Die zwei Stufen der Religion





Es gibt zwei Stufen von Religion:

Die erste Stufe - für die meisten Menschen wird es nie eine andere geben - ist die Stufe der formalen Religion.
(Paulus nannte diese Stufe "das Gesetz" und er identifizierte diese Stufe mit dem "Alten Bund". Für die damaligen Menschen war das richtig, um das Neue als das nicht Formalisierte zu begreifen - für die heutigen Menschen ist diese Unterscheidung ein Verhängnis, weil das Neue inzwischen längst mindestens ebenso formalisiert ist wie es das Alte je war - ja noch viel mehr, denn für die biblischen Patriarchen war nichts formalisiert, für sie war alles neu, für sie gab es nichts als ein Leben aus dem Geist des Augenblicks, der ja gleichzeitig auch die temporal weiteste Perspektive hat.)

In dieser ersten Stufe ist Religion eine Erlaubnis-Vereinigung, d.h. eine Einrichtung, die den Verdammten ein gewisses Recht zu leben bescheinigt, nämlich unter gewissen Bedingungen, letztlich unter der Bedingung, keinen Anstoß zu erregen, nicht unangenehm aufzufallen und im Idealfall durch große Selbstbeherrschung selbstlos zu werden, auf alles Eigene zu verzichten und nur noch für andere dazusein.

Das Hauptmerkmal dieser Stufe ist daher die Moral.
Sofern sie es nicht nur in gewissem Rahmen und nur zum Schein tun, bemühen sich die Menschen auf dieser Stufe sehr darum, den Vorschriften zu entsprechen und im Idealfall werden sie bekannt als Heilige.
Natürlich bleiben die Menschen auf dieser Stufe abhängig von einer äußeren, zudem noch formalisierten Instanz, dem Gesetz. Ihre Wahrnehmung ist vermittelt, eine unmittelbare Wahrnehmung der Wirklichkeit ist ihnen nicht möglich.

Ganz wesentlich für diese Stufe ist der Ritus, der seinem Wesen nach eine tatsächliche Brücke sein könnte für die zweite Stufe, denn Sein Wesen ist der nicht hinterfragte Vollzug, der keinen Zweck hat, sondern jeden Zweck aufhebt. Er kann für die, die sich ihm überlassen, jene Stille erzeugen, die die Welt anhält. - (Das ist natürlich nur einer der möglichen Wege in diese Stille - doch) nur in solcher Stille kann sich der Blick öffnen in die Welt, in der alles klar ist.

Für die Menschen der ersten Stufe jedoch geschieht dies kaum je. Und wenn, dann ist die alte Geschäftigkeit doch zu gewohnt, als dass sie wirklich durchbrochen werden könnte. Daher ist auf dieser Stufe auch der Ritus nur eine der übernommenen verpflichtenden Tätigkeiten.

Weil alles nur Pflicht ist, fehlt auf der ersten Stufe der Religion der Jubel. Es gibt höchstens "Festlichkeit". Es bleibt bei Weihnachten, von Ostern keine Spur und an Pfingsten ist gar nicht zu denken.
Weil man nicht lebt, hat man gelernt, das Gesetz für den heiligen Geist zu halten.
Es ist typisch für diese Stufe, daß Verwaltung und Bürokratie von überragender Bedeutung sind - wie in den Kirchen von heute.

Das Positive an dieser Phase ist gleichzeitig das Negative: Man bewahrt, archiviert und überliefert das Alte, ohne je was Neues zu versuchen. Etwas Wertvolles bleibt zwar erhalten, aber irgendwann brennen alle Archive ab und was ist dann? (Heute sind diese Archive abgebrannt – obwohl es nie verläßlichere Archive gegeben hat – denn die Zugänge sind den meisten Menschen verschlossen.)
 
 

Die zweite Stufe der Religion ist das, was Jesus mit "Wiedergeburt aus dem Geist" bezeichnet hat.
Den Bewahrern wird diese Wiedergeburt immer ein Greuel sein, denn was bei ihr herauskommt, ist niemals orthodox. Es ist ja immer neu, unvorhersehbar, überraschend, und so genau auf eine bestimmte Situation bezogen, wie das beste erlernte Verhalten es nie sein kann. Mit Moral geht da nichts mehr.
Die zweite Phase liegt jenseits jeder formalen Religion, und doch kommt erst in ihr etwas Göttliches zum Vorschein. Das Göttliche der ersten Phase war nur vergoldeter Schein - deshalb vergoldet!
Die erste Phase bietet nur ein Bild (von Gott). Sie ist ein Versuch, etwas darzustellen, was niemals dargestellt werden kann, weil die Wirklichkeit eben immer unendlich viel tiefer und außerdem immer neu und anders ist. Kaum hat man sie beschrieben ist sie schon wieder anders. Das ist das ewige Problem der Theologen - nur bleiben die meisten von ihnen ohnehin in der ersten Stufe gefangen und kennen das Original selbst nur vom Bild. Sie haben vom ewigen Leben nie etwas selbst erlebt - obwohl es jederzeit da ist, selbstverständlich für die, die gesprungen sind - freiwillig oder unfreiwillig - aber eben abgesprungen von der (kirchlichen) Erlaubnisvereinigung ins eigene Leben, in die eigene Bestimmung.
Es war zwar ihr Sprung, der sie in die Wiedergeburt geführt hat, aber die Wiedergeborenen wissen, daß es nicht ihr Verdienst ist, sondern geschenkt und sie achten die Menschen der ersten Stufe, doch sie können ihnen nicht mehr folgen. Sie können nur noch dem Geist folgen und der führt sie möglicherweise in den Konflikt mit ihnen. - Im Extremfall geht es ihnen wie Jesus, dem ja auch von den Vertretern der ersten Stufe die Lebensberechtigung aberkannt worden ist, weil er sich ihnen nicht fügen wollte.

Für die zweite Stufe ist Gott nicht ein Wesen irgendwo draußen, sondern das eigene Wesen.
Menschen der zweiten Stufe wissen, daß sie auch nicht anders sind als der Rest der Schöpfung und so fühlen sie mit mit aller Kreatur.
Sie wollen nicht mehr etwas sein, sondern vielleicht - wenn das ihrer Natur entspricht - helfen, daß das mitfühlende Wesen sich ausbreiten kann. Aber in jedem Fall wissen sie, daß es nichts Höheres gibt als sie selbst und daß der "Vater" - natürlich - in ihnen ist.

Natürlich kann man sich in die zweite Stufe nicht hineinphantasieren und auch nicht hineinarbeiten, wie die Esoteriker meinen. Sie gehen den Weg zur Erleuchtung wie einen Weg der Karriere. Doch damit bauen sie nur weiter an einem Gebäude, in dem doch wieder alles bekannt ist und nichts wirklich neu. In allem ihrem Tun und sich Geben wollen sie daher ständig als "schon so weit" anerkannt werden. Doch sie sind damit immer noch nur auf der ersten Stufe, nämlich auf der Stufe der Exoterik, des äußeren Rahmens und kommen mit all ihrem "esoterischen" Theater nie auf die Stufe der wirklichen Esoterik, auf der sie sich einbilden zu sein. Sie bestätigen mit ihrem Streben nur, daß auch die verschiedenen esoterischen Gruppen nur Erlaubnisvereinigungen sind wie die Kirchen. Und hier liegt ihr Problem  - nicht in ihrer Ablehnung der Kirchlichkeit.

Auf der zweiten Stufe der Religion gibt es keine Anhaltspunkte mehr, da gibt es nur noch die unmittelbare Wahrnehmung von Stimmigkeit oder Unstimmigkeit, von Anziehung und Abstoßung, also von Geist und von Wahrheit.
 
 

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TC



 

 

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