Sekten – und jenseits davon
Leben mit einem Klotz am Bein?
(02_03_28)
Die Ideologie (nicht nur der Religion) ist immer ein Klotz am Bein.
Es besteht kein Vertrauen in die eigene natürliche Erkenntnisfähigkeit, daher der Klotz am Bein als Ersatz-Steuerungsmodul.
Dass Jesus so etwas nicht wollte, ist ja klar. Aber es ist auch klar, dass ein Ersatz-Steuerungsmodul besser ist als gar keine Steuerung.
Grundsätzlich gibt es nichts einzuwenden gegen bestimmte Einstellungsmöglichkeiten dem Leben gegenüber, etwa gegen ein „Jesus hat dich gerettet“. Wenn jemand das glaubt, hat er einen großen Vorteil gegenüber allen, die sich verloren glauben oder als auf die eigene Kraft allein angewiesen.
Die Frage ist nur die nach den Bedingungen, und die sind als die Bedingungen einer konkreten Gemeinde oft ideologisch und daher behindernd, weil auf Festhalten bedacht und nicht auf Freiheit.
Die Ideologie einer Sekte ist genau ihr spezifisches Modell der Erlösung, jenes Belohnungs- Bestrafungsmodell, das fast alle Sekten haben. So ein Modell ist zwar besser als das Chaos, aber es ist auch ein Hindernis. Die Angst verloren zu sein, hat sich nämlich damit über die Hintertür wieder eingeschlichen. Die Erlösung ist wieder beim Teufel. Durch das Modell sind wir wieder bei dem, was Jesus überwinden wollte, beim Gesetz, bei den tausend Vorschriften, die keiner erfüllen kann, wodurch alle zu lebenslänglich Abhängigen werden – von der Sekte. Das ist die Sektenart. Das ist ihr Vorteil und das ist ihr Klotz am Bein. Zur Freiheit führen die Sekten nicht. Die Vision, die Jesus hatte ist in ihnen kaum je verwirklicht. Sie würden es nicht tolerieren. Sie würden es ausmerzen, wie sie damals Jesus ausgemerzt haben, weil er dafür plädiert hat, den Klotz am Bein stehen zu lassen und ohne ihn weiterzugehen.
Logischerweise hat das auch Luther wieder gesehen in seiner „Freiheit des Christenmenschen“, nur ist es auch ihm nicht gelungen, auch seine Nachfolger dazu zu veranlassen. Der entstandene protestantische Klotz am Bein hat nur andere Muster und Farben. Sonst hat sich nichts geändert.
Die Freiheit ist eben etwas – und das ist ein Teil unserer Lebensprüfung – das wir uns im Risiko nehmen müssen. Das Risiko besteht in dem sich Ablösen von der Sekte, in dem Verlust jenes Steuerungsmechanismus im Klotz am Bein. Es ist klar, dass wir uns diese Freiheit erst nehmen können, wenn wir bereit dafür sind, d.h. wenn wir eine andere Steuerung gefunden haben, eine überlegene Steuerung.
Diese überlegene Steuerung kommt, indem wir uns trauen. Am Anfang steht ein Sprung. Den müssen wir uns trauen. Und uns dann immer weiter trauen. Von Fehlschlägen dürfen wir uns nicht entmutigen lassen, ja wir müssen es aufgeben, zu beurteilen, was gut und was schlecht ist [das war ja der Sündenfall], wir müssen jener Kraft dieses Urteil und die Auswahl dessen anvertrauen, was sie uns zumutet – auf dem Weg der Verwirklichung ihres „Plans“, der heute natürlich ein Plan für die Menschheit als Ganzes ist. Dieser „Plan“ ist das Ergebnis der Vision der Möglichkeit. Wir können ihn nachvollziehen, indem wir uns auf die übergeordnete Perspektive einstellen.
Sobald uns das gelingt, haben wir den Klotz am Bein abgelegt, denn mit ihm dran, werden wir diese Vision nicht sehen können. Die Vision verlangt nämlich eine Öffnung hin zu den anderen, zu den bisher Ausgeschlossenen.
Die Öffnung, die heute nötig ist, ist sehr vergleichbar jener Öffnung, die vor zweitausend Jahren von den Aposteln vollzogen worden ist, als sie die Regeln des Judentums als nicht mehr verbindlich bezeichneten. Die Regeln des Christentums nicht mehr als verbindlich anzusehen, ohne etwas wesentlich Christliches aufzugeben, wie geht das? Es geht, indem wir die anderen respektieren und uns auf sie einlassen. Dann wird es uns genau so gehen wie es damals dem Petrus gegangen ist in seiner Vision mit den „unreinen“ Tieren, die er essen sollte. Heute wie damals sind es nur Vorstellungen, die uns im Weg stehen. Es ist nur eine Ideologie, die wir letzten Endes nicht mehr brauchen.
Wie also würde ein Christentum aussehen, das die Moslems nicht ausschließt? Es würde klar feststellen, dass nicht nur Jesus ein Kind Gottes war, sondern dass wir alle es sind.
Wie würde ein Islam aussehen, der alle späteren Entwicklungen [also die heutige Realität] einschließt? Er würde aufhören, allein den Koran als verbindlich anzusehen und sogar davon ausgehen, dass der Koran durch neue Offenbarungen überholt werden kann – ohne dadurch je etwas von seiner einzigartigen Kraft einzubüssen.
Das wäre eine gelungene Auseinandersetzung mit dem Klotz am Bein.
Bei den Moslems hat dieser Klotz am Bein ja dazu geführt, dass sie sich den Wissenschaften verschlossen haben und dadurch ökonomisch total ins Abseits gedrängt worden sind. Weil sie aber den Klotz an ihrem Bein nicht wahrhaben wollen, geben sie jetzt anderen die Schuld an ihrer Rückständigkeit. Aber so wirkt so ein Klotz am Bein eben – zu Zeiten Mohammeds noch „Götzendienst“ genannt.
Die Bibel ist eine Aufeinanderfolge von Geschichte über den Verlust und das Widerfinden der Freiheit und dessen Folgen.
Dass die Israeliten in Sklaverei gerieten oder in Gefangenschaft etc. wird dort klar als Verlust der wirklichen Verbindung mit der Kraft dargestellt. Also immer wenn sich die Religion zu einem Klotz am Bein auswuchs, gab es massive politische Probleme. Warum sollte es heute anders sein? Leider haben die Moslems ja den Koran für allein für alle Zeiten für ausreichend erklärt, daher ist ihnen diese Weisheit verborgen geblieben. Und natürlich auch den Christen in ihrer Überbetonung des Neuen Testaments und der einmaligen Erlösungstat Jesu.
Immer wenn die Perspektive des Ganzen verloren geht, gibt es Probleme. Das ist die Lehre der Religionsgeschichte bis heute, allein aus dem vorderorientalischen Bereich. Und diese Perspektive geht verloren durch den Klotz am Bein, durch das Ausschließen. Das Wesentliche an Jesus war ja das Einschließen, das alle einschließen.
Das Ausschließen ist ein Zugeständnis an das Ego. Ich bin drin, du bist draußen. Damit sind wir in der Welt des biblischen „Baal“ mit seinem Recht des Stärkeren. Das ist dem Geist nicht gerecht. Der Klotz am Bein ist das Zeichen für nicht dem Geist gerecht. Das muss allen Moslems und allen Christen gesagt werden, damit sie sich umorientieren können, damit sie nach der Wahrheit des Geists suchen können, damit sie sie finden können. Sie finden sie in der übergeordneten Perspektive, die alle einschließt. So einfach ist das.
Dann kann jeder bei sich anfangen, zu sehen, was da in Ordnung gebracht werden muss. Aber die Ordnung ist nun nicht mehr die alte Ordnung des Gesetzes, sondern es ist die natürliche Ordnung, unsere eigene Ordnung, die gerade dadurch zu unserer eigenen wird, dass wir uns dem größeren „Plan“ unterordnen, den wir erkennen in unserer Vision der Einheit. Sie beginnt damit, dass wir uns wert fühlen, als ein göttliches Produkt – und dass wir diese Wertschätzung von da an auch für jeden unserer Mitmenschen und für alle anderen Geschöpfe haben.
Das ist die Geistordnung. Da herrscht keine Ideologie, niemand soll irgendwo festgehalten werden, niemand soll irgendeinen Hokus Pokus glauben, wir brauchen nur das glauben, was wir erfahren können. Alles andere ist Aberglaube. In der Geistordnung herrscht aber die übergeordnete Perspektive, denn es herrscht Bewusstheit. Natürlich sind wir Menschen und daher oft nicht bewusst, doch wir kennen die Richtung, in die wir schauen müssen, immer wenn wir uns wieder daran erinnern.
Die einzige Übung, die möglich ist in der Welt des Geists, ist diese Übung der Erinnerung. Es ist eine Übung zur Aufrechterhaltung der Bewusstheit. Früher sind diese Bewusstheitsübungen in den jeweils damaligen Weltsichten abgefasst worden, die heute nicht mehr allgemein verständlich sind, auch in Form von Gebeten und Riten. Weil die alten Formen nicht mehr allgemein verständlich sind, muss diese Erinnerungsübung heute jeder selbstständig machen. Gemeinschaften bergen außerdem immer die Gefahr, dass sie einen Klotz am Bein entwickeln. Die heutige Geistgemeinschaft sieht daher anders aus. Es ist eine Gemeinschaft freier Individuen, die sich frei austauschen über ihre Erfahrungen mit dem Geist.
Es gibt keine formellen Mitgliedschaften, sondern es ist eine freie Assoziation. Das Wirken der Mitglieder der Geistgemeinde ist nicht so sehr nach innen als nach außen gerichtet, um eben auch anderen Zugang zu diesem Weg zu verschaffen. Dem dient das Leben der Geistjünger. Das ist aber nun, obwohl eine Verpflichtung, kein Klotz am Bein, denn es entspricht ja ganz genau dem eigenen Bedürfnis, der eigenen Sehnsucht. Das ist der Unterschied zwischen dem Leben in der Sekte mit seiner Moral und dem Leben der Geistgesteuerten. Bei den Geistgesteuerten gibt es keine Spaltung mehr, kein „ich muss etwas tun, was ich eigentlich nicht will“ wie in der Moral, es gibt nun das „ich will zutiefst, was ich mir als zu tun aufgetragen sehe“, also eine Einheit.
Der Grund für die Spaltung liegt in der fehlenden Beziehung zum Geist, also im Fehlen der übergeordneten Perspektive. Durch die übergeordnete Perspektive findet eine Art Umprogrammierung statt oder besser eine Deprogrammierung, denn nun orientieren wir uns nicht mehr am sozial [von unserer unmittelbaren Umgebung] Gewünschten, sondern an unserer eigenen Vision, an der eigenen Sehnsucht. Am Himmel eben und nicht an der Erde. So kommt die Religion seltsamerweise zur Erfüllung, wenn der Klotz am Bein weg ist – in Freiheit.
Warum hat Jesus sich „geopfert“? Weil er zeigen wollte, was einem freien Menschen möglich ist. Er kann auf solche Weise Unmögliches möglich machen. Er wollte einen Quantensprung und er hat ihn erreicht.
Und was hat Mohammed erreicht, indem er behauptete, Jesus sei nicht am Kreuz gestorben? Unabhängigkeit. Freiheit von einem Klotz am Bein. Das ist das Wesentliche, nicht die Frage, ob nun Jesus am Kreuz gestorben ist oder nicht. Diese Frage ist unwichtig, sie bot nur damals einen Anlass, eine Möglichkeit, den Klotz am Bein loszuwerden. Ich kann Mohammed nur gratulieren zu seiner Idee, obwohl ich persönlich davon überzeugt bin, dass Jesus tatsächlich am Kreuz gestorben ist. Mohammeds Idee war eine Geistidee, die eine Wirkung hatte: Freiheit. Und darum geht es doch immer seit Abraham [Freiheit von Tradition], noch dezidierter seit Mose [Freiheit von Sklaverei für den Stamm] und individuell und international formuliert durch Jesus [Freiheit für das Individuum], in dieser Hinsicht war Mohammeds Formulierung wieder etwas rückschrittlicher, weil er eben wieder mehr die Familie im Auge hatte, als das Individuum, und mehr seine Kulturform als eine Einsicht in die Notwendigkeit einer Öffnung, die damals eben nicht gegeben war.
Doch nun ist eine neue Stufe angesagt, nämlich die Freiheit für alle überall. Das ist Religion im Zeitalter der Globalisierung. Niemand kann ausgeschlossen werden.
Wie kann diese Freiheit heute für einen Moslem aussehen? Was ist sein Klotz am Bein? Es ist dieser Alleinvertretungsanspruch, gekoppelt mit einem Festhalten an einer antiken Kulturform, die heute längst ausgedient hat. Deshalb haben die Moslems so viele Feinde. Sie machen sich diese Feinde durch ihre Intoleranz und durch ihren Überlegenheitsglauben. Deshalb können sie beispielsweise einen Neubau des Tempels in Jerusalem nicht tolerieren. Mohammed konnte noch im Geist dahin fliegen. Die Moslems können es nicht. Daher wollen sie dort ihr Heiligtum festhalten [das ihnen ohnehin niemand nehmen wird] und den Juden ihr historisches Vorrecht aberkennen – obwohl es ja vielleicht Wege geben könnte beides zu realisieren, aber eben nur von einer übergeordneten Perspektive aus, nicht von der Froschperspektive, die bisher beide Seite belieben mit allen Mitteln zu erhalten. Das ist ihr (beider) Klotz am Bein. Er führt nur zu blutigen Kämpfen, nicht zu einer Lösung für alle.
So gibt es überall auf der Welt Beispiele für diesen Klotz am Bein, für diese Wirkung der Ideologie oder wie man früher sagte, des Götzendiensts. Und das Ganze natürlich unter dem Mantel der „Religion“.
Es reicht aber nicht, den Finger an die Stelle zu legen, an der es ohnehin schon brennt, es ist notwendig das Problem an seiner Wurzel zu erkennen, nämlich an der Überbewertung, an der Verabsolutierung einer lokalen und temporalen Perspektive [des Ganzen], die aber jetzt logischerweise nicht mehr in der Weise gilt wie damals, als sie ursprünglich formuliert wurde, die daher im besten Sinn des Wortes revidiert werden muss und das geht nur, indem wir uns heute wieder auf die Perspektive des Ganzen einstellen. Dann zeigt sie uns die Lösung für heute – niemals aber die von morgen. Die Lösungen von morgen werden die Menschen von morgen wieder neu finden müssen. Es gibt keine ein für allemal abgeschlossene Offenbarung. Die Offenbarung ist ständig da, aber natürlich nur für den, der sich auf sie einstellt und nicht für den, der glaubt, sie schon zu haben. Das sollte doch logisch und nachvollziehbar sein.
Nur so werden wir den Klotz am Bein los, der so viel Leid verursacht. Nur so kann eine Welt entstehen, in der alle auch füreinander da sind.
Also, setz dich hinweg über deine Tradition. Schau dir das Leben an und gestalte es so, dass es wird, wie du es erträumst. Und dann wende dich zurück zu deiner Tradition und teile ihr deine Erfahrung mit. Nur so kann es gehen, dass viele den Klotz am Bein loswerden und beginnen, ein freies, selbst verantwortetes Leben zu führen, ein Leben, in dem Platz ist für die ganze Welt, in dem alle sein dürfen, wie sie sind.