Der
Spalt der Wahrheit
Viele Menschen glauben, Weisheit habe mit
Erfahrung zu tun - und in gewisser Weise haben sie recht, aber nicht in der
Weise, wie sie glauben. Es ist nämlich so:
Durch Erfahrung kann ein Mensch die
Schattierungen seiner Wahrnehmung unterscheiden lernen. Das geschieht durch
eine Art Meditation, also durch eine Betrachtung der gegebenen Eindrücke.
Alles, was irgendwie mit Vorurteilen zusammenhängt ist (subjektiv) eingefärbt.
Aber außerdem gibt es in der Wahrnehmung noch einen Bereich der Durchsicht auf
die Wirklichkeit, der nicht eingefärbt ist, sondern der genau das erkennen
lässt, was not-wendig ist. Diese Wahrnehmung ist nicht "objektiv" im
wissenschaftlichen Sinn, also nicht allgemeingültig, sondern sie ist nur für
diesen Fall in diesem Moment gültig. Für diesen Fall in diesem Moment aber ist
sie zu 100% gültig. Es ist kein statistisches Mittel, wie alle
wissenschaftliche Aussage, sondern perfekt auf die Situation zugeschnitten.
Alles andere hat zu tun mit Erfahrung. Diese Wahrnehmung hat mit Erfahrung
unmittelbar nichts zu tun. Die Erfahrung zeigt nur den Unterschied zwischen
Erfahrungswerten und dieser Wahrnehmung, die eben kein Erfahrungswert mehr ist,
sondern eben unmittelbare Wahrnehmung dessen, was ist, aus der Perspektive
dessen, der etwas will.
In jedem Wesen gibt es einen Punkt, in dem
die Eindrücke koordiniert werden mit den Bedürfnissen, wo also die inneren
Eindrücke koordiniert werden mit den äußeren. Castaneda
hat diesen Punkt "Montagepunkt" (assemblage
point) genannt. Er meinte, es gäbe verschiedene
mögliche Lagen für diesen Punkt und die Welt, die jeweils an diesen Lagen
zusammengesetzt würde sei sehr unterschiedlich. Letzten Endes aber unterliegt
dieser Punkt keiner Willkür, denn es gibt für das gegebene Wesen in einem
gegebenen Augenblick einfach nur einen optimalen Punkt oder eine optimale
Perspektive, je nach den Möglichkeiten in Bezug auf das Ganze. Und hier gründet
der "Spalt der Wahrheit".
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