beziehung setzen. Und das geht nur, indem
die Menschen die Welt und ihr eigenes Tun aus der Perspektive des
Schöpfers betrachten. Und nur so können sie ihrer Verantwortung sich
selbst und der Welt gegenüber gerecht werden.
Doch
indem sie das tun, dürfen sie die Welt als Paradies erleben und
genießen.
Dieses
die Perspektive Gottes einnehmen und das sich Erinnern ist ein weiterer
wesentlicher Schritt, den der bewusst gewordene Mensch braucht, um den Stand
seiner Bewusstheit halten zu können, um nicht zurückzufallen und vorbewusste Stadien.
Schritt acht (Kapitel zwei und drei): Entfremdung, Erlösungsbedürftigkeit und
Erlösung
Aber
es wäre nicht die Welt, wenn alles so bliebe, wie es einmal war.
Unterscheiden
birgt auch Gefahr. Indem die Menschen ihre Unterscheidungen weiterführten,
begannen sie zwischen „gut“ und „schlecht“ zu
unterscheiden. Ihre innere Wahrheit hatte sie davor gewarnt, aber ihre Neugier
hatte gesiegt und sie damit in ein Verhängnis gestürzt, denn
natürlicherweise wollten sie von diesem Moment an nur noch das Gute; das
Schlechte suchten sie auszuschließen, aber das erweis sich als nicht
machbar. Weil diese neue Unterscheidung schließlich aber ihr Bewusstsein
dominierte, fühlten sie sich zunehmend schlecht, so schlecht, dass sie
schließlich ihren göttlichen Ursprung und ihr göttliches Wesen
vergaßen, so schlecht, dass manche sich gar nur noch als ein Stück
Dreck begreifen konnten.
Durch
ihre Selektivität hatten sie sich vom Ganzen separiert und sich damit sich
selbst entfremdet.
Und
damit hatten sie das Paradies verloren.
Und
damit brauchten sie Erlösung – die natürlich nur darin bestehen
konnte, sich an all das wieder zu erinnern, was wir eben gehört haben:
Die
Erlösung beginnt damit, dass der erlösungsbedürftige Mensch sich
ehrlich eingesteht, dass er vor einem Abgrund steht, umgeben von Finsternis
– und dass er sich von einem weisen Menschen sagen lässt, dass
Gottes Geist bereits über dem Chaos schwingt.
Die
erlösungsbedürftigen Menschen müssen mit ihrer Umkehr aber nicht
warten, bis sie tatsächlich in physischer Lebensgefahr sind. Die
Empfindung des vor dem Abgrund Stehens, von der Gen 1,2 spricht, kann bereits
in kleinen Alltagssituationen auftreten, wenn die Dinge nicht so laufen, wie
wir sie uns vorgestellt haben. Immer dann nämlich verdunkelt sich unsere
Welt und, wenn wir ehrlich sind, fühlen wir uns dann zumindest für
einen Augenblick wie vor einem Abgrund. Das ist der Moment von Gen 1,2. Obwohl
wir diese Situationen auch ohne rettenden Einfall lebend überstehen,
bekommt unser Selbstbild doch jedesmal eine kleine Delle und diese Dellen
summieren sich mit der Zeit, unter Umständen so weit, dass ein Mensch sich
schließlich als kaputt erlebt und den Glauben an sich und das Leben
verliert.
Genesis
eins zeigt einen Ausweg. Dafür ist unser Hymnus gedacht. Er beschreibt den
Weg von der Dunkelheit ins Licht – der aber nur Wirklichkeit werden kann,
wenn wir im entscheidenden Augenblick inne halten und diesen Weg bewusst
wählen.
Zusammenfassung:
0. Der Hymnus beginnt mit „am Anfang schuf Gott Himmel und
Erde“. Am Anfang ist also alles schon da. Aber da sind Menschen, die sich
in der Situation befinden, die Vers zwei beschreibt, die ihr Leben im Moment
nicht im Griff haben, die es als „wüst und chaotisch“
empfinden, die sich vor einem Abgrund sehen, umgeben von Finsternis.
Für sie ist der Hymnus geschrieben. Ihnen wird gesagt: Hab keine
Angst! Der schöpferische Geist ist bereits da; er schwingt bereits
über dem Chaos; er löst das Problem. Du musst nichts tun, nur
beobachten, was in Dir und um Dich herum vorgeht.
Dann folgen die sieben Schritte der Lösung. Es sind Schritte der
Unterscheidung:
1. Ein Mensch, der am Abgrund steht, von Finsternis umgeben, fühlt,
wie alles in ihm nach „Licht!“ schreit, nach der Fähigkeit,
etwas unterscheiden zu können.
2. Die erste Unterscheidung, die er mit dieser Fähigkeit trifft,
ist die zwischen der Situation, in der er sich befindet und dem wo er
eigentlich hin möchte, also zwischen der Realität und dem Reich der
Wünsche, dem Himmel.
3.1 Als nächstes richtet er seinen Blick auf die Realität. Er
stellt fest, er ist noch nicht abgestürzt, er lebt noch, er hat Boden
unter den Füßen: „Land“ kommt in Sicht.
3.2 Indem er genauer hinschaut, sieht er, dass sich ihm bereits
Möglichkeiten bieten; Ideen tauchen auf; „es sprießt“
schon.
4. Als nächstes richtet er seinen Blick auf das Reich der
Wünsche, auf seine Ideale. Die Analogien in der äußeren Welt
sind Sonne, Mond und Sterne. In der inneren Welt sind da zunächst seine
Träume vom großen Glück. Ihnen ist der Mond zugeordnet. Und
dann sind da die Menschen, die schon so sind, wie er sein möchte, seine
Vorbilder, die Stars, die Sterne, und dann ist da die Wirklichkeit, in der, als
Beispiel, manche Träume schon erfüllt sind, da scheint die Sonne
bereits ganz real. Außerdem ist der Mensch selbst eine kleine Sonne im
Universum, deshalb sagt ihm Jesus: Du bist das Licht der Welt. Die Funktion des
Mondes erfüllen die anderen, die uns widerspiegeln und uns zeigen, wie wir
ankommen. Und die Funktion der Sterne erfüllen nochmal die anderen, die ja
selbst kleine Sonnen sind und als „Stars“ Vorbildfunktion
erfüllen.
5. Nun folgt der Blick auf das verbliebene Chaos. Und bei genauerem
Hinsehen ist das Chaos voll Leben, ein einziges Wunder. In der
äußeren Welt ist das das Leben im Meer und in der Luft. In der
inneren Welt ist das das Unbewusste mit den leichten Freuden und den dunklen
Gefahren der Triebwelt.
6.1 Bringt einen neuen unterscheidenden Blick auf die Realität. In
der äußeren Welt können da gemäß ihrem Nutzen drei
Sorten von Tieren unterschieden werden: Vieh, Gewürm und Wild. Diesen
entsprechen in der inneren Welt Bildung, unnütze Ablenkungen und
zufällige Chancen.
6.2 Nun blickt der Mensch auf sich selbst. Der äußeren Welt
nach ist er eine Art Tier. Der inneren Welt nach aber ist er eine
Erscheinungsform der schöpferischen Kraft mit Unterscheidungsfähigkeit
und der Fähigkeit, etwas aus dem Nichts zu erschaffen.
7. Im siebten Schritt blickt der Mensch zurück auf seinen Weg.
Alles ist nun wunderbar. Er kann es feiern, es genießen. Er kann die Welt
aus der Perspektive der Schöpfers betrachten und
sehen, dass er diese Perspektive braucht, um im Paradies leben zu dürfen.
8. Darauf folgt in der Bibel die Beschreibung von Paradies und
Sündenfall. Der Sündenfall wird einer neuen Unterscheidung
zugeschrieben, der von „gut“ und „schlecht“. Damit
nämlich hören die Menschen auf, zu akzeptieren was ist. Sie wollen
nur noch das Gute. Das aber ist nicht möglich, daher haben sie damit das
Paradies verloren – und es beginnt wieder mit Finsternis und Abgrund, und
darauf folgen die erneut die sieben Schritte wie oben.