Paradigmenwechsel in der Theologie?
Inzwischen ist zwar von
Paradigmenwechsel nicht mehr so viel die Rede wie vor zehn Jahren, aber für die
Theologie wird es Zeit, dies zu überlegen.
Das
"alte" Paradigma der Theologie ist das der Magie:
Man
glaubt an einen von Geistern und Gespenstern belebten Kosmos, in dem man
jederzeit vom Teufel geholt werden kann, und in dem man nur durch die stärkere
Magie überlebt. Die stärkste Magie liefert natürlich der Gottessohn. Seine
Magie war so stark, dass er sogar stärker war als der Tod ...
So
lange derartige Gedanken die gewünschte Wirkung hatten (also die Botschaft
unverfälscht transportieren halfen), gibt es nichts dagegen einzuwenden, wenn
sie aber nicht mehr wirken oder verfälschend wirken, muss man sich doch fragen,
welche Art Wirk–lichkeit ihnen zukommt.
Zur
Zeit scheinen sie keine Wirkung mehr zu haben, jedenfalls nicht in unserer
Kultur. Die Magie des Gottessohnes lässt die Leute heute kalt. Die Geschichten
interessieren sie nicht mehr. Das ist das Ergebnis der Erfahrungen der Menschen
mit diesem Paradigma. Es hat eben in der Vergangenheit auch nicht richtig
funktioniert: Die Leute haben zwar mitgemacht und jeden Sonntag die Magie des
Gottesssohnes beschworen aber trotzdem hat sie der Teufel geholt.
Aber,
werden die Theologen sagen, das stimmt doch gar nicht: Es geht doch im
Christentum gar nicht um Magie, sondern um die Liebe!
Tatsächlich
sind immer wieder Menschen von der Liebe des Menschensohnes inspiriert worden,
aber die Massen wurden mit der Magie geködert. Weil sie Macht wollten, sind die
Leute Anhänger des Wundertäters geworden. Weil sie Brot wollten, sind sie schon
Jesus nachgelaufen, aber als es ernst wurde, d.h. als sie dran waren, etwas zu
geben, waren sie weg. Und jetzt, wo die Technik die gewünschten Wunder liefert,
ist niemand mehr an der alten Magie interessiert und damit geht auch die
Botschaft von der Liebe flöten.
Das
Haus war auf Sand gebaut. Die Architekten haben es allerdings noch nicht
mitgekriegt. Sie kleiden die Botschaft der Liebe immer noch in die Sprache der
Macht (also in die Sprache der Magie), obwohl – für alle offensichtlich – keine
Macht (Magie) mehr da ist. – Auch zur Zeit Jesu haben ja die damaligen Prediger
in den magischen Wundern des alten Elia geschwelgt (weil sie selber keine Macht
hatten) und den lebenden Elia haben sie umbringen lassen (so viel Macht hatten
sie), denn der hat ja ihre Macht bestritten. So ist es immer gewesen und so
wird es immer sein. Die (in ihrer persönlichen Wahrheit ohnmächtigen, also magielosen)
Herrscher werden sich immer aufplustern mit magischen Formeln und mit
Waffengewalt und die echte Magie origineller Menschen bekämpfen. Und nachdem
sie das echt Magische beseitigt haben, werden sie das Kopierbare davon kopieren
und für sich benützen. Das Ergebnis ist jeweils ein neues Paradigma der Magie.
Wenn sich die Kopien dann abgenützt haben (wenn das Salz schal geworden ist),
braucht es eine neue Magie, die natürlich von denen, die die Kopien verwendet
haben (die verschiedenen Arten von Priestern der jeweiligen Religion), nicht
kommen kann, denn die haben ja keine Beziehung zur Quelle der Magie. Sie werden
so lange versuchen, mit den alten, verschlissenen Kopien durchzukommen, bis ein
neuer Magier auftaucht und von ihnen beseitigt ist, damit sie die Kopien seiner
neuen Magie wieder verwerten können.
Ganz anders sieht es natürlich aus, wenn nicht die Magie
(also die Faszination – letzten Endes das, was das Alte Testamen den
"Baal" nennt) das Transportmittel einer Botschaft ist, sondern die
Empathie.
Die Empathie ist das, worauf es den Propheten ankam.
"Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer" (Hos 6,6). Das war ihre
Botschaft. Aber was die Propheten sonst noch hatten, war eben Magie. Das ist
es, was die anderen Menschen an ihnen faszinierte. Ihre Botschaft erreichte
diese kaum. Sie spürten nur, dass sie es mit einer Macht von der Art von
Rudelführern zu tun hatten. Und das machte sie bereit, sich ihnen zu
unterwerfen – so lange, bis eine andere Macht stärker war, dann waren sie
bereit, über ihre vormals Verehrten herzufallen und sie gewissermaßen
aufzufressen.
Die
Magie der Propheten stammte von ihrer persönlichen Übereinstimmung mit dem
Fluss der Schöpfung. Diese Übereinstimmung ließ sie strahlen, durch diese
Übereinstimmung erhielt auch ihre Botschaft Kraft und alles, was sie taten. Das
war ihre Magie. Ihre Magie war nichts Gemachtes und nicht Ererbtes. Es
entstammte ihrer Wahrheit, ihrer tatsächlichen und bewussten Übereinstimmung
mit dem Willen Gottes.
Da
die Propheten außerordentliche Rudelführer waren, gerieten sie in eine
Konkurrenzsituation mit den traditionellen Rudelführern und wurden von diesen
angefeindet und feindeten auch diese an, weil sie deren fehlende Authentizität
erkannten und zur Sprache brachten. Dadurch wurde deren Diskrepanz zur Wahrheit
auch diesen selbst peinlich bewusst. Das war eine Schmach, die sie nicht auf
sich sitzen lassen konnten. Und da sie die reale Macht hatten, also die
Waffengewalt, übten sie diese aus, um ihre unerwünschten Konkurrenten
loszuwerden. Einer von denen, die beseitigt werden sollten, war David, der
spätere König. Er hat jedoch durch seine Übereinstimmung mit der Kraft immer
wieder Auswege gefunden und überlebt. Auch der Prophet Elia war immer wieder in
extremer Gefahr, und auch ihn schützte die Kraft, ebenso Jeremia und viele
andere.
Umgebracht
wurde schließlich Jesus – aber gerade durch seine Übereinstimmung mit der Kraft
konnte sogar sein Tod seine Botschaft der unbedingten Empathie nicht
auslöschen. Dieses Wunder, genannt "Auferstehung", blieb faszinierend.
Aus ihm entstand die neue Magie und der Mythos von Gottes eigenem und einzigen
Sohn – trotz der klaren Aussage der bisherigen Bibel und auch Jesu selbst, dass
alle Menschen Kinder Gottes wären.
Die
ersten, die sich dieser Magie bemächtigten, sahen in ihr die Chance, die
Botschaft, in deren Zusammenhang sie entstanden war, zu unterstützen, doch bald
ging es nicht mehr so sehr um diese Botschaft, als um die (Führungs–) Rolle der
Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, diese Botschaft zu verbreiten.
Sie erkannten die Möglichkeit, durch diese Magie das Fehlen ihrer persönlichen
Magie (= ihrer eigenen Übereinstimmung mit der Kraft) zu substituieren.
Während
es nämlich in anderen Religionen üblich war, Wert darauf zu legen, dass die
Lehrer ihre eigene Magie entwickelten, war die Gefahr unentwickelter Lehrer im
jüdisch–christlichen Bereich nicht ausreichend erkannt. Diese Tatsache
unterstützte die in Wellen auftretende Verdunkelung der Botschaft und deren
Überformung durch magische Praktiken einschließlich der Verfolgung und
Vernichtung derer, die ihren Finger auf diesen wunden Punkt legten oder diesen
wunden Punkt für ihre eigenen Zwecke ausnutzen wollten (die sogenannten
"Ketzer" oder "Hexen").
Und
so stehen wir heute am bisherigen Ende einer Geschichte, die mehr von Wahn als
von Empathie getragen war. Wir aber haben das einzigartige Privileg,
zurückzuschauen und diese Geschichte unvoreingenommen zu betrachten und eben
jene Züge zu entdecken – die zwar auch Jesus schon erkannt und auch
angesprochen hatte, die sich damals aber nicht so leicht belegen ließen. Daher
sollten wir uns heute bewusst fragen, wie wir eventuell derart wahnhafte
Entwicklungen, wie sie im Lauf der Geschichte des Christentums "im Namen
Gottes" aufgetreten sind, in Hinkunft vermeiden können. Und da sehen wir:
Was zu den wahnhaften Zügen geführt hat, war die unbewusste Mystifizierung bzw.
das unbewusste magische Element. Deshalb könnte nun die Zeit reif sein für eine
neue Gestalt der alten Religion, nämlich für eine Religion der Empathie, in der
auch die Quelle der Magie seinen bewussten Platz hat und in der allen
Mitgliedern klar ist, wodurch die Magie entsteht und dass es, wie die Bibel
schon erklärt, zwei Arten von Magie gibt, die Magie der Übereinstimmung mit dem
Kosmos (= mit JAHWE) und die Magie der Übereinstimmung mit der Gier des
Raubtiergeists (= mit Baal).
*
Nun
kann ich noch etwas klarer sagen, welche Rolle diese beiden Erscheinungsformen
göttlicher Energie in der Religion spielen:
Baal
wirkt durch Faszination. Es ist die Faszination des Raubtiers, das man nicht
gern zum Gegner hat, sondern zum Verbündeten. Der Geist der Nazis ist das
mittlerweile archetypische Beispiel. In der Apokalypse ist es das Tier. Aber
auch die Propheten haben sich gelegentlich dieses Geists bedient, z.B. Mose,
Elia u.a.. Letzten Endes war das Erreichen der Einheit des Volkes Israel
wichtiger als das Mittel. In Tierrudeln herrscht nur dieser Geist. Es ist der
Geist der Kraft. Der Stärkste setzt sich durch. Er erbt damit aber auch die
Verpflichtung, sich für die anderen einzusetzen – diese Verpflichtung ist ihm
auch ein natürliches Bedürfnis. Empathie ist ein natürlicher Teil der
Lebenskraft. Die Gefahr des Missbrauchs kommt erst bei den Menschen ins Spiel –
durch ihre Fähigkeit, "gut" und "schlecht" zu
unterscheiden. Dadurch ist Kraft und Empathie nicht mehr automatisch gekoppelt.
Aus diesem Grund erst gibt es das Phänomen "Baal" überhaupt.
Aus
diesem Grund aber haben die Menschen auch immer wieder nach einem Ausweg
gesucht aus dem Zwang der Kraft, besonders die Unterlegenen. Und die, die
ehrlich am Ende waren, haben die andere Kraft entdeckt: JAHWE, die ganze
Realität des "Ich bin".
Einer
von ihnen –Abraham – hat entdeckt, dass er mit JAHWE einen Bund schließen kann
und dass er diesen Bund an seine Nachkommen weitergeben kann. So ist das Volk
der Israeliten entstanden und die Bibel. Und die Propheten haben dieses Wissen
jeweils neu entdeckt und das "Volk Gottes" immer neu an die Realität
JAHWE's erinnert.
In
der Zwischenzeit ging nämlich die unmittelbare Erfahrung JAHWE's immer wieder
verloren und wurde durch eine andere Art von Magie ersetzt– in heutiger
Terminologie durch eine Art "positives Denken", eine Art Hypnose, bei
der es nicht um die Übereinstimmung mit dem Kosmos ging, sondern um die Erreichung
bestimmter Ziele, z.B. Machtinteressen. Das ist der Hintergrund aller magischen Praktiken und Kulte in– und
außerhalb der Religion.
Alle,
die für die Tradition der Religion verantwortlich waren, denen aber die eigene
Erfahrung JAHWE's fehlte (also der Großteil der Priester), benutzten die
Formen, die von denen gefunden worden waren, die die Erfahrung hatten, einfach
weiter, nun aber eben nicht gekoppelt mit unmittelbarem Wissen, sondern
gekoppelt mit Vorstellungen. Noch einen Schritt weiter weg von der
unmittelbaren Erfahrung wurden diese Formen ganz bewusst berechnend als
magische Mittel der Macht eingesetzt, noch einen weiteren Schritt weiter weg
von der unmittelbaren Erfahrung (und da stehen wir heute wieder) erwiesen sich
die Formen dann als unwirksam.
Also
wie kann es da weitergehen? Es braucht eine neue Verbindung zum Ursprung. Im
Ursprung herrscht Empathie, die Magie ist im Ursprung nur ein Teil der
Empathie. Das Übel der Magie kommt von der Abspaltung vom Ganzen, von der
Unterscheidung von gut und schlecht, von der Ursünde.
Es
ist klar, dass es eine neue Erfahrung braucht. Die tradierten Formen können nur
Wege dahin sein, jeder Selbstzweck muss losgelassen werden.
Wie ein Christentum ohne
magisches Paradigma aussieht