Wiedergeburt
7. 2. 2004
Die
Wiedergeburt beginnt mit dem Verlust des Lebens.
Das
abgeschnitten Werden vom Leben beginnt mit dem illusionären sich Überheben.
Das
sich Überheben ist unvermeidlich. Es beginnt mit der Möglichkeit dazu – und es
ist eine positive Fähigkeit und eine notwendige Etappe auf dem Weg. [„O felix culpa“, heißt es deshalb in der christlichen
Osternachtliturgie.]
Genau
betrachtet beginnt das sich Überheben mit der Unzufriedenheit Gottes mit sich
selbst. Es reicht „ihm“ nicht, bei sich zu sein, er muss sich auch noch
verschenken.
Von
hier nimmt das Unheil seinen Lauf – aber auch unsere Chance.
Von
da an gibt es [uns als] Wesen, die nicht sein möchten, was sie sind, bzw. nicht
sind, was sie sein möchten.
Das
„Ihr werdet sein wie Gott!“ der Schlange im Paradies bringt das nur auf den
Punkt. Die Nichtse möchten alles sein, sie möchten sein wie Gott. Sie möchten
ihr Nichts nichten.
Logischerweise
geht das nicht.
Es
geht nicht so.
Es
geht anders.
Das
ist das Paradoxe. Die unbedingt sich durchsetzen wollen, die unbedingt
mit dem Kopf durch die Wand wollen, können das nicht begreifen.
Alles
ändert sich aber, wenn ein Jemand an einem bestimmten Punkt seines Daseins sein
Nichts-Sein begreift und annimmt.
Als
Gott begriff und annahm, dass er durch sein für sich Sein nur ein Nichts war,
konnte er sich verlieren – und genau dadurch wieder zum Ziel werden für alles,
was er verloren hatte.
Und
weil wir ja etwas von dem sind, was Gott verloren hat, gilt dieses Paradoxon
auch für uns, auch wenn unsere evolutionären Vorfahren für uns schon ein Stück
zurückgelegt haben auf dem Weg zurück zu ihm. Egal wo wir uns vorfinden auf
diesem Weg, egal wie entwickelt und bewusst wir bereits sein mögen, es kann
auch für uns erst dann weiter gehen, wenn wir [meist nach schmerzlichen Phasen
vergeblichen Aufbegehrens] begreifen und annehmen, dass wir nur ein Nichts
sind, solange wir für uns sind. Erst dann können wir kapitulieren und uns
verlieren – und ganz bewusst den über uns herrschen
lassen, der ohnehin herrscht. Genau dadurch kehrt das Verlorene heim; Gott
kommt wieder zu sich selbst – und wir werden Zeugen dieser wunderbaren
Tatsache, die sich ja in uns, um uns und durch uns ereignet.
Wenn
wir das begreifen, rebellieren wir nicht mehr gegen unser Schicksal, dann
wollen wir nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand, dann wollen wir stattdessen lieber Gott schauen.
Das
Paradox ganz klar formuliert:
Unter
der Bedingung, dass wir unsere Nichtigkeit anerkennen, haben wir Zugang zu
unserer göttlichen Natur.
Nur
als Sklaven Gottes werden wir frei.
Jesus
drückt es so aus: „Wer sein Leben für sich behalten will, wird es verlieren,
wer es aber hergibt, wird das ewige Leben dafür bekommen“ – und mit dem Hergeben
meint er natürlich nicht unsren Tod, sondern das Abgeben der Kontrolle.
Jesus
ist den Weg vorangegangen. Er weiß wovon er spricht. Er tut schon zeitlebens
nicht seinen Willen, sondern den Willen des Vaters. Und er sagt uns durch
Johannes, dass wir ebenso Kinder Gottes werden können, wie er es ist, indem wir
uns dem Willen Gottes unterwerfen, indem wir ihm sein Leben anvertrauen, der es
ohnehin zu 100% in der Hand hat.
Das
Durchgangstor in die „ewige Seligkeit“ ist das Nichts. Wieder, nicht der Tod,
sondern die Nichtung unserer (ohnehin nur
eingebildeten) Separatheit.
Durch
unsere eingebildete Separatheit sind wir
abgeschnitten vom Fühlen und deshalb wollen wir mit dem Kopf durch die Wand.
Indem wir die Separatheit aufheben (unser „Ego“,
unsere Identifikationen, dass wir uns etwas zurechnen positiv oder negativ),
können wir (wieder) fühlen – aus dem Einklang mit dem Ganzen. Und erst dann
sind wir – paradoxerweise – ganz in unserem Eigenen.
Im
Ganzen gesehen sind wir – und das gilt von allem anderen genauso – von
vornherein [also noch bevor wir auch in unserem Bewusstsein eins geworden sind
mit dem Ganzen] und zu jeder Zeit die logische Antwort des Ganzen auf die
Fragen seiner Teile. [Das meint auch der indische Philosoph Patanjali,
wenn er im Yoga Sutra sagt: „Das Wahrzunehmende ist
{als Antwort} für den Wahrnehmenden bestimmt“.] Deshalb heißt es im
Johannesevangelium, dass am Anfang der Logos war, und dass alles durch ihn
geworden ist und dass nichts von dem Gewordenen ohne ihn geworden ist.
Diese
von uns unabhängige logische Realität unserer selbst wird zu unserer bewusst
als solche erlebten und gestaltbaren persönlichen
Realität, wenn wir uns nicht mehr vom Ganzen separieren. Weil Jesus wie kaum
ein anderer eins geworden ist mit dem Ganzen, mit dem „Vater“, ist er für
Johannes der Archetyp des materialisierten Logos. In der Theologie des Johannes
gibt es deshalb drei Bilder des Logos bzw. des Sohnes Gottes: den Logos selbst,
Jesus und uns – denn auch in unserem Fall kommt die Antwort auf unsere vor dem
Angesicht des Nichts gestellten Fragen direkt von jenem uranfänglichen Logos,
den Jesus deshalb auch „Tröster“ nennt oder „Beistand“. Wenn wir uns als Nichts
angenommen haben, erscheint der Logos nicht nur wahrnehmbar in uns, sondern
weil wir ja im Grunde nicht mehr da sind, weil wir nur noch sein Medium sind,
erscheint er an unserer Stelle. Deshalb ist die Redeweise des Johannes korrekt.
In
der Sprache unserer Zeit ausgedrückt: Indem wir uns nicht mehr vom Ganzen
separieren, wird unsere persönliche Perspektive logischerweise die Perspektive
des Ganzen mit allen Konsequenzen: Indem wir unsere Separatheit
aufheben, werden wir damit gleichzeitig zum Erben des Ganzen. Und wir erben
nicht etwas, und auch nicht viel, sondern alles, 100%, das Ganze. Nichts wird
zurückgehalten. Es liegt nur noch an unserer Intention und unserer
eventuell noch vorhandenen Zurückhaltung, wie umfassend unser Fühlen werden
kann. [Sufi-Meister haben in dem Zusammenhang von Menschen gesprochen, die zum
„Pol ihrer Zeit“ werden, weil sie in ihrem Fühlen die gesamte Menschheit
einschließen.]
Und
nun verstehen wir, welches Privileg es ist, Gottes Sklave werden zu dürfen,
denn die meisten dürfen es nicht, weil sie zu eingebildet sind, weil sie ihre
Erfüllung immer noch in dem suchen, wie Gott zu werden, weil sie immer noch
selbst glänzen wollen, weil sie immer noch „Luci-fer“
sein wollen, Licht-Träger. Doch Lucifer kann vor Gott nicht bestehen, von dem
doch alles Licht kommt. Er muss in dem Vergleich abstürzen und er wird sich
über die Unmöglichkeit, auf seinem Glanz-Weg zum Höchsten zu gelangen,
zeitlebens ärgern und deshalb versuchen, andere zu seinem „ich-werd’s-euch-schon-zeigen“-Weg zu animieren – aus dem
allerdings tatsächlich ganz große und unsterbliche Leistungen hervorgehen, vor
denen gewissermaßen sogar Gott (obwohl er natürlich deren eigentlicher Urheber
ist, weil es doch er ist, der dem Luci-fer seine
Fähigkeit zu glänzen verliehen hat) seinen Hut ziehen würde. Es geht hier ja
nicht darum, einen Weg als Irrweg zu verurteilen, sondern nur darum zu zeigen,
dass es einen Weg gibt, der über den Weg des Glänzens hinaus führt und dass der
Lucifer-Weg samt seinen erstaunlichen Leistungen nur eine Versuchung ist, auf
halbem Wege, selbstfixiert, stehen zu bleiben, und dass dieser andere Weg darin
besteht, dass Gott für uns alles in Allem ist.
Der
Sohn, der seine Abstammung erkannt hat, wird auf Luci-fers
Glänzen nicht mehr hereinfallen. Er wird statt dessen eine Wiedergeburt erleben,
nämlich genau die Wiedergeburt als wirklicher Sohn, die am Anfang des
Markusevangeliums beschrieben wird, mit der Stimme vom Himmel, die diese innere
Wirklichkeit nach außen hin ausdrückt.
Und
damit ist der Zyklus vollendet. Der Sündenfall ist überwunden. Gott ist aus der
Fremde in seine Heimat zurückgekehrt. Er hat sich selbst gefunden – in uns.
Bleibt
noch die Frage zu klären, was Sklaven Gottes denn so tun.
Sie
leben gemäß dem Logos als Antwort auf die ihnen gestellten Fragen. Sie sind
offen für den Anspruch des Alls – der immer konkret ist.
Ein
Beispiel für diese Art zu leben, das Jesus gebracht hat, ist das des barmherzigen Samariter. Der barmherzige Samariter ist
nicht barmherzig, weil sein Moralkodex es ihm gebietet [das wäre der
Lucifer-Weg], sondern, weil die konkrete Situation ihn anspricht. Er ist doch
die Antwort! – Jesus fasst diesen Zusammenhang in den Begriff vom „Nächsten“;
er meint damit einfach die konkrete Lebenssituation, die in einem Menschen, der
dafür offen ist, die göttliche Barmherzigkeit hervorruft.
Auf
Schritt und Tritt sind wir dem An-Spruch des Alls ausgesetzt.
Ausgangspunkt
der Wahrnehmung dieser Anfrage ist immer das Nichts, die Leere, das „arm sein
im Geist“. [Falls an der Stelle des Nichts wir selbst stehen mit unseren subjektiven
Interessen, können wir die Anfrage nicht hören]. Dann kann auf eine leere
Leinwand etwas projiziert werden, nämlich das, was da ist. Das Ergebnis ist [in
dem der durch diese innere Einstellung bereit ist, zu hören] Respekt vor der
Realität, Respekt vor dem, was uns begegnet und die entsprechende Antwort des
Ganzen auf den Anspruch.
Im
Lauf der Kirchengeschichte sind für Menschen, die einen spirituellen Weg gehen
wollen, die sich also bereit machen wollen, den Anspruch des Ganzen zu hören,
drei Regeln gefunden worden, die ihnen dabei helfen können, die drei
Mönchsgelübde, die aber nicht nur für Mönche gedacht sind, sondern die jeder
Mensch sinngemäß beachten kann: Armut, Keuschheit und Gehorsam. Diese drei
Regeln können denjenigen, die sie verstehen, helfen, den Geist zu lösen von den
Dingen, die den Geist der meisten Menschen in Schach halten: Geld, Sex und
Selbstbestimmung. Diese drei sind die Kräfte, die unsere Wahrnehmung mehr als
alles andere verzerren. Der Sinn der Mönchsgelübde ist es daher, die innere
Freiheit von diesen Verzerrungen wiederzugewinnen, und so eine wirkliche innere
Leere zu erreichen, die ein Wahrnehmen des Anspruchs möglich macht, den der
Kosmos – nämlich unsere konkrete Umgebung – auf Schritt und Tritt an uns
stellt.
Sklaven
Gottes leben also in ständigem Bewusstsein der Realität ihres Nichts und damit
in ständigem Respekt vor allem, was ihnen begegnet. Sie leben aber als Sklaven
Gottes und nicht als Sklaven irgendwelcher Wesen, die ihnen begegnen. Daher
sind sie ihnen gegenüber in keinem Augenblick in irgendeiner Weise abhängig
oder ko-abhängig, sondern sie sind stets frei. Und
das ist möglich, weil sie nicht ihrer persönlichen Perspektive folgen, in der
sie natürlich vielfältig verwickelt sind, sondern weil sie einer übergeordneten
Perspektive folgen, der Perspektive des Ganzen – der Perspektive Gottes.
Wiedergeburt
ist also die Auferstehung des durch die „Sünde“ – also durch das sich Absondern
von der Lebensquelle im Ganzen – eigentlich Toten, bzw. nur eingebildet
Lebendigen, zum Leben aus der Fülle des Alls. Dieses „wirkliche Leben“ der
„Auferstandenen“ mag sich vom „Scheinleben“ der Menschen auf dem Luci-fer-Weg für einen entfernten Beobachter auf weite Strecken
kaum unterscheiden. Und doch ist die Unterscheidung nicht nur logisch korrekt,
sondern letzten Endes auch wirksam, denn spätestens im Tod zerbricht die
Illusion und die Menschen des Luci-fer-Weg erleben
das Nichts als Vernichtung all ihrer Anstrengungen und all ihres Glanzes,
während die Sklaven Gottes da immer schon waren und daher ganz natürlich, wie
Jesus es ausgedrückt hat, „eingehen in die Freude ihres Herrn“.