Was
ist Kreativität?
Zur
Heilung des psychiatrischen Kreativitätssyndroms
18.12.2008
Kreativität
wird in unserer Zeit hoch geschätzt. Die Medien preisen sie an, die
Lehrpläne der Schulen fordern ihre Ausbildung; sie findet sich
werbewirksam im Aushängeschild eigener Schultypen. Und bei all dem
entsteht der Eindruck, dass es sich bei Kreativität um etwas
Künstlerisches handelt – insbesondere im Gegensatz zum
Industriellen. Manche meinen sogar, Kreativität sei ausschließlich
im Reich der Ideen angesiedelt – im Gegensatz zum schnöd
Materiellen.
Kreativität
ist also zu einer Ideologie geworden. Daher überrascht es nicht, dass
Kreativität sich auch als Krankheitsbild in der Psychiatrie wiederfindet.
Patienten, die
am Kreativitätssyndrom leiden, schätzen Ideen sehr hoch ein und das
Materielle sehr niedrig. Sie sind nicht imstande konkrete Ziele zu erreichen,
weil das bedeuten würde, die Ideen ins niedrige Materielle
herunterzuholen.
Patienten, die
am Kreativitätssyndrom leiden, finden ihr eigenes Reich der Ideen oft
spannender als Kino; einen Termin einzuhalten oder konkret an etwas zu
arbeiten, schaffen sie nicht. Sie verachten das Materielle und dass ihre Umwelt
von ihnen fordert, sie sollten sich in diese Niederungen herabbemühen.
Sie halten sich für etwas Höheres, als die Menschen, die für
ihren Lebensunterhalt arbeiten – wie sie die Ideen für etwas
Höheres erachten als die auf Ideen beruhenden Produkte. Sie begründen
dies oft mit real existierenden schlechten Produkten. Und dadurch bemerken sie
nicht, dass sie einfach nur jeder Anstrengung aus dem Weg gehen.
Dass dieses
Syndrom überhaupt entstehen kann, liegt an der weit verbreiteten
Kreativitätsideologie. Psychiater stehen dem Phänomen oft deshalb
hilflos gegenüber, weil sie selbst Anhänger dieser Ideologie sind.
Aber ist
Kreativität wirklich das, als was diese Ideologie sie darstellt?
Allein das Wort
sollte schon ausreichen, um zu sehen, dass es das nicht ist. Schließlich
bedeutet Kreativität, etwas zu schaffen. Und das bedeutet, eine Idee zu
realisieren. Was helfen einem Menschen die besten Ideen, wenn er sie nicht
verwirklichen kann?
Kreativität
ist also die mühsame, materielle Umsetzung von Ideen. Kreativität
bedeutet, der Materie eine Form zu geben, nämlich die Form der Idee. Erst
wenn die Materie diese Form angenommen hat, ist die Kreativität vollendet.
Um das
psychiatrische Kreativitätssyndrom auflösen zu können, muss
zuerst die Kreativitätsideologie aufgelöst werden.
Möglicherweise wird das Syndrom dann zunächst eine andere Gestalt
annehmen, aber wenn dieser Wandlungsschritt gelungen ist, dann ist er bereits
der Beleg für die Möglichkeit einer Heilung, d.h. eines Zugangs zu
wirklicher Kreativität – die natürlich nicht auf den Bereich
des Künstlerischen beschränkt ist, sondern das ganze Leben betrifft und
insbesondere auch die industrielle Produktion, die ja selbst ein Ergebnis eines
schöpferischen Prozesses ist, indem sie dafür sorgt, dass sehr viele
Menschen in den Genuss der Ergebnisse der Kreativitätsprozesse kommen
können.